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Editorial



Verfolgt man längere Zeit die Mediendebatte um transgene Pflanzen, dann scheint es, als kämen "Gene" heute nur noch in Nahrungsmitteln mit manipuliertem Erbgut vor. Langsam, aber sicher ist der Name für die Erbfaktoren fast zum Schimpf- und Schandwort verkommen. Kein Wunder, wenn Pflanzenforscher bei genetisch manipulierten Organismen deshalb verschreckt oft lieber von "biotechnologisch verstärkten Pflanzen" sprechen. Aber Wortkosmetik beseitigt nicht das Dilemma in der Debatte um die neuen Lebens- und Futtermittel. Die Diskussion befindet sich in einem fatalen Konflikt zwischen Technikfurcht einerseits und dem Hungerproblem der Dritten Welt andererseits.

Vor allem Umwelt- und Menschenschützer glauben, die Antworten auf die kritischen Fragen längst zu kennen: Hat Gen-Nahrung fatale Langzeitfolgen für den Konsumenten, etwa weil sie Gene für Antibiotika-Resistenzen enthält? Werden Ökosysteme geschädigt? Könnten giftige Superpflanzen entstehen? Fördern die Neuschöpfungen gar eine irreversible genetische Umweltverschmutzung?

Das sind schwerwiegende Befürchtungen. Doch nach allen Untersuchungen scheinen die Risiken gering oder beherrschbar zu sein. Dem stehen immense Chancen gegenüber ? etwa höhere Erträge, kürzere Reifezeiten, gesteigerte Resistenzen gegen Schädlinge, Salz oder Trockenheit. Ein ausführliches Pro und Kontra drucken wir ab Seite 56.

In ihrem Entwicklungsprogramm haben die Vereinten Nationen erst im Sommer gefordert, gegen die Hungersnot in den ärmsten Ländern auch auf gentechnisch veränderte Nutzpflanzen zu setzen. Das ruft die Gen-Gegner auf den Plan. Letztlich ist ihr Widerstand aber nicht frei von der Arroganz der Satten gegenüber Hungrigen. Über 800 Millionen Menschen leiden an Hunger oder Mangelernährung, das sollte jede Anstrengung wert sein, selbst um den Preis eines gewissen Risikos.

Manche Kritiker der Gentechnik halten solche Argumente nur für moralische Erpressung. Gewiss muss man nicht blauäugig allen Heilsversprechungen glauben. Natürlich geht es ums Geschäft. Aber konstruktives Misstrauen und begleitende Kontrolle sollten als Vorsichtsmaßnahme reichen.

Im Übrigen neigen wir ohnedies dazu, beim Essen den Status quo zu verklären; dabei hat es eine "sichere Nahrung" nie gegeben. Täglich konsumiert jeder von uns bis zu zehntausend Giftstoffe. Viele davon, zum Beispiel im Kaffee, haben sich in Tierversuchen als Krebs erregend herausgestellt. Die Gentechnik hat nach heutigem Kenntnisstand noch kein Lebensmittel unsicherer gemacht, als es unsere tägliche Mahlzeit seit jeher war.

Aus: Spektrum der Wissenschaft 10 / 2001, Seite 3
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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