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Ein Beschleunigungssensorsystem in LIGA-Technik - Aufbau und Eigenschaften


Das automatische Erfassen physikalischer und chemischer Größen spielt in vielen Anwendungen eine immer bedeutendere Rolle. Ob nun die Sicherheit von Kraftfahrzeugen verbessert oder der Schadstoffgehalt der Luft überwacht werden soll – meistens erfordert die Sensorik kleine, kompakte und zuverlässige Meßfühler mit hoher Funktionalität. Dazu sind die Sensorelemente mit angepaßten Auswerteschaltkreisen und einer intelligenten Signalverarbeitung zu intelligenten Mikrosystemen zu kombinieren. Dabei setzt man zunehmend Sensor-Arrays ein, die aus winzigen einzelnen Elementen aufgebaut sind und deren Packungsdichte mit derjenigen mikroelektronischer Bauteile vergleichbar ist.

Die Mikrosystemtechnik erlaubt die kostengünstige Entwicklung und Fertigung solcher Arrays gemeinsam mit der zugehörigen Auswerteelektronik. Diese intelligenten Mikrosysteme haben entsprechend ihrem Einsatzzweck verschiedene Aufgaben zu erfüllen wie autonome Kontrolle, Selbstkalibrierung, Fehlertests, Zwischenspeicherung von Daten, Regelung von Teilsystemen und Kommunikation mit einem externen Rechner. Sie vermögen dadurch die anfallende Datenmenge auf die für die Anwendung nötige Information zu begrenzen und damit die Belastung der Übertragungskanäle zu reduzieren. Dies ist in einem vernetzten System Voraussetzung für eine effiziente und schnelle Kommunikation der verschiedenen Sensor- und Aktor-Einheiten untereinander oder mit dem übergeordneten Kontrollsystem, wodurch der Zentralrechner entlastet wird, die Reaktionsgeschwindigkeit sich erhöht und die Fehleranfälligkeit des Gesamtsystems abnimmt.

Am Kernforschungszentrum Karlsruhe haben wir ein mehrdimensionales Beschleunigungsmeßsystem entwickelt, das als einfaches Beispiel für den Aufbau von Mikrosystemen dienen kann und ihre Vorteile zu verdeutlichen vermag. In einer ersten Aufbaustufe besteht es aus Sensoren, die Beschleunigung in x- und y-Richtung registrieren, wobei jeweils drei identische mikromechanische Sensor-Elemente zusammengefaßt sind (Bild 1). Durch diese redundante Auslegung, die aufgrund des mikromechanischen Herstellungsprozesses keinen zusätzlichen Fertigungsschritt benötigt, wird die Forderung nach einer höheren Zuverlässigkeit der Signalaufnahme und einer hohen Meßgenauigkeit erfüllt. Im derzeitigen Modell sind die Sensorelemente über Drähte mit der Auswerteelektronik verknüpft. Diese Signaldetektionseinheit ist über einen Leiterplattenaufbau mit einem Mikroprozessor verbunden, der es durch eine programmierbare Auswertung gestattet, die aufgenommenen Meßsignale durch Filtern, Mittelwertbildung oder andere Operationen flexibel und effektiv an unterschiedliche Anwendungen anzupassen. Da es sich um eine Demonstrationseinheit handelt, ist der Elektronikteil sehr universell und leistungsfähig ausgerüstet. Auf besonders kompakte Abmessungen des experimentellen Gesamtsystems wurde zunächst verzichtet.

Ein zuverlässig arbeitendes Mikrosystem erfordert eine möglichst störungsfreie Signaldetektion und eine Auswerteelektronik, die auf mögliche Änderungen des Signalverhaltens der Sensor-Elemente ohne Eingriff von außen zu reagieren vermag. Dennoch soll die Auswerteelektronik möglichst einfach aufgebaut sein, um elektronische Störeinflüsse möglichst gering zu halten und zusätzlichen Fertigungsaufwand zu vermeiden.


Das Sensor-Element

Damit die Auswerteschaltung einfach zu halten ist, müssen die Sensor-Elemente möglichst unempfindlich gegen Störsignale sein. Damit erübrigen sich aufwendige Kompensationsmaßnahmen in der Elektronik. Eine zu große Temperaturabhängigkeit des Sensorsignals beispielsweise würde erfordern, zusätzlich die Temperatur zu messen und das Signal durch den Schaltkreis entsprechend anzupassen. Darum ist es zweckmäßig, eine Temperaturkompensation bereits im Sensor-Element vorzunehmen.

