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Quantenoptik: Ein Molekül aus einem Atom und einem Photon

Physikern ist es gelungen, ein Atom und ein Lichtquant zwischen zwei hoch reflektierenden Spiegeln zu verbinden. Ein solches Atom-Photon-Molekül könnte den gezielten Abruf von Informationen in künftigen Quantencomputern ermöglichen.


In einem Akt der Verzweiflung" führte Max Planck im Jahr 1900 die Quantenhypothese in die Physik ein. Nur damit konnte er die Wärmestrahlung eines Objekts erklären, das einfallende Strahlung vollständig verschluckt und in Wärme umwandelt. Einen solchen "schwarzen Körper" realisierten die Physiker damals als Hohlzylinder mit einer kleinen Öffnung. Licht, das durch das Loch eintritt, wird im Inneren vollständig absorbiert. Durch die Öffnung zurück nach außen gelangt nur noch Wärmestrahlung, die allein von der Temperatur des Körpers abhängt. Um deren Spektrum berechnen zu können, musste Planck annehmen, dass das Lichtfeld im Hohlkörper Energie nicht in beliebigen Portionen mit den Wänden austauschen kann, sondern nur in diskreten "Quanten", die wir heute Photonen nennen.

Plancks Annahme war der Beginn einer Revolution in der Physik, aus der die heute gängige Theorie zur Beschreibung der atomaren und subatomaren Welt hervorging. Vor hundert Jahren schien es allerdings völlig unvorstellbar, dass man jemals mit einzelnen Photonen in einem Hohlraum experimentieren könnte. Das ist erst in neuerer Zeit den Laserphysikern gelungen. An die Stelle des mit Wärmestrahlung gefüllten schwarzen Körpers zu Plancks Zeiten ist dabei allerdings sein elegantes modernes Pendant getreten: Das elektromagnetische Vakuum zwischen hoch reflektierenden Spiegeln.

In einem solchen Hohlraum ist nun sogar ein besonderes Kunststück geglückt: Unabhängig voneinander konnten Jeff Kimble am California Institute of Technology in Pasadena (Kalifornien) und meine Forschergruppe am Max-Planck-Institut für Quantenoptik in Garching bei München mit einzelnen Photonen einzelne Atome festhalten und deren Bewegung zugleich in Echtzeit mit hoher räumlicher und zeitlicher Auflösung beobachten.

Die Spiegel mussten dazu extremen Ansprüchen genügen, die erst in jüngster Zeit erfüllbar wurden. Konventionelle Exemplare aus Glas mit einer Deckschicht aus Aluminium oder Silber, wie sie in jedem Badezimmer hängen, haben noch Reflexionsverluste von einigen Prozent. Dagegen kann man heute Spiegel fertigen, deren Verluste gerade noch ein zehntausendstel Prozent betragen. Sie bestehen aus einem extrem glatten Glasträger, auf den im Wechsel bis zu fünfzig hauchdünne transparente Schichten aus Silizium- und Tantaloxid aufgedampft sind.

Fällt Licht auf ein solches System, wird an jeder Schichtgrenze ein Teil zurückgeworfen. Die reflektierten Wellen überlagern sich und verstärken sich gegenseitig, sofern die Dicken und Brechungsindizes der einzelnen Schichten passend gewählt sind. Aus derart hochwertigen Spiegeln lassen sich so genannte optische Resonatoren bauen, in denen das Licht fast eine Million Mal hin und her reflektiert und entsprechend lange gespeichert wird – je nach Abstand zwischen den Spiegeln bis zu einigen tausendstel Sekunden.

Gefangen in der optischen Falle

Ein Atom, das in einen solchen Resonator gebracht wird, ändert seine Strahlungseigenschaften grundlegend. Ohne diese High-Tech-Umgebung fiele es von einem angeregten Zustand in kürzester Zeit – gewöhnlich nach etwa zehn Millionstel Millisekunden – in den Grundzustand zurück. Im Verlauf dieses Vorgangs würde es ein Photon aussenden. Lange galt der rasante Zerfall des angeregten Zustands als fundamentale Eigenschaft des Atoms, die nicht beeinflusst werden kann. Erst seit kurzer Zeit weiß man, dass dies durch die Wahl einer geeigneten Umgebung sehr wohl gelingt.

Eine solche Umgebung ist der geschilderte optische Resonator. Bringt man ein angeregtes Atom in einen solchen Hohlraum, kommt es zu einer exotischen Situation: Nachdem das Lichtteilchen emittiert worden ist, wird es im Resonator gespeichert und nach kurzer Zeit vom Atom wieder aufgenommen. Anschließend wird es erneut ausgesandt, und der Vorgang beginnt von vorne. Das Wechselspiel von Absorption und Emission endet erst dann, wenn das Photon wegen der Unvollkommenheit der Spiegel schließlich entweicht. Wird sein Verlust durch eine äußere Lichtquelle immer wieder ausgeglichen, lässt sich der pendelnde Energieaustausch zwischen Atom und Resonator im Prinzip beliebig lange aufrechterhalten.

Oszillationen zwischen gekoppelten Quantensystemen sind an sich nichts Neues. Der typische Fall ist die chemische Bindung zwischen gleichartigen Atomen, zum Beispiel zwei Sauerstoffatomen, die sich zum Molekül des Luftsauerstoffs vereinen. Dort können die Bindungselektronen zwischen beiden Partnern hin und her springen und gehören ihnen daher gemeinsam.

