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Erste Beurteilung einer Forschungsorganisation

Die deutsche Forschungslandschaft steht auf dem Prüfstand. Nach der Evaluation der Fraunhofer-Gesellschaft wird auch die Hochschul- und Grundlagenforschung beurteilt.


Erfüllt die Fraunhofer-Gesellschaft (FhG) ihren Auftrag als Organisation zur Förderung der angewandten Forschung? Eine vom Bundesforschungsministerium berufene Kommission hat sie sozusagen auf Herz und Nieren geprüft und nun die Diagnose vorgelegt.

Da die Tätigkeit der FhG vorrangig auf die Bedürfnisse der Wirtschaft ausgerichtet ist, beachten die Empfehlungen vor allem die in diesem Bereich wirkenden Faktoren: Globalisierung, kurze Innovationszyklen, disziplin- und technologieübergreifende Systemlösungen sowie den verschärften Wettbewerb um Wissenschaftler und Aufträge bei gleichzeitigem Rückgang der öffentlichen Projektförderung. Im großen und ganzen bescheinigt die Kommission der FhG, sie sei auf dem richtigen Wege.

Zugleich wird aber der Sinn der am 5. Februar in Bonn vorgelegten "Systemevaluierung der Fraunhofer-Gesellschaft" in Frage gestellt: Einzeloptimierungen nur von Teilen des gesamten Forschungssystems seien "volkswirtschaftlich nur bedingt nützlich". Die Kommission fordert deshalb, die Teilelemente nicht separat zu evaluieren, "sondern das gesamte System der öffentlich geförderten Forschungseinrichtungen in Deutschland zu überprüfen".

Damit werden freilich offene Türen eingerannt. Denn seit einem Jahr evaluiert eine von Bund und Ländern eingesetzte internationale Kommission die Förder- und Finanzierungssysteme der Deutschen Forschungsgemeinschaft und der Max-Planck-Gesellschaft (Spektrum der Wissenschaft, September 1998, Seite 112). Des weiteren arbeitet der Wissenschaftsrat an einer übergreifenden Stellungnahme zum Wissenschaftssystem, in die dann auch die Wissenschaftsgemeinschaft Gottfried Wilhelm Leibniz (WGL) und die Hermann von Helmholtz-Gemeinschaft Deutscher Forschungszentren (HGF) einbezogen werden.

Diese fünf Organisationen dürften, das scheint gewiß zu sein, ihre jeweiligen Rollen mit leichten Änderungen auch in Zukunft behalten. Der dramatisierende Aufruf des Zentralverbandes Elektrotechnik- und Elektronikindustrie vom 1. Februar, in der deutschen Forschungslandschaft neben der hochschulorientierten DFG nur noch die Max-Planck-Gesellschaft für die erkenntnisorientierte und die Fraunhofer-Gesellschaft für die anwendungsorientierte Forschung zu behalten, also die HGF- und WGL-Institute auf diese beiden zu verteilen, dürfte spätestens beim Wissenschaftsrat ins Leere gehen. Freilich: Gegenstand der aktuellen Systembewertung sind vorerst nur drei der fünf Organisationen: nämlich DFG, MPG und FhG. Dabei rückt die Evaluierung der FhG die anwendungs- und damit auch industrieorientierte öffentlich geförderte Forschung wieder stärker in die forschungspolitische Diskussion.

Die Kommission kommt zu dem sehr positiven Schluß, das Technologie-Portfolio der FhG decke – gemessen an den Trendbeschreibungen der Delphi-Studie (Spektrum der Wissenschaft, September 1998, Seite 108) – mittelfristig die wesentlichen Innovationsfelder in den umsatzstarken Märkten ab. Doch sollte sie sich stärker in Lebenswissenschaften sowie in Kommunikationstechnologien und Materialwissenschaften engagieren.

