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Klimaforschung: Eisige Bohrung in Tibets Klima-Archiv

Trotz widriger Umstände konnten Berliner Forscher Bohrkerne aus einem See in Tibet gewinnen. Sie bergen Zeugnisse der Klimageschichte einer Region, die sehr stark auf Änderungen der Windzirkulationssysteme der Nordhalbkugel reagiert.


Vor Kälte zitternd, aber erwartungsvoll standen wir im eisigen Wind des tibetischen Hochplateaus mitten auf einem zugefrorenen See und beobachteten, wie der Schlaghammer das Bohrgestänge – mit dem Bohrer an der Spitze – durch ein Loch in der Eisdecke in den Boden trieb. Doch nach nur drei Metern ging es nicht mehr weiter. Der Bohrer war auf ein Gemisch aus Sand und Kies gestoßen, das wegen seiner stärkeren Reibung eine fast undurchdringliche Schicht bildete. Damit drohte unser Unternehmen schon kurz nach seinem Beginn zu scheitern. Wir waren gekommen, um Sedimente vom Grund des Sees zu erbohren. Sie sollten uns helfen, die Klimageschichte Zentralasiens besser zu verstehen.

Diese Region ist deshalb so interessant, weil sie an der Grenze zwischen der Westwindzone (zu der auch Mitteleuropa gehört) und dem asiatischen Sommermonsun liegt. Dadurch reagiert sie besonders empfindlich auf Veränderungen der Windzirkulationssysteme auf der Nordhalbkugel. Schon seit mehr als zehn Jahren erforschen daher Geowissenschaftler der Freien Universität Berlin die Klimageschichte Tibets, seit zwei Jahren koordiniert vom Interdisziplinären Zentrum für Ökosystemdynamik in Zentralasien unter Leitung von Frank Riedel.

Entscheidende Aufschlüsse versprechen dabei Ablagerungen am Grunde von Seen, die sich im Laufe der Jahrtausende zu mehrere Meter mächtigen Sedimenten aufgeschichtet haben. Sie enthalten in erster Linie ausgefällte anorganische Carbonate, daneben aber auch Reste von Mikroorganismen wie Muschelkrebsen oder Larven von Zuckmücken sowie von eingewehtem Pollen der umgebenden Vegetation. Auf diese Weise archivieren sie über viele Jahrtausende hinweg Zeugnisse der Umweltbedingungen und des Klimas in der betreffenden Region.

Wir wollten daher möglichst tief in die Sedimentschicht vordringen, um weit in die Vergangenheit zurückblicken zu können. Dass nach nur drei Metern nichts als Sand und Kies zu Tage kam, war ein Schock. Denn es konnte heißen, dass wir bereits an der Untergrenze der Sedimentschicht angekommen waren. Der See hätte dann noch nicht lange existiert und schwerlich als weit zurückreichender Klimazeuge getaugt. Sollten wir trotzdem weiterbohren – in der Hoffnung, unter der Kiesschicht könne sich weiteres brauchbares Material verbergen?

Unser Untersuchungsgebiet waren die bis 6000 Meter aufragenden Qilian-Berge am Nordost-Rand des Tibet-Plateaus in Nordwest-China. Wir hatten uns diesen See ausgesucht, weil er auf 3200 Meter Höhe an der klimatisch sensiblen Baumgrenze liegt und mit einem sehr kleinen Einzugsgebiet ein relativ leicht verständliches, modellhaftes Ökosystem darstellt. In den Qilian-Bergen leben überwiegend Tibeter und Mongolen sowie die Uiguren, ein arabischstämmiges Volk islamischen Glaubens. Die meisten Bewohner sind Halbnomaden mit festen Behausungen in den Tälern für den Winter. Im Sommer ziehen sie mit den Yak-Herden auf die Hochweiden.

Expedition in die Einöde

Die Expedition in ein derart entlegenes Gebiet fernab großer Städte und Verkehrswege stellte uns vor große Herausforderungen. Da war zum einen die Kälte des Hochgebirges im Januar: Den Zeitpunkt im tiefen Winter hatten wir gewählt, um das schwere Bohrgerät auf der Eisdecke des Sees errichten zu können – im Sommer hätte man auf schwankenden Booten oder Pontons operieren müssen, was neben erheblichen Schwierigkeiten beim Bohren auch beträchtliche Mehrkosten bedeutet hätte. Dafür mussten wir nun Temperaturen unter -10 Grad Cel-sius in Kauf nehmen. Die Kälte erlaubte ein Arbeiten nur während der Sonnenscheinstunden und setzte auch das Material erheblichen Belastungen aus. So fror die Ziehvorrichtung des Bohrgerätes in den bitterkalten Morgenstunden regelmäßig ein und wir mussten warten, bis die Sonne sie gegen Mittag enteiste.

