Editorial
Liebe Leserinnen, liebe Leser!
Keine Begierde ist natürlicher als die Wißbegierde“, notierte einst Michel de Montaigne, nachzulesen in der wunderschönen Neuübersetzung durch Hans Stilett. Kaum jemand wird das dieser Tage jedoch mehr verstehen als die Teilchenphysiker dieser Welt: Wenn noch in diesem Jahr der neue Beschleuniger am amerikanischen Brookhaven National Laboratory in Betrieb geht, könnten bereits einige der Fundamentalfragen vorentschieden werden, die seit langem die Forscher quälen – sei es über die Natur des Protons, die Massen der Quarks oder den Urknall. Auch am CERN in Genf sind die Forscher voller Hoffnung, nur daß sich hier die Vorfreude noch etwas hinziehen wird. Erst im Jahre 2005 wird dort der Beschleuniger der nächsten Generation, der Large Hadron Collider, fertiggestellt sein (Seite 56).
Ein Schuß spielerische Wißbegierde trieb einst sicherlich auch Benoît Mandelbrot in die „gebrochene“ Geometrie der Fraktale. Heute dienen diese bizarren Gebilde dazu, das Komplexe schlechthin zu enträtseln: Turbulenzen ebenso wie die kosmische Galaxienverteilung oder gar die willkürlichen Kursausschläge an der Börse. Über sein „multifraktales Preismodell“ berichtet der Altmeister der fraktalen Geometrie ab Seite 74.
Mit Neugier versucht auch unser Magazin immer wieder mal in die Zukunft zu spähen. In einem Sonderteil zu „Deutschlands Weg ins Informationszeitalter“ berichten unsere Autoren diesmal nicht über Visionen fernab jeder Realität, sondern über Erfahrungen aus konkreten Pilotprojekten. Darin wird untersucht, wie Kommunikations-Netzwerke Gesellschaft und Zusammen-leben tatsächlich verändern werden: im intelligenten Heim, am Tele-Arbeits-platz, beim Internet-Handel in der Wirtschaft oder im Netz zwischen Ärzten, Krankenhäusern und Patienten (Seite 86).
Nagender Ungewißheit begegnet auch unser neues Dossier „Quanten-Phänomene“: Neue Experimente mit überraschenden Resultaten haben den Forschern gezeigt, daß die Quantenwelt auch 70 Jahre nach der berühmten „Kopenhagener Deutung“ in Grundfragen noch immer für Überraschungen gut ist. Niels Bohr, Quantenpionier und Einstein-Antipode im Streit um die richtige Interpretation des Mikrokosmos, brachte es auf den Punkt: „Es wäre falsch, zu denken, daß die Wissenschaft herauszufinden hat, wie die Natur ist. [Die Wissenschaft] beschäftigt sich allein mit dem, was wir über [die Natur] sagen können.“
Aus: Spektrum der Wissenschaft 5 / 1999, Seite 3
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH
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