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Das Kleinwaffenproblem: Eine europäische Perspektive



Die Staaten der Europäischen Union beschlossen im Dezember 1998 ihren eigenen regionalen Ansatz "Bekämpfung der destabilisierenden Akkumulation von Kleinwaffen". Mit dieser Gemeinsamen Aktion – dem wohl wirksamsten Maßnahmentyp innerhalb der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik – steckte der EU-Ministerrat den Rahmen für konkrete Programme bewusst weit: Die übermäßige und unkontrollierte Anhäufung von Kleinwaffen soll präventiv und reaktiv bekämpft werden. Die EU offeriert dazu den betroffenen Regionen und Staaten quasi als Gegenleistung für Rüstungskontroll- und Abrüstungsschritte Entwicklungshilfe.

In jedem Einzelfall sind dabei die legitimen Sicherheitsinteressen der Staaten zu berücksichtigen. So gilt es zum Beispiel abzuwägen, welche und wie viele Feuerwaffen im Besitz von Polizei und Armee sein dürfen. Das durchaus bekannte Problem von innerstaatlichem Missbrauch in diesen Institutionen zeigt jedoch, wie problematisch es ist, einen politischen Begriff angemessen zu definieren.

Die EU-Staaten beabsichtigen mit ihrer Gemeinsamen Aktion, Ländern mit hoher Verbreitung von Kleinwaffen finanzielle und technologische Hilfe – zum Beispiel für Abrüstungsmaßnahmen – zukommen zu lassen. Um wirkliche Nachhaltigkeit zu gewährleisten, sollen aber schon im Vorfeld gewisse Bedingungen gestellt werden, etwa die Erfassung staatlicher Bestände in Registern oder die Zerstörung überschüssiger Bestände.

Die Geschehnisse in Albanien demonstrierten eindringlich, wie groß die Gefahr ist, dass Kleinwaffen aus Armeebeständen in Privatbesitz gelangen und gleichsam die Grundlage für einen florierenden Waffenhandel bilden: Über 500000 Kleinwaffen und dazugehörige Munition gerieten infolge innerer Unruhen im März 1997 in private Hände und tauchten später zum Großteil wieder im benachbarten Kosovo auf.

Die UN-Abteilung für Abrüstung (UNDDA) entwickelte im Juni 1998 für den Bezirk Gramsh in Albanien das Pilotprogramm "Weapons in Exchange for Development". Der innovative Ansatz knüpft die freiwilligen Abrüstungsprogramme an das Versprechen, sich finanziell am Wiederaufbau sozialer und wirtschaftlicher Infrastruktur zu beteiligen. Die bisherige Resonanz: Schon in den ersten Monaten konnten im Bezirk Gramsh über 7000 größtenteils voll funktionsfähige Kleinwaffen eingesammelt werden. Das Projekt wurde zugleich zum ersten "Testfall" für die Gemeinsame Aktion der EU-Staaten. Nachdem die albanische Regierung der Zerstörung der eingesammelten Waffen zugestimmt und damit eine wichtige Bedingung für die Hilfe erfüllt hat, beteiligt sich die EU zunächst mit 500000 Euro. Neben dem Gramsh-Projekt sollen auch in Kambodscha und in Kooperation mit Südafrika in Mosambik Entwaffnungs- und Abrüstungsprogramme durchgeführt werden.

So lobenswert die Intention der Gemeinsamen Aktion auch ist – bislang mangelt es an der praktischen Umsetzung und Initiierung insbesondere auch längerfristiger Hilfsprojekte. Dazu müssten die Mittel erheblich aufgestockt werden. Doch der Ansatz der Gemeinsamen Aktion trägt der komplexen Problematik Rechnung und ist deshalb richtungsweisend. Entwaffnung allein reicht nicht aus, auch die Konfliktursachen sowie wirtschaftliche und soziale Fragen müssen in einem regionalen Kontext bearbeitet werden. Dazu gehört beispielsweise die "Kultur der Gewalt", die in Staaten mit hoher Kleinwaffenproliferation stetig zunimmt. Nur wenn die Aufgaben – wie die Demobilisierung ehemaliger Kämpfer und deren gesellschaftliche Reintegration sowie der Aufbau demokratischer Strukturen – gleichzeitig angegangen werden und auch die Zivilgesellschaft vor Ort in diesen Prozess eingebunden wird, kann die Kleinwaffenproblematik nachhaltig gelöst werden.

Aus: Spektrum der Wissenschaft 8 / 2000, Seite 67
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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