Als der Bohrer auf den Kies traf, entschieden wir nach kurzer Beratung, noch nicht gleich aufzugeben und zu versuchen, durch die Kiesschicht hindurchzustoßen. Unter großer Kraftanstrengung wurde der Bohrer millimeterweise vorangetrieben. Dabei nahm allerdings der Schlagkopf Schaden. Was tun? Die Handwerker eines fünfzig Kilometer entfernten Dorfes, der nächstgelegenen menschlichen Ansiedlung, boten die einzige – minimale – Chance auf eine Reparatur. Eine Verständigung war frei-lich nur mit improvisierten Handskizzen und Zeichensprache möglich; denn auch die chinesischen Kollegen sprachen kein uigurisch, und die Handwerker ihrerseits kaum chinesisch. Trotz der eingeschränkten Kommunikation gelang es einem Schmied aus dem Volk der Uiguren jedoch, ein neues Verbindungsstück zum Schlagkopf zu drehen.

Die Anstrengungen wurden belohnt. Nach einigen Stunden folgten auf die Sand- und Kiesschicht wieder feinere Sedimente, deren Carbonatreichtum zeigte, dass sie sich in einem Gewässer abgelagert hatten. Offenbar war der See lediglich vorübergehend ausgetrocknet. Im Endeffekt konnten wir zwei 14 Meter lange Kerne erbohren, die höchstwahrscheinlich bis zum Beginn der Seen-Entwicklung nach der letzten Eiszeit vor rund 18000 Jahren zurückreichen. Es sind die längsten Bohrkerne, die bisher für paläoklimatische Untersuchungen aus dieser Region gewonnen wurden.

Aber den Ertrag der Expedition sicher in die Labors zu transportieren, war mit neuen Schwierigkeiten verbunden. Unerwartet einsetzende Schneefälle gefährdeten die Rückfahrt über die mehr als 4000 Meter hohen Pässe. Der Kleintransporter kam gerade einmal im Schritttempo voran – nicht nur angesichts der ungeheizten Fahrerkabinen eine Zitterpartie.

Nachdem nun Forscher und Material wohlbehalten zurückgekehrt sind, geht es an die Auswertung der Bohrproben. Sie liegt in den Händen eines multinationalen Teams. Unsere chinesischen Kooperationspartner an der Universität Lan-zhou bestimmen geochemische und sedimentologische Parameter wie den Gesamtgehalt an organischer Substanz und die Korngrößenverteilung. Für die Analyse der Kieselalgenschalen sind Spezialisten des University College in London zuständig. Wir selbst untersuchen die Kopfkapseln der Zuckmücken-Larven, die Schalen der rund einen Millimeter großen Muschelkrebse und den Pollen.

Auf diese Weise können wir feststellen, wie sich das Artenspektrum im See mit der Zeit geändert hat. Daraus wiederum ergeben sich Informationen über Parameter wie Seetiefe sowie Nährstoff- und Salzgehalt, die ihrerseits Rückschlüsse auf den Zustand dieses Ökosystems erlauben. Zwar lassen sich die Vegetationsgesellschaften nicht im Einzelnen rekonstruieren, da der Pollen aus unterschiedlicher Entfernung in den See gelangt ist und seine Analyse gewöhnlich nur die Pflanzengattungen verrät. Doch allgemeine Aussagen über die Vegetationsentwicklung sind möglich. So kann man die klimatisch bedingte Verschiebung der Baumgrenze und der Höhenstufen der verschiedenen Pflanzengemeinschaften ermitteln. Des Weiteren gelingt es, einzelne Abschnitte des Bohrkerns den Lebensräumen Wüste, Halbwüste, Steppe oder Nadelwald zuzuordnen.

Diese Informationen über die Entwicklung der Land- und Süßwasser-Ökosysteme erlauben schließlich Rückschlüsse auf den Wandel des Klimas in Zentralasien während der letzten 18000 Jahre. Damit erweitern sie die Daten-Grundlage für die Bewertung von Computermodellen, die Voraussagen der zukünftigen Klima-Entwicklung machen und an geologischen Archiven der jüngsten erdgeschichtlichen Vergangenheit getestet werden. Um die Entwicklung der einstigen Umwelt in allen Feinheiten rekonstruieren zu können, ist es wichtig, viele Proben auszuwerten, aber auch möglichst genaue Informationen über das Alter der einzelnen Abschnitte des Bohrkerns zu haben. Zu diesem Zweck werden Pflanzenreste aus sechs verschiedenen Sedimenthorizonten an der Universität Kiel mit Hilfe der Radiokohlenstoff-Methode datiert.

Um den See-Sedimenten aus dem Qilian-Gebirge ein Maximum an Informationen zu entlocken, müssen Wissenschaftler unterschiedlicher Fachrichtungen sie unter die Lupe nehmen. Selten sind die Spezialkenntnisse und technischen Voraussetzungen für solche multidisziplinären Projekte sämtlich an einer Universität oder auch nur in einem Land vorhanden, sodass ein internationaler Verbund die Erfolgschancen beträchtlich erhöht. Da die Untersuchungsgebiete, auf die sich die Forschungsinteressen der Berliner Geowissenschaftler richten, zum großen Teil auf dem Territorium der Volksrepublik China liegen, kommt der Kooperation der Freien Universität Berlin mit der Universität Lanzhou große Bedeutung zu. Wie sinnvoll und fruchtbar sie ist, zeigt sich daran, dass sie sich seit ihrem Beginn vor gut zehn Jahren kontinuierlich intensiviert hat.

Aus: Spektrum der Wissenschaft 9 / 2002, Seite 22
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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