Editorial
Liebe Leserinnen, liebe Leser!
Wissen Sie, was Brot-Recycling ist? Statt Unmengen von Altbackwaren an Vieh zu verfüttern, erhalten zumindest Großbäckereien eine wirtschaftliche Alternative: Extrahierte Proteine und Ballaststoffe bilden Rohsubstanzen für neue Backwaren, wiedergewonnene Backhefe und Abfall-Alkohol werden dem Back & Brot-Kreislauf zugeführt. Wie das geht – das lesen Sie auf Seite 83.
Brot-Recycling ist nur ein (kleines) Beispiel für Entwicklungen, über die wir regelmäßig in unserem Technologie-Teil berichten: fast in jedem zweiten Heft mit einem größeren Schwerpunktthema, ansonsten in bunter Magazinmischung. Im August-Heft konnten Sie über neuartige Raumfahrzeuge lesen, zuvor Einblicke in die Nano-Elektronik gewinnen und im nächsten Heft sich über Aspekte der Neuroprothetik informieren. Natürlich fragen wir uns dabei: Ist das noch interessante Wissenschaft? Wer wird das lesen?
Technologie ist – gemessen an der Grundlagenforschung – weder „niedriger“ in der wissenschaftlichen Bedeutung anzusiedeln noch „höher“ als Gradmesser des Fortschritts. Vielmehr wäre unser naturwissenschaftliches Weltbild unvollständig, wüßten wir nicht, was aus Forschungsergebnissen wird, sobald sie zu einer Anwendung gefunden haben. Daß Forschung in Technik mündet, ist zudem Alltag für viele von uns, die im Studium mit der reinen Lehre befaßt waren. Umgekehrt wollen auch Ingenieure über ihre Arbeiten berichten – nicht zuletzt dem Kreis der eher an reiner Forschung Interessierten.
Je näher man hinschaut, umso mehr läßt sich entdecken, wieviel Kreativität und Phantasie diese angewandten Wissenschaften erfordern. Ein Beispiel in diesem Heft betrifft das „Halbleiterdotieren mit Neutronen“ auf Seite 80.
Worum geht es? Alle Chips in unseren Computern, Handys oder Armbanduhren funktionieren nur dank „Fremdatomen“. Diese möglichst homogen in einen Siliciumträger einzubringen („dotieren“) ist schwierig. Bei besonderen Ansprüchen greift die Industrie deshalb zum Beschuß mit Neutronen: Die elektrisch neutralen Teilchen verteilen sich gleichmäßiger im Halbleiter, lösen dort passende Kernreaktionen aus und erzeugen die Fremdatome direkt „vor Ort“. Diese sorgen so für die gewünschten Eigenschaften der Halbleiter. Das ist zwar „nur“ ein Technologiethema. Doch eigentlich handelt es sich um eine faszinierende Mischung aus fundamentaler Kernphysik und raffinierter Festkörperphysik angewandt auf die Mikroelektronik.
Natürlich: Kosmologie oder Gehirnforschung erklären uns fundamentale Zusammenhänge im Großen und im Kleinen. Aber das ist natürlich nur die eine Seite. Wenn wir verstehen wollen, in welcher Welt wir leben, dann sollten wir uns auch ein (Welt-)Bild machen von der High-Tech-Zivilisation, die uns umgibt und auf die wir uns täglich – oft genug blind – verlassen.
Aus: Spektrum der Wissenschaft 9 / 1999, Seite 3
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH
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