Editorial: Ein Lob der Skepsis
Meine eigene wissenschaftliche Laufbahn als Biochemiker war sehr kurz. Im Verlauf der Promotion wurde mir zunehmend klar, dass die aktive Forschung nichts für mich ist, auch wenn mich die Inhalte sehr interessierten. Daher orientierte ich mich danach um und begann meine Tätigkeit als Redakteur, die mir bis heute viel Freude bereitet.
Aber warum bekam ich damals eigentlich das Gefühl, im Labor fehl am Platz zu sein? Unter anderem schiebe ich es auf meinen Eindruck, aus den Beobachtungen nicht die gleichen Schlüsse zu ziehen wie der Leiter oder andere Doktoranden der Arbeitsgruppe. Generell tendierte ich zu einer skeptischen Einstellung und war nicht leicht davon zu überzeugen, dass es sich bei den Ergebnissen tatsächlich um belastbare Daten handelt. So glaubten die Kollegen in meinen genetisch veränderten Zellkulturen »ganz offensichtliche« Veränderungen zu erkennen, die sich für mich noch im Rahmen der normalen Variation befanden. Einmal sagte mein Betreuer halb verzweifelt, halb amüsiert, er habe den Eindruck, ich wolle überhaupt kein (positives) Ergebnis haben, da ich immer wieder mit Gegenargumenten käme.
Ulrich Dirnagl würde vielleicht eher von angemessener Vorsicht sprechen. Der Autor unseres Beitrags ab S. 38 ist Direktor des 2017 gegründeten Berliner QUEST Centers. Dieses hat sich dem Ziel verschrieben, die Qualität biomedizinischer Forschung zu verbessern. Ein wichtiger Punkt ist dabei, den auf Forschern lastenden Druck zu verringern, für ihre Karriere möglichst viele Publikationen in angesehenen Fachjournalen unterzubringen. Das bringt nämlich die Versuchung mit sich, nur positive Ergebnisse zu berücksichtigen und unpassende Daten gelegentlich mal unter den Tisch fallen zu lassen, weil damit die Chancen der Veröffentlichung steigen. Diese »verborgene analytische Flexibilität«, wie Dirnagl das nennt, führt mit dazu, dass sehr viele Studien sich nicht reproduzieren lassen, also letztlich wertlose Ergebnisse liefern.
Das ist ein drängendes Problem, gerade heute im Zeitalter »alternativer Fakten«, in dem der empirische Zugang der Wissenschaft zu entscheidenden Herausforderungen, etwa zur Covid-19-Pandemie oder zum Klimawandel, zunehmend in Frage gestellt wird. Mehr denn je braucht es seriöse, sich selbst hinterfragende – eben skeptische – Forscher, die als allgemein akzeptierte Instanz solide Leitlinien für persönliches wie politisches Handeln in schwierigen Bereichen liefern können.
Herzlich Ihr Hartwig Hanser
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