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Zusatzbeitrag: Eine neue Art, Quantenbits stabil zu speichern

Es ist möglich, einen kohärenten Quantenzustand durch Intervention von außen wiederherzustellen - vorausgesetzt, man schaut dabei nicht richtig hin.

Die Korrektur zufälliger Fehler in einem Quanten-Computer ist ein besonders vertracktes Problem. Um einen fehlerhaften Zustand zu korrigieren, muß man normalerweise etwas über ihn wissen. Um dieses Wissen zu gewinnen, muß man eine Messung vornehmen; aber jede Messung beeinflußt zugleich unvermeidlich den Zustand des gemessenen Systems. Jeder physikalische Effekt, der über den Systemzustand irgendeine Information liefert – so allgemein ist "Messen" zu verstehen –, ruiniert also aus prinzipiellen Gründen, was er eigentlich reparieren helfen soll.

Der bisher vorgeschlagene Weg zur Umgehung dieses Dilemmas (vergleiche den vorstehenden Artikel) besteht darin, die Messung so anzulegen, daß ihr ohnehin unvermeidlicher Einfluß auf das System einer Korrektur gleichkommt. Das kann wegen der genannten Prinzipien nicht immer funktionieren, aber unter günstigen Umständen doch mit hoher Wahrscheinlichkeit.

Dem Verfahren liegt der sogenann- te Quantum-Watchdog-Effekt zugrunde. Der Name spielt auf einen idealen Wachhund (watchdog) an, der einen potentiellen Einbrecher durch bloßes Knurren, ohne zuzubeißen, auf den Pfad der Tugend zurückscheucht; ein Quanten-Wachhund ist ein Meßgerät, das nur einen Teilaspekt eines quantenmechanischen Zustands mißt (und damit unvermeidlich beeinflußt), alle übrigen jedoch unangetastet läßt. Das System verläßt den Pfad der Tugend (mathematisch: den Unterraum der zulässigen Zustände) nicht plötzlich, sondern allmählich. Wenn der Wachhund also rechtzeitig – das heißt in der Konsequenz: hinreichend häufig – knurrt, erwischt er das System in einem Zustand, in dem die Abweichung noch sehr klein ist, und befördert es mit hoher Wahrscheinlichkeit auf dem kürzesten Wege (durch eine sogenannte Projektion) in den richtigen Unterraum zurück. Dadurch gerät es fast genau an die Stelle, an die es ohne die Abweichung geraten wäre. Mit einer sehr geringen Wahrscheinlichkeit kann jedoch der Wachhund bei jedem Knurren den Zustand zerstören. Beide Effekte ergänzen sich ungünstig: Knurrt der Wachhund zu selten, ist das System inzwischen schon zu weit vom richtigen Wege abgewichen, so daß die Korrektur in die Irre geht; knurrt er zu häufig, zerstört er mit zu hoher Wahrscheinlichkeit den Zustand, den er erhalten soll.

Die Physiker Peter Zoller von der Universität Innsbruck und Hideo Mabuchi aus der Gruppe von H. Jeff Kimble vom California Institute of Technology in Pasadena haben nun auf der diesjährigen Sommerschule für Quantenoptik in Les Houches (Frankreich) ein neues Verfahren vorgeschlagen, das dieses Dilemma wirksam überwindet. Die Idee ist, den Zustand so zu messen, daß man ihn zwar korrigieren, aber aus der Messung keine Information über ihn entnehmen kann – jedenfalls keine wesentliche. Diese Bedingung ist notwendig – jedes Korrekturverfahren muß sie erfüllen, weil sonst die Prinzipien der Quantenmechanik sein Funktionieren vereiteln würden –, aber nicht hinreichend. Zusätzlicher Scharfsinn ist erforderlich, ein System zu finden, das sich in einer nicht nur informationsneutralen, sondern auch kohärenzschonenden Weise messen läßt.

