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Editorial



Der Angriff der USA auf die Taliban erst nach fast vier Wochen hat gezeigt, dass mit der "ersten Schlacht des 21. Jahrhunderts" wirklich eine neue Epoche begonnen hat – mit einem Konflikt, bei dem Diplomatie vor dem Waffengang rangierte. Trotzdem herrscht Trauer um die rund fünftausend Opfer der grauenvollen Terroranschläge in New York und Washington vom 11. September. Von noch im Sommer heiß diskutierten Wissenschaftsthemen ist derzeit kaum mehr die Rede. Historiker, Theologen, Geistes- und Sozialwissenschaftler standen lange nicht im Rampenlicht, plötzlich waren sie gefragt. Hatten sie überhaupt etwas zu den Ursachen oder Folgen der Tragödie mitzuteilen? Bei den Experten schälten sich immerhin einige Grundaussagen heraus.

Ende der Illusionen: Bisher glaubten die meisten Menschen, dass das Land mit der größten Wirtschaftsmacht auch die stärkste Verteidigung habe. Die wachsende Fertigkeit, Atome und Gene zu manipulieren, suggerierte, dass wir allmählich zur Allmacht fortschreiten. "Wir sehen jetzt, dass wir kleine verletzliche Wesen sind." (Horst-Eberhard Richter, Psychoanalytiker) Technologie: Es bedarf keiner Raketen, um anzugreifen. Messer und Rasierklingen tun es auch, also Mittel, die dem Faustkeil näher stehen als dem Kampflaser auf einem Satelliten. "Zu viel Geld für Hightech, zu wenig für klassische Aufklärung." (Ch. Johnson, US-Politikwissenschaftler) Krieg: Im Großangriff durch Terroristen verlieren nationale Grenzen an Bedeutung; bei der "asymmetrischen Kriegsführung" ist der Feind nicht mehr sichtbar. Krieg wird neu definiert, nicht mehr nur gegen Staaten, sondern auch gegen internationale Gruppen. Kann man noch von Krieg sprechen, wenn die Gegner sich nicht zu erkennen geben? Sie bilden ein Netzwerk statt einer geballten, lokalisierbaren Macht. Und gegen diesen Angriff aus dem Dunkeln versagen alte Rezepte. Gegenschlag: Wie bekämpft man einen Gegner, dessen vielleicht 3000 Mitglieder auf etwa fünfzig Länder verteilt sind? In einem Netz werden die Kommandowege schwer aufzuspüren sein, genauso wenig wie die Verantwortlichen. Die USA ziehen in eine andere Art von Krieg, der längst hinter den Kulissen läuft: Gegen die Terroristen kämpfen diesmal Geheimdienste, Politiker, Finanzexperten zugleich. Wirtschaft: Für die Vereinigten Staaten erwarten Experten für die nächsten zwei Jahre einen Wirtschaftsrückgang um drei Prozent – eine handfeste Rezession.

Terroristen: Die Urheber und Täter der tödlichen Attacken vom 11. September passen nicht mehr ins Klischee altmodischer Glaubenskrieger. Hier agierten Spezialisten, ausgebildet in Deutschland oder den USA, aus Ländern stammend, die selbst Verbündete der Vereinigten Staaten sind. Diese Terroristen zeigen sich perfekt organisiert, finanzkräftig und logistikstark. Wirkung: Die Terroristen wollen nicht unsere Standfestigkeit ins Wanken bringen, wie Bush sagte, oder uns gar zum Islam bekehren. Sie wollten das World Trade Center zerstören und so die Verwundbarkeit der USA demonstrieren. Zukunft: Die terroristische Bedrohung wird nicht auszurotten sein. Sie wird weiter wachsen ? mit oder ohne Osama bin Laden. Der Publizist Hendryk M. Broder: "Die eskalative Logik schreit nach Fortsetzung." Anschläge wie in den Vereinigten Staaten können sich auch in Europa wiederholen. Von den sieben Ländern, die Terrorismus unterstützen, arbeiten angeblich fünf an Biowaffen. Die Terrorakte gegen New York und Washington lassen sich noch überbieten (siehe Seite 25 sowie weitere Artikel auf den Seiten 88 – 97).

Aus: Spektrum der Wissenschaft 11 / 2001, Seite 3
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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