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Einsteins Akte.

Einsteins Jahre in Deutschland aus der Sicht der deutschen Politik.
Springer, Berlin 1998. 552 Seiten, DM 58,–.

Die Zahl der Bücher, die seit 75 Jahren über den Jahrhundertwissenschaftler Albert Einstein (1879 bis 1955) erschienen sind, ist Legion, und die Produktion wird auch künftig kaum abreißen. Allein in den letzten drei Jahren sind zwei neue Biographien deutscher Autoren auf den Markt gekommen, denen der weltweite Einstein-Kult automatisch die Rolle von Bestsellern sicherte.

In Deutschland kommt hinzu, daß der Streit um die Relativitätstheorie in den frühen zwanziger Jahren und die Vertreibung und Verfemung Einsteins durch Parteigänger des Nationalsozialismus nach 1933 ihn zu einem Märtyrer der Wissenschaft vom Range Galileis stempelten. Es sieht so aus, als ob jeder Nasenstüber aus seinem Leben, von Liebesbriefen und -abenteuern bis hin zu weitgehend bekannten politischen Aktionen immer noch öffentliches Aufsehen hervorruft – obwohl seit einiger Zeit eine Fülle von Quellen einigermaßen bequem zugänglich ist: In The Collected Papers of Albert Einstein (Princeton University Press, ab 1987) sind außer dem gesamten wissenschaftlichen Werk und zugehörigen Entwürfen auch die wesentliche, nicht nur wissenschaftliche Korrespondenz und andere Dokumente von einiger Bedeutung abgedruckt und mit sachkundigen Anmerkungen versehen. Grundlage waren zahlreiche Nachlaßsammlungen, etwa im Niels-Bohr-Archiv in Kopenhagen oder im Archiv zur Geschichte der Max-Planck-Gesellschaft in Berlin, sowie vor allem der Nachlaß Einsteins in der Hebräischen Universität in Jerusalem.

Das vorliegende Buch schlüsselt im wesentlichen die vom Preußischen Ministerium für Wissenschaft und Volksbildung im November 1919 begonnene und bis 1934 fortgeführte, aus 523 Blättern bestehende Akte „Einsteins Relativitätstheorie“ auf, die umfangreichste Sammlung über seine „politischen“ Aktivitäten in Deutschland. Der Berliner Wissenschaftshistoriker und Soziologe Grundmann kennt sie seit Jahrzehnten, zumal sie seiner Doktorarbeit von 1964 zugrundelag. Unter Benutzung von Unterlagen aus weiteren Archiven in der ehemaligen DDR – besonders der Akte „Vorträge des Professors Einstein im Auslande“ des Auswärtigen Amtes – und zusätzlichen Informationen namentlich aus den bekannten Einstein-Biographien legt er nun die Ergebnisse für ein breites Publikum dar. Damit will er einerseits die Kenntnis über den Wissenschaftler und Menschen Einstein durch die politische Dimension vertiefen, andererseits seine Funktion in dem sich wandelnden Interesse des deutschen Staates (namentlich des Auswärtigen Amtes) in der Zeit zwischen Kaiserreich und Drittem Reich verdeutlichen. Letzteres faßt Grundmann treffend durch drei Thesen zusammen, die zugleich als Organisation des Materials in übergeordneten Kapiteln dienen: 1. Einstein wird gefördert (im späten Kaiserreich); 2. Einstein wird gebraucht (in der frühen Weimarer Republik); 3. Einstein wird beschnüffelt und verjagt (in der späten Weimarer Zeit und zu Beginn der Nazizeit).

Insgesamt sind die Einteilung und die Darstellung des Materials wohlgelungen. Die handelnden Personen, vor allem die Politiker und Diplomaten unter ihnen, und ihre Motive treten klar hervor, ebenso die Tatsache, daß kurz vor und im Ersten Weltkrieg die Integration der deutschen Juden nahezu gelungen schien und ernsthafte Fragen nach ihrer Duldung oder Vertreibung aus dem Reich erst nach der militärischen Niederlage und der anschließenden Revolution aufkamen.

Mit seiner eigenwilligen Persönlichkeit hat Einstein auch manchen Kollegen vor den Kopf gestoßen. Dabei befremdete sein fast naives Eintreten für den Zionismus den jüdisch-deutschen Kollegen und Freund Fritz Haber sowie viele in- und ausländische Wissenschaftler viel mehr als der offen gezeigte Pazifismus im Ersten Weltkrieg oder die ebenso öffentlich bezeugte Sympathie für den Kommunismus und die Sowjetunion nachher. Gleichwohl und trotz seiner nie aufgegebenen Schweizer Staatsbürgerschaft hat sich der Berliner Akademiker und Direktor eines Kaiser-Wilhelm-Institutes weitgehend in die Hochkultur der Weimarer Republik eingefügt. Ein wichtiges Verdienst an dieser Integration dabei kommt seiner zweiten Frau Elsa zu, deren Geschick es häufig gelang, Einsteins mitunter schroffes Auftreten zu Hause und im Ausland auszugleichen.

Im Detail enthält die „Akte“ authentische Berichte deutscher Diplomaten über Einsteins Tätigkeit in der „Internationalen Kommission für die geistige Zusammenarbeit“ des Völkerbundes sowie seine zahlreichen Auslandsreisen im ersten Teil der zwanziger Jahre: 1921 nach den USA und England, 1922 nach Frankreich, 1922/23 nach Japan, Palästina und Spanien, 1923 nach Schweden zum Nobelvortrag und schließlich 1925 nach Südamerika. Wie Grundmann im einzelnen ausführt, hat Einstein auf diesen – beschwerlichen – Reisen nicht nur sein wissenschaftliches Werk vertreten; er diente auch als der Kriegstreiberei im Ersten Weltkrieg unverdächtiger Vertreter Deutschlands dazu, den nach dem Krieg von den Entente-Mächten verhängten wissenschaftlichen Boykott Deutschlands zu durchbrechen; und er fühlte sich manchmal im Ausland sicherer, vor allem nach dem Mord an dem Außenminister Walther Rathenau 1922.

Das letzte Kapitel über die Aktionen des nationalsozialistischen Regimes – Ausbürgerung und Enteignung von Besitz – skizziert die Ereignisse allerdings eher bruchstückhaft. Ein ausführliches, sehr ordentliches Personenverzeichnis dient als Index; das angefügte Literaturverzeichnis enthält Lücken. Instruktive Bilder ergänzen den Band.

Ganz offensichtlich wird das politische Einsteinbild durch die vorliegende Publikation bereichert, ja teilweise erst auf eine reale, rationalere Basis gestellt. Auch werden manche Verzerrungen seiner Absichten korrigiert, wie sie zum Beispiel in der Sammlung „Albert Einstein über den Frieden“ von Otto Nathan und Heinz Norden (Herbert Land & Cie., 1975) enthalten sind.

„Einsteins Akte“ kann trotz mancher Schwächen des Autors – etwa in der Kenntnis und Beurteilung von Naturwissenschaftlern – jedem warm empfohlen werden, der an der Persönlichkeit des herausragenden Physikers und ganz allgemein an der Kultur- und Wissenschaftsgeschichte der Weimarer Republik interessiert ist.


Aus: Spektrum der Wissenschaft 5 / 1999, Seite 154
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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