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Serie: Die Botschaft des Genoms (Teil VI): Elongationsfaktor 2

Rangierer in der Eiweißfabrik


Die Herstellung von Proteinen ist wohl der wichtigste Vorgang in einer Zelle. Deshalb verwundert es nicht, dass dafür eigene Synthesemaschinen existieren. Diese so genannten Ribosomen durchlaufen immer wieder eine bestimmte Schrittfolge und verlängern dabei die wachsende Aminosäurekette jeweils um ein Glied.

Auf diesem Rundweg, den Biochemiker als Elongationszyklus bezeichnen, sind zwei Energiebarrieren zu überwinden, was mit reinen Ribosomen etliche Sekunden erfordern würde. Der Proteinsynthese-Apparat der Zelle kann jedoch etwa fünf Durchgänge pro Sekunde absolvieren. Das verdankt er zwei Enzymen: den Elongationsfaktoren EF-1 und -2. Sie gehören in Zellen, die sich rasch teilen, zu den häufigsten Proteinen.

Die Funktion des EF-2 ist unkomplizierter als die des nahe verwandten EF-1 und soll daher hier als Modellbeispiel dienen. Wenn das Ribosom die Verknüpfung zwischen der existierenden Kette und der neu hinzukommenden Aminosäure herstellt, setzt es nicht etwa einen neuen Bauklotz auf den vorhandenen Turm, sondern verschiebt den ganzen Turm, um ihn auf den neuen Klotz zu hieven. Demzufolge befindet sich die um eine Einheit verlängerte Kette anschließend an der "falschen" Bindungsstelle, nämlich der für Aminosäuren (A) statt für Peptidketten (P). Damit der Zyklus von vorne beginnen kann, muss sie zurück in die P-Stelle verschoben werden, sodass die A-Stelle wieder frei wird für die Aufnahme einer neuen Aminosäure samt Anhang (der zugehörigen Transfer-RNA sowie eines Moleküls EF-1).

Für diese so genannte Translokation sorgt der Elongationsfaktor 2. Er beinhaltet eine Domäne, die zusammen mit einem gebundenen Molekül Guanosintriphosphat (GTP) als Schalter wirkt. Während der Faktor bei der Translokation hilft, spaltet er von dem GTP gleichzeitig ein Phosphat ab. Als Folge davon ändert er seine räumliche Gestalt, verliert seine Affinität zum Ribosom und löst sich ab. Dadurch wird verhindert, dass er nach getaner Arbeit die Translokation wieder rückgängig macht; denn wie jeder echte Katalysator bevorzugt er keine bestimmte Reaktionsrichtung – er erleichtert den Vorgang selbst ebenso wie seine Umkehrung.

Bisher konnten nur von den bakteriellen Elongationsfaktoren die dreidimensionalen Strukturen aufgeklärt werden. Bei ihrem Vergleich zeigt sich eine Kuriosität, deren tiefere Bedeutung bisher unklar ist: Das größere, für die Translokation zuständige Enzym enthält eine Domäne, die wie eine Karikatur der an das kleinere EF-1 gebundenen Transfer-RNA aussieht. Dieses "molekulare Nachäffen" wurde bei den Elongationsfaktoren entdeckt, seither aber auch bei anderen Systemen gefunden.

Das menschliche EF-2 dürfte sehr ähnlich aussehen wie das der Bakterien. Außerdem besitzen auch wir Gene für bakterielle Elongationsfaktoren. Die von Bakterien abstammenden Mitochondrien, die Kraftwerke unserer Zellen, stellen immer noch eine geringe Zahl von Proteinen von ihrem eigenen, über Jahrmillionen geschrumpften Genom selbst her. Daher enthält unser Erbgut nicht nur die Bauanleitung für den für höhere Organismen typischen Proteinsynthese-Apparat, sondern auch für sämtliche Komponenten der bakteriellen Variante. Sie alle muss das Mitochondrion mühsam importieren, nur um seinen bescheidenen Satz an hausgemachten Proteinen synthetisieren zu können.

Aus: Spektrum der Wissenschaft 3 / 2001, Seite 21
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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