Für den Beschleunigungssensor, bei dem wie bei einem Seismometer die Auslenkung einer frei schwingenden Masse die Information über eine Geschwindigkeitsänderung liefert, haben wir dies durch die Geometrie des Sensor-Elements erreicht (Bild 3). Die aus Nickel bestehende, gabelförmig ausgebildete seismische Masse ist mit einer dünnen Biegezunge an einem Lagerblock aufgehängt. Dieser befindet sich ebenso wie die feststehenden Gegenelektroden auf einem Keramiksubstrat. Bei einer Temperaturerhöhung dehnt sich die Metallstruktur stärker aus als die keramische Grundplatte, was die Spaltweite zwischen Gegenelektroden und seismischer Masse verändert. Durch die Aufteilung der Gegenelektrode in eine innere und eine äußere Struktur ergibt sich ein Kondensator mit positivem und negativem Temperaturgang; bei entsprechender Anpassung der Kondensatorlänge kompensieren sich dann die Effekte gerade.

Derartige Sensoren reagieren auf Temperaturänderungen von beispielsweise 100 Grad Celsius, wie sie üblicherweise beim Einsatz in Kraftfahrzeugen auftreten können, mit einer Änderung des Meßsignals um höchstens ein Prozent. Damit erübrigt sich eine elektronische Kompensation von Temperatureffekten.

Zusätzliche Vorteile bietet eine Quotientenauswertung der von einer Beschleunigung verursachten Kapazitätsänderung. Das Meßsignal ändert sich dann nämlich um weniger als 0,1 Prozent, so daß selbst für Präzisionssysteme keine Temperaturkompensation erforderlich ist. Dabei ist jedoch darauf zu achten, daß beide Kondensatoren im Ruhezustand dieselbe Kapazität aufweisen – was bei der Herstellung mittels LIGA-Prozesses gewährleistet ist.

Bei diesem Verfahren werden durch Röntgentiefenlithographie oder Kunststoffabformung auf einer entsprechend vorbehandelten Keramikplatte negative Kunststoff-Formen der gesamten Sensorstruktur hergestellt, die galvanisch mit Metall befüllt werden (Bild 2). Die Beweglichkeit der seismischen Masse wird erreicht, indem man nach der Galvanoformung eine unter ihr befindliche strukturierte Opferschicht weglöst. Weil für den Aufbau der Sensoren keinerlei Strukturteile zusammengefügt werden müssen, wird die Gleichheit der beiden Kondensatorspalte bereits durch das im Strukturierungsprozeß zu übertragende Design gewährleistet.

Hohe Linearität der Sensoren wird ebenfalls durch den Prozeß erzielt, weil sich mit dem Strukturierungsverfahren eine beliebige Querschnittsgeometrie realisieren läßt. Man wird somit das Design entsprechend auslegen. In den bisherigen Prototypen ist dies dadurch realisiert, daß die seismische Masse an zwei speziell ausgelegten Biegezungen aufgehängt ist (Bild 4).

Bei dem derzeitigen Aufbau sind Sensor-Elemente und Auswerteschaltungen mit feinen Drähten verbunden. Die entsprechenden Anschlüsse oder Bondstellen erweisen sich jedoch als Störquellen, weil sie als zusätzliche Kapazitäten wirken. Man ist deshalb bestrebt, diese Art von Verbindungen durch solche geringerer Kapazität zu ersetzen. Dies geschieht beispielsweise durch eine quasi-monolithische Integration von Sensor-Element und mikroelektronischer Schaltung, indem die Kunststoffstruktur des Beschleunigungssensors durch Warmumformung direkt auf den elektronischen Chips hergestellt wird.


Die Auswerteschaltung

Wenngleich die geforderte Zuverlässigkeit des Gesamtsystems bereits durch die genannten Maßnahmen beim Auslegen und Herstellen der Sensor-Elemente erfüllt ist, wird man versuchen, sie durch den Aufbau einer angepaßten elektronischen Schaltung weiter zu erhöhen. Zweckmäßig ist, daß das Sensorsystem selbst die ordnungsgemäße Funktion der Meßfühler überprüft.

