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Entwicklung der Wirtschaftsstandorte - private Finanzierung von Verkehrsinfrastrukturen

Bei Entscheidungen über neue Standorte bewerten europäische Unternehmen die Lage und die Verkehrsanbindung als höchstrangig. Da die öffentliche Hand den Bedarf an Infrastrukturen nicht zu decken vermag, bieten sich Modelle privaten Baus und Betriebs an.

Im Zuge der europäischen Integration verschärft sich der Wettbewerb zwischen den Wirtschaftsregionen. Dies gilt sowohl für die Metropolen und Ballungsgebiete, in denen Regierungen und Unternehmen ihren Sitz haben, wie auch für die Regionen mit niedrigerem Lohnniveau.

Schon das Binnenmarktprojekt der Europäischen Gemeinschaft hatte die Konkurrenz zwischen Zentren wie London, Paris, Brüssel, Rhein/Main, Rhein/Ruhr und Mailand belebt und gleichzeitig den mediterranen Mitgliedsländern sowie Irland neue Standortvorteile eröffnet; mittlerweile erhöhen sich Druck und Dynamik durch die marktwirtschaftliche Öffnung der Länder Mittel- und Osteuropas zusätzlich:

– Staaten wie vor allem Polen, Ungarn, Tschechien und die Slowakische Republik können gegenüber vielen südeuropäischen EG-Mitgliedern ein ähnlich niedriges, teilweise niedrigeres Produktionskostenniveau ins Feld führen und zeichnen sich außerdem durch ihre unmittelbare Grenzlage beziehungsweise Nähe zum größten EG-Partner Deutschland aus.

– Im Wettbewerb der europäischen Metropolen bildet sich so etwas wie eine zweite Liga heraus, in der sich Hauptstädte wie Warschau, Prag, Bratislawa und Budapest sowie zum Teil die der baltischen Republiken gegenüber Hochpreisstandorten wie Stockholm, Kopenhagen, Hamburg, Berlin, München und Wien profilieren. Vor allem Investoren aus Übersee, die noch keine ausgeprägte Bindung an Standorte in Westeuropa eingegangen sind, zeigen sich gegenüber Offerten aus dem östlichen Mitteleuropa aufgeschlossen.

In dieser Situation sind Investitionen in die Verkehrsinfrastruktur Vorsorgemaßnahmen ersten Ranges. Denn die Zugänglichkeit im internationalen Beziehungsnetz auf möglichst allen Verkehrsträgern wird bei großräumigen Standortentscheidungen zu dem bestimmenden Vorteil. Dies unterstreicht eine Er-hebung der Prognos AG bei knapp 400 international tätigen europäischen Unternehmen, der zufolge der geographischen Lage beziehungsweise der Erreichbarkeit im Vergleich zu 15 anderen Faktoren Priorität zukommt. An erster Stelle unter den geforderten Verkehrsanbindungen rangiert der Autobahnanschluß, gefolgt von Flug- und Bahnverbindungen sowie von Güterverkehrs- und Logistikzentren.

Privatfinanzierung: Erfahrungen und Modelle

Der große Bedarf an Investitionen in die Verkehrsinfrastruktur wird trotz ihrer hohen Bewertung im unternehmerischen Planungskalkül bei weitem nicht gedeckt. Die Finanzierungsprobleme der Gebietskörperschaften in allen europäischen Ländern sind geradezu notorisch; auch dringliche Vorhaben werden deswegen nur zögerlich, verspätet oder gar nicht realisiert.

Daran dürfte sich in absehbarer Zeit wenig ändern – es sei denn, auf unkonventionelle Weise würden weitere Mittel aufgebracht. Mithin erscheinen private Investitionen als ein Schlüssel zur Lösung dieses Zukunftsproblems.

Eine private Trägerschaft und Finanzierung von Verkehrswegen und anderen Verkehrseinrichtungen mit voller Risikoübernahme kommt allerdings nur bei begründeter Rentabilitätserwartung in Betracht. Während die staatliche Verkehrspolitik gerade auch jene Landstriche einbeziehen muß, deren Versorgung nicht wirtschaftlich sein kann, ist das vielgeschmähte Rosinenpicken fast ein Wesensmerkmal privatwirtschaftlicher Infrastruktur-Finanzierung. Dies ist auch an den meisten derartigen bisher verwirklichten Projekten zu erkennen:

– Nur in wenigen Ländern werden komplette Verkehrssysteme privat finanziert und betrieben; die prominentesten Beispiele solcher Träger sind die französischen und italienischen Autobahn- sowie seit einigen Jahren die japanischen Eisenbahngesellschaften. Indes pflegte sich der Staat selbst in diesen Fällen durch Übernahme von Anlaufverlusten oder günstige Konditionen für Bauland am Risiko zu beteiligen. In Japan bekamen die Bahngesellschaften zudem lukrative Konzessionen für Dienstleistungszentren an attraktiven Bahnhofsstandorten.

