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Anlage-Umwelt-Debatte: Ein unsinniger Streit

Die Gene prägen unsere intellektuellen Fähigkeiten. Doch sind manche Menschen oder Bevölkerungsgruppen deshalb "von Natur aus" weniger schlau als andere? Seit Jahrzehnten führt diese Frage zu hitzigen Debatten. Dabei ist die Anlage-Umwelt-Kontroverse wissenschaftlich überholt!
Einstein-Effekt

2010 schwappte eine Welle der Empörung durchs Land. Deutschland werde immer dümmer, verkündete damals der Politiker und Buchautor Thilo Sarrazin. Hauptgründe für den Niedergang sei der Kinderreichtum von intellektuell weniger begabten Zeitgenossen, wohingegen die schlauen zu wenig für ihren Nachwuchs täten. In seinem Bestseller "Deutschland schafft sich ab" erklärte Sarrazin auch gleich, warum dieser Trend so beunruhigend sei: "Unter seriösen Wissenschaftlern besteht heute (...) kein Zweifel mehr, dass die menschliche Intelligenz zu 50 bis 80 Prozent erblich ist." Werden nun gleichzeitig die Dummen immer zahlreicher, sinke logischerweise der Gesamt-IQ der Nation. Steigen würden allein die gesellschaftlichen Kos­ten für die wachsende Unterschicht – denn die lebe zum Großteil von Sozialleistungen.
Rekapituliert man die Diskussion über Sarrazins Thesen, kann man nur ungläubig den Kopf schütteln. So erklärte die Lernforscherin Elsbeth Stern von der ETH Zürich in der "Zeit", der SPD-Politiker habe "Grundlegendes über Erblichkeit und Intelligenz nicht verstanden". Die Psychologen Heiner Rindermann und Detlef Rost hielten in der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" dagegen: "Sarrazins Thesen sind, was die psychologi­schen Aspekte betrifft, im Großen und Ganzen mit dem Kenntnisstand der modernen psychologischen Forschung vereinbar."
Ob Forscher, Politiker oder Journalisten – die Öffentlichkeit war tief gespalten ...

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Spektrum - Die Woche – Die Schattenseiten der Tradwives

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Gehirn&Geist – Selbstüberschätzung: Wie Unwissenheit zu falschem Selbstvertrauen führt

Laut dem Dunning-Kruger-Effekt führt Unwissenheit zur Selbstüberschätzung, weil die Kompetenz fehlt, seine Grenzen zu erkennen. Andere Fachleute bezweifeln die psychologische Erklärung, manche halten den Effekt sogar für ein reines statistisches Artefakt. Ist dem wirklich so? Daneben geht David Dunning im Interview auf seine Studien über Selbstüberschätzung, Wunschdenken und leichtfertiges Vertrauen ein. Darüber hinaus erfahren Sie in dieser Ausgabe, wie künstliche Intelligenz die Analyse von Hirnaktivitäten auf ein neues Niveau hebt und damit neue Einblicke in die Funktionsweise des menschlichen Gehirns ermöglicht. Lähmungen oder Zittern ohne erkennbare Ursache galten lange als rätselhaft, doch langsam werden funktionelle Bewegungsstörungen immer besser verstanden und wirksame Therapien entwickelt. Im Rahmen der Serie »Die Sprache der Wale« stellen wir die komplexe Sprache der Delfine und Wale vor und wie diese mit künstlicher Intelligenz entschlüsselt wird. Zudem berichtet der Biologe Lars Chittka über seine Forschungen an Bienen und andere Insekten, die weitaus komplexere kognitive Fähigkeiten besitzen als bislang gedacht.

  • Quellen und Literaturtipp

Literaturtipp

Zimmer, D. E.:Ist Intelligenz erblich? Eine Klarstellung. Rowohlt, Reinbek bei Hamburg, 2012.
Umfassende, kritische Übersicht zur Intelligenzforschung


Quellen

Haller M., Niggeschmidt, M. (Hrsg.):Der Mythos vom Niedergang der Intelligenz. Von Galton zu Sarrazin: Die Denkmuster und Denkfehler der Eugenik. Springer VS, Wiesbaden 2012

Jensen, A. R.:How Much Can We Boost IQ and Scholastic Achievement? In: Harvard Educational Review 39, S. 1-123, 1969

Joseph, J.:Separated Twins and the Genetics of Personality Differences: A Critique. In: The American Journal of Psychology 114, S. 1-30, 2001

Miller, A.:The Pioneer Fund: Bankrolling the Professors of Hate. In: The Journal of Blacks in Higher Education 6, S. 58-61, 1994

Neisser, U. et al.:Intelligence: Knowns and Unknowns. In: American Psychologist 51, S. 77-101, 1996

Sarrazin, T.: Deutschland schafft sich ab. Wie wir unser Land aufs Spiel setzen. DVA, München 2010

Wicherts, J. M. et al.:A Systematic Literature Review of the Average IQ of Sub-Saharan Africans. In: Intelligence 38, S. 1-20, 2010

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