Bei dem zwischen Spiegeln gefangenen Atom verhält es sich ganz ähnlich: Hier sind es das Atom und der Resonator, die sich die Anregungsenergie teilen. Es entsteht eine Art Molekül aus einem Atom und einem Photon – eine "Ehe" zwischen wahrhaft ungleichen Partnern! Und ihre Bindung ist mehr als eine platonische Idee der Quantenmechanik. Das im Resonator gespeicherte Photon hält das Atom tatsächlich fest – in einem Bauch der stehenden Welle, die das Photon bildet, wenn es zwischen den Spiegeln hin und her reflektiert wird.

Allerdings ist die Bindungsenergie des resultierenden "Moleküls" so klein, dass sie nicht einmal einer sehr schwachen thermischen Atombewegung standhalten würde. Das Atom muss daher extrem gekühlt werden: Erst bei einem tausendstel Grad über dem absoluten Temperatur-Nullpunkt (–273,15 Grad Celsius) ist die Verbindung stabil.

Beim Überwinden dieser Hürde profitierten wir wiederum von technologischen Fortschritten aus jüngster Zeit: der Entwicklung äußerst effizienter Laserverfahren zur Kühlung von Atomen. Dabei senden Präzisionslaser Photonen aus, deren Impuls in Betrag und Richtung sehr genau definiert ist. Bei der Absorption durch ein Atom übertragen die Lichtquanten ihren Impuls, was sich zum Abbremsen des Teilchens nutzen lässt. Mithilfe mehrerer Laserstrahlen, deren Richtungen und Wellenlängen geschickt gewählt werden, kann man ein Atom so nahezu stoppen.

Nachweis der Paarbildung

Auf diese Weise ist Kimbles Team und meiner Forschergruppe in Garching kürzlich das Kunststück geglückt, ein einzelnes Atom zwischen zwei hoch reflektierende Spiegel einzusperren. Dort verband es sich mit dem anwesenden Photon zu dem theoretisch vorhergesagten Molekül. Das ungleiche Paar ließ sich immerhin einige Millisekunden lang beobachten.

Aber wie ist es überhaupt möglich, ein Atom-Photon-Molekül nachzuweisen? Dazu muss man zeigen, dass das Atom wegen der Bindung an das Lichtteilchen längere Zeit in einem Bauch der zugehörigen stehenden Welle festgehalten wird. Üblicherweise – zum Beispiel in einem Mikroskop – lässt sich der Ort eines Objekts ermitteln, indem man es mit Licht bestrahlt und dessen Streuung beobachtet. Ein einzelnes Atom aber ist so winzig, dass es nur wenige Photonen streut. Außerdem kann man nicht vor-hersagen, in welche Richtung das Licht abgelenkt wird; größtenteils geht es daher am zumeist kleinen Detektor vorbei.

Bei dem im Resonator gefangenen Atom befinden sich die Physiker aber in einer sehr viel günstigeren Situation. Zum einen brauchen sie keine zusätzlichen Photonen, deren Streuung den Aufenthaltsort des Teilchens verrät; dazu kann das im Resonator hin und her reflektierte Lichtquant selbst dienen. Zum anderen hat die Geometrie des Systems eine stark ordnende Wirkung auf die Strahlungseigenschaften des Atoms: Sie zwängt das Licht gleichsam in ein geometrisches Korsett. Dadurch sendet das Atom Photonen nur in Richtung der Resonator-Achse aus. Da die Lichtquanten nach einer gewissen Zeit den Resonator durch einen der beiden Spiegel hindurch verlassen, kann man sie mit einem hoch empfindlichen Photonenzähler messen, der exakt in Achsenrichtung zentriert ist.

Drittens schließlich beeinflusst die stehende Lichtwelle nicht nur die Richtung, sondern auch den Ort der Emission: Das Atom sendet Licht bevorzugt an einem Schwingungsbauch aus; an einem Knoten ist die Emission dagegen unterdrückt. Die Position des Atoms innerhalb der stehenden Lichtwelle lässt sich also unmittelbar aus der Lichtintensität ablesen, die ein Detektor hinter dem Spiegel registriert. Aus deren Verlauf konnten wir folglich die Bewegung des Atoms in Echtzeit verfolgen und seine Position auf einige tausendstel Millimeter genau bestimmen.

So aufregend diese Experimente waren, bilden sie allerdings nur die erste Etappe auf dem Weg zu einem viel weiter gesteckten Ziel. Statt der bloßen Beobachtung streben wir die gezielte Manipulation von Quantenzuständen an. Dahinter steckt die Hoffnung, dereinst kontrollierbare Quantensysteme nach dem Baukastenprinzip aus einzelnen Elementen zusammenfügen zu können – Grundlage künftiger Quantencomputer.

Einzelne Atome sind ideale Speichermedien für Quantenbits, und Photonen eignen sich bestens zur Informationsübertragung zwischen ihnen. Doch wie die Information abrufen? Bisher war völlig unklar, wie sich das in einem Atom gespeicherte Bit auf kontrollierte Weise in ein Lichtsignal verwandeln lässt. Unser geglücktes Experiment und das der Kollegen aus Pasadena eröffnet hier eine aussichtsreiche Möglichkeit. Denn das Atom-Photon-Molekül hat das Zeug zu einer Photonenpistole, die sozusagen per Knopfdruck ein einzelnes Lichtquant abschießt. Damit schließt sich die Lücke zwischen der Speicherung und der Übertragung von Quantenbits. Ein Jahrhundert nach Plancks "Akt der Verzweiflung" herrscht unter seinen Erben daher erneut Aufbruchstimmung.

Aus: Spektrum der Wissenschaft 8 / 2001, Seite 16
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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