– Hingegen wächst die Zahl eindeutig abgegrenzter Verkehrsprojekte mit rein privater Trägerschaft. Solche Rosinen – um im Bilde zu bleiben – sind etwa die gebührenpflichtigen Straßen (toll roads) in den USA, Brücken in Australien, Hafentunnel in Hongkong, Flughafen-Zubringersysteme wie Orlyval in Paris (wo gleichwohl für die privaten Investoren der Risikofall eingetreten ist) sowie als größtes europäisches Verkehrsinfrastruktur-Vorhaben dieses Jahrhunderts der Eurotunnel zwischen Großbritannien und Frankreich.

Zwar sind auch für insgesamt unrentable Verkehrsbereiche private Finanzierungsbeiträge und privates Management praktikabel; in diesen Fällen muß jedoch die öffentliche Hand dem privaten Investor entsprechende Anreize in Form einer Verlustabdeckung bieten. Die faktische Wirtschaftlichkeit solcher sogenannter Public-Private-Partnerships und eine Entlastung des öffentlichen Haushalts sind aus Sicht des Staates oder der sonstigen Gebietskörperschaft aber nicht unter allen Umständen eindeutig gegeben; die Vertragskonstruktionen zwischen den öffentlichen und privaten Partnern sind dementsprechend kompliziert. Die vier wichtigsten Modelle seien im folgenden skizziert.

Das Betreibermodell

Die klarste Form eines privaten Engagements im Infrastrukturbereich ist der gebührenfinanzierte Betrieb (Bild). Bei den Betreibergesellschaften handelt es sich in der Regel um Konsortien, in denen verschiedene Unternehmen (zumeist Baufirmen und Banken) vertreten sind. Sie erstellen in eigener Regie und aus eigenen Mitteln Einrichtungen wie Autobahnteilstrecken, Tunnels und Brücken, in Einzelfällen sogar ganze Verkehrsnetze. Zur Finanzierung der Investitionskosten werden für die Benutzung Gebühren erhoben, wobei die zusammengeschlossenen Unternehmen verständlicherweise ertragsorientiert sind.

Für Bau und Betrieb der jeweiligen Verkehrswege müssen alle planungsrechtlichen Voraussetzungen gegeben sein, damit eine Konzession erteilt werden kann. Deren Dauer bemißt sich in der Regel nach der zu erwartenden Zeitspanne für die Rückzahlung der eingesetzten Finanzmittel.

Betreibermodelle sind insbesondere in den Vereinigten Staaten, in Italien, Frankreich und Japan bei der Errichtung und Unterhaltung von Autobahnnetzen angewendet worden, außerdem zur Finanzierung einzelner Strecken oder Bauwerke in Spanien, Österreich, Irland, Portugal und Griechenland, wo man etwa die Passage mancher Brücken und Tunnels bezahlen muß. Die Einnahmen – abhängig von Verkehrsaufkommen und Höhe der Gebühren – sind dort am höchsten, wo ganze Netze quasi im Monopol betrieben werden, also in Italien und Frankreich, aber auch in Japan und in den USA. Der Anteil der Erhebungskosten an den Einnahmen schwankt zwischen 9 (Schweiz) und 35 Prozent (USA), im wesentlichen je nach Effizienz des Systems; zum Teil wird bereits halbautomatisch kassiert.

Leasing-Modelle

Neuerdings wird auch das Leasing als Möglichkeit der Finanzierung von Verkehrseinrichtungen diskutiert. Gegenüber dem Betreibermodell hätte es den besonderen Vorzug, daß das eingesetzte Kapital in festen Raten zurückfließt: Die privaten Unternehmen würden diese Einrichtungen zwar planen und auf eigene Kosten bauen, aber weder Mautgebühren erheben, noch Vignetten ausgeben, sondern den Verkehrsweg dem Staat gegen einen jährlich zu zahlenden Betrag vermieten.

Dieses Modell ist zum einen benutzerfreundlich, da die Belastung durch die Raten sich über die öffentliche Hand auf die Allgemeinheit verteilt. Zum anderen ist das unternehmerische Risiko der festen Raten wegen kalkulierbar.

Nach Leasing-Modellen sind zwar bislang noch keine Verkehrswege finanziert worden. Doch haben private Unternehmen signalisiert, daß sie nach diesem Schema Autobahnen und andere öffentliche Einrichtungen in den neuen Bundesländern bauen würden.

