Entstehung einer irregulären Galaxie beobachtet
Auf der Südhalbkugel der Erde sind am Nachthimmel mit bloßem Auge die Große und die Kleine Magellansche Wolke erkennbar. Diese beiden Begleiter unserer Galaxis, nur etwa 150000 Lichtjahre entfernt, weisen im Gegensatz zu größeren Sternsystemen weder eine erkennbare Symmetrieebene noch eine Rotationsstruktur auf. Handelt es sich bei ihnen vielleicht um Trümmer des Milchstraßensystems, die ihm vor Milliarden Jahren bei einem Zusammenstoß mit einer anderen Galaxie entrissen wurden?
Solch ein Szenarium für die Entstehung irregulärer Galaxien ist nicht unwahrscheinlich, erwägt man die astronomischen Beobachtungsbefunde von I. Felix Mirabel und seinem Doktoranden Pierre-Alain Duc vom Astrophysikalischen Dienst Frankreichs in Saclay südlich von Paris: Sie hatten mit einem Großteleskop auf Hawaii und mit dem New Technology Telescope der Europäischen Südsternwarte (ESO) in Chile Photographien und Spektren von kollidierenden Galaxienpaaren gewonnen.
Galaxien sind keine isolierten Welteninseln, die sich unabhängig vom übrigen Universum entwickeln. Vielmehr macht fast jedes Sternsystem, das – wie unsere Milchstraße – zu einem Galaxienhaufen gehört, im Laufe der Jahrmilliarden einige Kollisionen oder Beinahezusammenstöße durch, die seine weitere Entwicklung erheblich beeinflussen. Besonders das interstellare Gas wird bei solchen Wechselwirkungen heftig verwirbelt, wobei Sternentstehungsprozesse in einem sogenannten starburst dramatisch zunehmen können. Wenn sich im Kern einer der beiden Galaxien ein überschweres Schwarzes Loch befindet, kann überdies ein äußerst leuchtkräftiger Prozeß wie das Quasar-Phänomen ausgelöst werden.
Das wechselwirkende Galaxien-Paar Arp 105 ist dafür ein typisches Beispiel. Es befindet sich im Zentrum des 400 Millionen Lichtjahre von der Erde entfernten Galaxienhaufens Abell 1185 und besteht aus einem sehr massereichen elliptischen sowie einem spiralförmigen Sternsystem in einem Abstand von 200000 Lichtjahren. Der Kern der elliptischen Galaxie sendet intensive Strahlung aus, die nicht stellaren Ursprungs ist, sondern sehr wahrscheinlich von Gas herrührt, das in das zentrale Schwarze Loch einströmt. Die Spiralgalaxie zeigt Starburst-Aktivität, was unter anderem an der hohen Strahlungsintensität im infraroten Spektralbereich zu erkennen ist, die der Satellit IRAS entdeckt hat.
Die beiden Astrophsiker aus Saclay haben dieses Galaxienpaar "Gitarre" genannt, weil während der Kollision ein leuchtender, keulenförmiger Arm aus Sternen und Gas von der Spiralgalaxie nordwärts fortgeschleudert wurde und dem System ein entsprechendes Aussehen verleiht (Bild). Ein weniger stark ausgeprägter zweiter Arm verläuft in entgegengesetzter Richtung, ist in der Aufnahme der elliptischen Galaxie überlagert und endet südlich davon in einem hellen Knoten.
Als die Forscher die Spektren auswerteten, um die farbliche Zusammensetzung des Lichtes aller vorhandenen Objekte zu studieren, stellten sie Erstaunliches fest: Die Verdickung am Ende des nördlichen Armes – gleichsam der Wirbelkasten der Gitarre – gleicht genau einer irregulären Galaxie, während der südliche Knoten von einer blauen kompakten Zwerggalaxie nicht zu unterscheiden ist. Auch Abschätzungen der Masse und die auf der Aufnahme erkennbaren Strukturen stützen diese Klassifizierungen. Ähnliche Untersuchungen an anderen wechselwirkenden Galaxien-Paaren hatten vergleichbare Resultate.
Man vermutet, daß die massereichen Spiralgalaxien wie das Milchstraßensystem im frühen Universum während einer allgemeinen Phase der Galaxienbildung entstanden sind; für die Bildung der masseärmeren irregulären oder kompakten Galaxien gibt es jedoch noch kein allgemein akzeptiertes Modell. Duc und Mirabel haben nun zumindest für einen Teil von ihnen ein überzeugendes Entstehungs-Szenarium gefunden.
Die Magellanschen Wolken sind zwar nicht durch ein leuchtendes Sternenband mit unserer Galaxis verbunden, was die Analogie zu dem beobachteten Galaxien-System Arp 105 perfekt machen würde; immerhin aber vermochten Radioastronomen in diesem Bereich eine Kette von Wasserstoffwolken nachzuweisen, den sogenannten Magellanschen Strom. Dies ist, wenn auch noch nicht der endgültige Beweis, so doch ein weiteres Indiz für den Kollisionsursprung der beiden galaktischen Begleiter.
Aus: Spektrum der Wissenschaft 10 / 1995, Seite 26
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH
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