Ein Atom mit Grund- und angeregtem Zustand etwa ist ungeeignet. Wenn es spontan ein Photon aussendet, kann man allein diesem Ereignis entnehmen, daß das Atom sich nicht im Grundzustand befunden hat, sondern in einer Überlagerung beider Zustände. Also liefert bereits ein Meßgerät, das nur die Emission eines Photons registriert und keine weiteren Eigenschaften, eine Information.

Ein Fehler-Ereignis dieser Art, ein sogenannter Quantensprung, liefert nicht nur Information nach außen, sondern zerstört auch Information, die in dem Zustand enthalten war; denn aus der Vielfalt aller überlagerten Zustände wird immer derselbe Grundzustand, so daß es schon theoretisch unmöglich ist, daraus den vorherigen Zustand zu rekonstruieren.

Statt dessen wählten Zoller und Mabuchi ein System mit invertierbaren Quantensprüngen; das heißt, daß der Zustand selbst dann noch rekonstruierbar bleibt, wenn das System durch spontanen Zerfall der Kohärenz ein Photon verliert. Es handelt sich um einen allseits verspiegelten Hohlraum, in den durch einen Laser Photonen eingebracht werden. Die Anzahl der Photonen unterliegt der quantenmechanischen Unbestimmtheit; der Zustand des Systems ist also eine Überlagerung mehrerer Zustände mit jeweils einer bestimmten Photonenzahl. Der Erwartungswert (klassische Durchschnittswert) für die Anzahl der Photonen ist 2.

Man stelle nun das System mittels perfekter Detektoren, denen kein Photon entgeht, unter fortlaufende Beobachtung (continuous observation). Eine geeignete Korrekturelektronik veranlaßt dann den Laser, jedes verlorengegangene Photon durch ein neues zu ersetzen.

Um nicht doch Information zu gewinnen, darf die Meßapparatur von dem Photon nicht mehr registrieren als seine schiere Existenz. Nicht nur das: Sie muß zu weiteren Erkenntnissen prinzipiell unfähig sein; denn wie bei den Rundfunkgebühren zahlt man (das heißt, verliert man Kohärenz) nicht dafür, daß man hinschaut, sondern dafür, daß ein Gerät zum Empfang bereitgehalten wird.

Um die Photonendetektoren mit dieser speziellen Art partieller Blindheit auszustatten, verkoppelten die Forscher in der Theorie zwei – bis auf ein gewisses Vorzeichen – identische Systeme der beschriebenen Art. Die Detektoren werden so angebracht, daß es unmöglich ist zu bestimmen, aus welchem der beiden Systeme ein registriertes Photon kam.

Nach der Emission eines Photons verbleibt genau ein weiteres in jeder Hälfte des gekoppelten Systems. Mit diesem vollführt man eine geeignete Variante einer KOPIERE-Operation, und der ursprüngliche kohärente Zwei-Photonen-Zustand ist wiederhergestellt.

Ein klassischer Speicherbaustein, das Flip-Flop, besteht aus zwei Komponenten, die einander durch über Kreuz geführte Leitungen in entgegengesetzten Zuständen stabilisieren. Das gleiche gilt in übertragenem Sinne für die beiden Komponenten des beschriebenen Systems, das man deshalb ein Quanten-Flip-Flop nennen könnte.

Auf einem Arbeitstreffen am 4. August dieses Jahres in Innsbruck gelang es, diese Ideen zumindest im Prinzip auf andere Quantensysteme, insbesondere überlagerte Spin-Systeme, zu erweitern. Außer Zoller und seinem Doktoranden Thomas Pelizzari haben dazu der Göttinger (mittlerweile ebenfalls in Innsbruck arbeitende) Experimentalphysiker Rainer Blatt mit seinen Erfahrungen zur Herstellung kohärenter Zustände und der Karlsruher Informatiker Thomas Beth mit seinen Arbeiten zur Signal- und Codierungstheorie beigetragen.

Experimente müssen zeigen, inwieweit diese Erfindung zum Aufbau ganzer Quanten-Speicherbausteine taugt.


Aus: Spektrum der Wissenschaft 12 / 1995, Seite 69
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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