Das Konzessionsmodell

Auch zum Konzessionsmodell liegen noch keine praktischen Erfahrungen vor. Die Idee ist ebenfalls, daß der Staat privat erstellte und finanzierte Verkehrswege mietet, daß aber – anders als beim Leasing – die Raten sich nach dem Verkehrsaufkommen bemessen.

Vorschläge, auf diese Weise in der Bundesrepublik tätig zu werden, kamen aus einer Arbeitsgruppe der Privatwirtschaft zum sechsspurigen Ausbau der Autobahnstrecke A2 zwischen Berlin und Helmstedt. Demnach sollte eine Projektgesellschaft aus Banken, Industrieunternehmen und sonstigen Kapitalanlegern eine zeitlich befristete Konzession zum Ausbau (einschließlich der Ausstattung mit modernen Verkehrsleitsystemen) und zum Betrieb dieses Abschnitts erhalten und die öffentliche Hand ein pauschales Nutzungsentgelt gemäß automatischen Fahrzeugzählungen entrichten. Nach Ablauf der Konzession würde das Nutzungsrecht beziehungsweise das Eigentum unentgeltlich an den Bund übergehen.

Volkswirtschaftlich gesehen hat dieses Modell den Nachteil, daß es nicht zu sparsamer Nutzung des Verkehrsweges anreizt, weil die nutzungsabhängige Gebühr aus dem Steueraufkommen bezahlt würde. Und unsicher ist, ob die jeweilige Projektgesellschaft das Risiko zu geringen Verkehrsaufkommens während der Konzessionszeit tragen könnte. Die Effizienz des Modells wird wohl erst während einiger Anwendungen zu bestimmen sein.

Public-Private-Partnership

Die vierte Form der Kooperation eröffnet die Möglichkeit, in einer privaten gesellschaftsrechtlichen Konstruktion öffentliche Hand und private Unternehmen zu vereinigen. Bei Public-Private-Partnerships handelt es sich also im weitesten Sinne um gemischtwirtschaftliche Unternehmensgruppen, wie sie beispielsweise in Frankreich unter der Bezeichnung „Société d’économie mixte“ bereits seit Jahren tätig sind.

Dabei sollen der Vorteil des privaten Partners – gewinnbringende Kapitalanlage – und das Interesse des staatlichen an schneller Realisierung zum Nutzen des Gesamtvorhabens ausschlagen. So können beispielsweise die privaten Unternehmen das Management stellen, die Betriebsführung leisten und ihre Marktkenntnisse einbringen, während der staatliche Partner seine Erfahrung im Planungsvorlauf beisteuert. Gleichzeitig kann das legitime öffentliche Interesse an direktem und wirksamem Einfluß auf die Art und Weise der Daseinsvorsorge vertraglich abgesichert werden.

Das Modell der Public-Private-Partnerships wird inzwischen in der Bundesrepublik intensiv untersucht und sogar schon erprobt. Umfassende Erfahrungen liegen jedoch noch nicht vor.

Schlußfolgerung

Über die Position Deutschlands im internationalen Standortwettbewerb wird derzeit vor allem mit Blick auf die Steuer- und Abgabenbelastung, das Lohnkostenniveau, die Sozialleistungen und die Arbeitszeit diskutiert. Angesichts des öffentlichen Schuldenstandes erscheint die Forderung nach massiven Infrastrukturprogrammen nicht gerade als zeitgemäß. Erforderlich sind sie gleichwohl. Dies gilt in erster Linie für die Verkehrsinfrastruktur, die nach Öffnung der ehemals sozialistischen Länder vor allem auf den Ost-West-Trassen völlig neuen Anforderungen gerecht werden muß.

Dafür könnte privates Kapital mobilisiert werden. In welchem Umfang dabei private Investoren auch unternehmerisches Risiko zu tragen bereit sind, wäre vorerst nur von Fall zu Fall zu prüfen.

Jedes der zur Zeit diskutierten Modelle weist spezifische Vor- und Nachteile auf, die noch dazu unter dem Aspekt der Verkehrspolitik und der Standortentwicklung andere sind als jene aus der Sicht privater Investoren. Deshalb wären Pilotprojekte wichtig, die zur Klärung beitrügen. Von weiteren Debatten, ob prinzipiell überhaupt Verkehrsinfrastrukturen privat finanziert und betrieben werden sollten oder nicht, ist kaum mehr Erkenntnisgewinn zu erwarten.


Aus: Spektrum der Wissenschaft 11 / 1993, Seite 108
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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