Bei den Differentialsensoren des vorgestellten Systems besteht nun die Möglichkeit, durch Anlegen einer Gleichspannung an der beweglichen Mittelelektrode elektrostatische Kräfte angreifen zu lassen. Durch eine geeignete Lagedetektionsschaltung, zum Beispiel eine Modulationsschaltung, läßt sich die Auslenkung der seismischen Masse als Funktion der elektrostatischen Kraft ermitteln. Bei Wahl einer entsprechend hohen Trägerfrequenz wird eine Signaltrennung der modulierten Meßgröße und der niederfrequenten Anregungsspannung erreicht. Das eigentliche Meßsignal ergibt sich dann nach Demodulation und Filterung.

Werden diese Daten in dem Mikroprozessor abgelegt, ist immer eine aktuelle statische oder dynamische Korrektur der gemessenen Ergebnisse möglich. Damit ist für die gesamte Einsatzzeit des Sensorsystems eine optimal genaue Auswertung des Beschleunigungswertes gewährleistet.

Für die jeweilige Anwendung läßt sich das Sensorverhalten weiter verbessern, indem man die Lagedetektionsschaltung zu einer lagegeregelten Schaltung erweitert. Dabei wird die Trägheitskraft, die bei einer Beschleunigung an der seismischen Masse angreift, durch eine elektrostatische Kraft gezielt kompensiert. Die Regelgrößen werden hierbei über ein geeignetes Element vorgegeben. So bleibt die seismische Masse praktisch immer in ihrer Ruhestellung.

Meßgröße bei einer solchen Schaltung ist nicht mehr die Kapazität, sondern die krafterzeugende elektrische Spannung. Nach diesem Prinzip kann man Einflüsse des elastischen Verhaltens der Biegezunge ausgleichen und damit die Grenzfrequenz des Systems verändern. Da es sich um ein rückgekoppeltes System handelt, läßt sich durch eine Variation der Reglerparameter das gesamte dynamische Verhalten des Sensors anwendungsorientiert einstellen.

Das Verhalten des Gesamtsystems

Durch die Kombination von Sensoren, Elektronik und intelligenter Signalverarbeitung in Form eines Mikrosystems kann man zwar bereits bei Einzelsensoren die Leistungsfähigkeit erhöhen; die Vorteile mikrosystemtechnischer Fertigungsmethoden lassen sich freilich erst dann voll ausschöpfen, wenn man überdies die Möglichkeit der parallelen Fertigung der Sensoren konsequent nutzt und sie als Arrays aufbaut, um entweder das Meßsystem redundant auszulegen oder den Meßbereich durch Einsatz von Sensoren mit gestufter Empfindlichkeit zu erweitern.

Durch Vergleich der Signale mehrerer gleicher Sensoren erhöht sich die Aussagekraft erheblich. Bei dem Beschleunigungssensor werden in einer ersten Auswertungsebene Plausibilitätstests durchgeführt, um defekte Sensoren oder solche, die unlogische Signale liefern, von der weiteren Signalverarbeitung auszuschließen (Bild 5).

Auch die Anordnung der Sensoren in x- und y-Richtung bietet Vorteile. Denn Beschleunigungen, die nur in einer dieser Richtungen wirken, können von den dazu parallelen Sensoren nicht, von den dazu senkrechten jedoch eindeutig registriert werden. Die zweidimensionale Anordnung erhöht demnach die Systeminformation.

Gleichwohl müssen nicht zwangsläufig mehr Daten gespeichert oder weitergeleitet werden: Eine zweite Signalverarbeitungsebene im Mikroprozessor vermag die Daten auf ein unerläßliches Maß zu reduzieren. So genügt es etwa bei Schwingungsvorgängen, Periode und Dämpfung der Schwingung an die übergeordnete Kontrolleinheit weiterzugeben; beide Größen lassen sich durch eine im Mikroprozessor implementierte Fouriertransformation ermitteln. Auf ähnliche Weise brauchen Stoßanregungen nicht als Gesamtsignal weitergeleitet zu werden, sondern lediglich als Information, daß ein bestimmter Schwellenwert überschritten ist.

Alle die hier am einfachen Beispiel eines Beschleunigungssensorsystems demonstrierten Vorstellungen und Vorgehensweisen finden sich auch in anderen Mikrosystemen wieder. Zumeist dürften sie wohl eine höhere Funktionalität aufweisen und nicht nur mikromechanische Sensor-Elemente und intelligente Elektronik miteinander verknüpfen; vielmehr werden auch optische, fluidische oder aktorische Funktionselemente Systembestandteile sein, wie sie etwa für chemische Mikroanalysesysteme erforderlich sind.


Aus: Spektrum der Wissenschaft 2 / 1994, Seite 99
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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