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Editorial: Wohltuende Zweifel

Man muss einfach neidvoll eingestehen: Das Englische kennt wunderbar bildhafte Ausdrücke für Dinge, die sich im Deutschen nur mühsam umschreiben lassen. Solch ein Fall ist etwa »preaching to the choir«, was so viel heißt wie »dem Kirchenchor predigen«. Gemeint ist die sehr menschliche Neigung, anderen zu erklären, was diese selbst schon längst wissen – oder jedenfalls ahnen.

Beispielsweise erläutern Homöopathiegegner bevorzugt anderen Homöopathiegegnern, warum Homöopathie Humbug ist. Und Skeptiker geißeln das um sich greifende Verschwörungsdenken gerne für ihresgleichen. Die, die es betrifft, nehmen davon meist gar keine Notiz. Schade eigentlich!

Handelt es sich beim Titelthema dieser Ausgabe (ab S. 12) womöglich um genau so eine »Kirchenchor-Predigt«? Immerhin stelle ich darin sieben ebenso häufige wie leicht zu durchschauende Denkfehler der Ratgeber- und Coachingbranche vor. Das Problem: Wer nach psychologischem Alltagsrat dürstet, will von solcher Kritik meist wenig hören. Lieber lässt man sich irgendeine schön klingende Antwort auf seine drängenden Fragen gefallen, als mit derlei methodischen Zweifeln und Einschränkungen umgehen zu müssen. Denn diese bedeuten am Ende ja doch bloß eins: Unsicherheit – und die können Ratsuchende oft am wenigsten gebrauchen.

Andererseits ist es natürlich wohlfeil, jeden Aufklärungsversuch mit dem Hinweis zu kontern, er sei ohnehin vergeblich. Erstens kann er durchaus dazu beitragen, zumindest bei einigen wohltuende Zweifel zu säen, oder ihnen zu einer realistischeren Einschätzung des Nutzens von Psychotipps verhelfen. Und zweitens ist es so oder so wichtig, schiefe Bilder geradezurücken, selbst wenn mancher das nicht schätzen mag. Oder wie mir einst scherzhaft einer unserer Autoren schrieb, dessen Artikel wir zum wiederholten Mal hatten aufschieben müssen: »Der Wahrheit ist es egal, wann sie gehört wird.«

Eine aufschlussreiche Lektüre wünscht
Ihr Steve Ayan

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