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Editorial



Die Geschichte der Kriege, so kennt man das, wird von den Siegern geschrieben. In der Evolution des Menschen geht es – gezwungenermaßen – genauso zu: Von allen Menschenarten ("Hominiden"), die je die Erde bevölkerten, haben allein wir überlebt. Wir – der moderne Mensch Homo sapiens. Aus Ostafrika stammend, war er vor rund 40000 Jahren in Zentraleuropa eingewandert. Seine letzten "Rivalen", die Neandertaler, räumten vermutlich vor 25000 Jahre endgültig das Feld. Seither sind wir "allein".

Nun findet zwischen Arten für gewöhnlich kein Krieg statt, doch evolutionären Wettbewerb gibt es allemal: um Lebensräume, Jagdgründe, Nahrungsmittel. Was half dem modernen Menschen, seine Konkurrenten so wirksam zu überflügeln, daß diese schließlich ausstarben? Spekulationen dazu gibt es reichlich, beweisen läßt sich angesichts rarer Funde wenig. Der britische Paläoanthropologe Ian Tattersall geht in unserer Titelgeschichte dieser Frage erneut nach (Seite 46).

In den letzten zwei Millionen Jahren sieht er immer wieder mehrere Hominidenarten im gleichen Lebensraum koexistieren. Die Evolution des modernen Menschen verlief danach keineswegs "linear", von stetig intelligenteren Wesen hin zu uns als vorläufiger Krone der Schöpfung. Vielmehr experimentierte die Natur häufig mit mehreren Varianten zugleich. Beispielsweise siedelten in Nordkenia phasenweise mindestens vier Menschenarten nebeneinander. Zuletzt verbrachten Neandertaler und Homo sapiens gemeinsam 60000 Jahre in der Gegend um Israel, bis vor 40000 Jahren das traute Beisammensein endete. Genau in diesem Zeitraum entwickelte der moderne Mensch, so Tattersal, offenbar eine überlegene Sprache. Seit vierzig Jahrtausenden fertigt er immer komplexere Werkzeuge, führt ein vielschichtiges Sozialleben und agiert zunehmend auch kulturell. Dank dieser geistigen Überlegenheit verdrängte er letztendlich auch die Neandertaler.

Ob wir, die nun einzige Hominidenart, auch weiterhin "Sieger" bleiben? In kommenden Jahrzehnten wächst die Weltbevölkerung womöglich über die Zehn-Milliarden-Grenze. Biologen berichten gerne von erfolgreichen Arten, die ihren Lebensraum eines Tages vollends dominierten – und rasch wieder von der Bildfläche verschwanden. Offensichtlich kann das Leben auch jene bestrafen, die zu erfolgreich sind. Dann schreiben die nächsten Sieger die Geschichte der Evolution weiter.


Aus: Spektrum der Wissenschaft 3 / 2000, Seite 3
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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