Ein zentraler Punkt in der gegenwärtigen forschungspolitischen Auseinandersetzung ist der Wettbewerb zwischen Forschungseinrichtungen. Zwar hat sich die traditionell enge Verbundenheit der Fraunhofer-Institute mit den Universitäten bewährt. Die Länder sollten sie als strategisches Element ihrer Forschungs-, Technologie- und Strukturpolitik uneingeschränkt unterstützen. Aber der Wettbewerb zwischen FhG und anderen Forschungsorganisationen ist zunehmend verzerrt. Während diese überwiegend öffentlich gefördert werden, bezieht die FhG ihre Mittel vor allem aus der Vertragsforschung. Es sei Aufgabe der Politik, für fairen Wettbewerb zu sorgen und die Forschungslandschaft besser zu strukturieren, stellt die Kommission fest: "Die Zusammenfassung von Instituten mit vergleichbaren Positionen in der Wertschöpfungskette in FuE-Organisationen mit klarer Mission und angemessener, einheitlicher finanzieller Basis würde hier Abhilfe schaffen und ist anzustreben" – gegebenenfalls mit der Verschiebung von Instituten von der einen zur anderen Organisation.



Stärkung der Fraunhofer-Institute




Damit die FhG-Institute ihre Wirtschaftserträge erhöhen können, müßten sie am Markt härter operieren. Auf diesem aber sieht sich die FhG an zwei Stellen bedroht: Die für sie bestimmte Projektförderung geht zurück, und im Wettbewerb um Führungskräfte kann sie mit der Wirtschaft nicht mehr mithalten. Für eine marktgerechte Vergütung, die besser ist als im öffentlichen Dienst, empfiehlt die Kommission, die Festgehälter um eine erfolgsabhängige Komponente zu ergänzen. Die Projektmittel sollen nur in dem Ausmaß zurückgehen, wie die Wirtschaftserträge und Erlöse aus zeitlich begrenzten Minderheitsbeteiligungen an technologieorientierten Unternehmen sowie die Grundfinanzierung steigen, damit die FhG weiterhin zu einer angemessenen Vorlaufforschung fähig ist. Mit dieser erwirbt sie technologisches Wissen und Erfahrungen auf hohem Niveau. Allerdings muß sie auch darauf achten, daß sie mit Unternehmensbeteiligungen nicht zur unerwünschten Konkurrenz für Klein- und Mittelunternehmen wird.

Im Vergleich zu ausländischen Vertragsforschungsorganisationen ist die FhG ausgeprägt dezentral organisiert, ihre derzeit 49 Institute besitzen ein vergleichsweise hohes Maß an Autonomie. Diese Stärke soll nach Ansicht der Kommission bei gleichzeitiger institutsübergreifender Strategie- und Marketingentwicklung – wie Abstimmung der Angebote und Ressourcen in Verbünden – erhalten und ausgebaut werden.

Auf der anderen Seite soll die FhG-Zentrale zwar indirekt, aber doch "strategiegeleitet" planen. Das heißt: Der Vorstand muß eine für die gesamte FhG geltende mittelfristige Unternehmensstrategie formulieren und diese Entscheidungen rasch umsetzen.



Gestiegenes Prestige




Fast gleichzeitig mit der Systemevaluation haben Rüdiger vom Bruch und Helmuth Trischler auch eine umfangreiche historische Evaluation vorgelegt ("Forschung für den Markt: Geschichte der Fraunhofer-Gesellschaft". C. H. Beck Verlag). Für heutige Beobachter ist die FhG der Beweis dafür, "daß Marktorientierung und Wettbewerbsdenken auch in der Forschungslandschaft nicht nur erstrebenswert, sondern auch möglich und durchsetzbar sind". In ihren Anfangsjahren dagegen hat sie sich nur mühsam in der etablierten Forschungswelt durchsetzen können. Die Studie bietet wichtige Einblicke in die Kämpfe der Wissenschaftsorganisationen untereinander, die als Systemkonflikte schon zwischen den zwanziger und den siebziger Jahren spürbar waren und möglicherweise demnächst in ähnlicher Weise wieder aufbrechen werden, wenn die Ergebnisse der gegenwärtig durchgeführten Systemevaluationen veröffentlicht werden.

Noch zu Beginn der siebziger Jahre hatte sich die FhG "als fremdbestimmtes, innerlich zerrissenes Konglomerat von Instituten unterschiedlicher Qualität dargeboten" – ähnlich wie heute die Institute der Blauen Liste in der WGL. Heute sieht Bundesforschungsministerin Edelgard Bulmahn in dem Bericht zur Selbstevaluation der FhG ihre Einschätzung bestätigt: Sie stärke die Innovationsfähigkeit der deutschen Wirtschaft, schaffe Arbeitsplätze und sichere sie. Die FhG hat ihre Erträge aus Aufträgen der Wirtschaft zwischen 1994 und 1998 von 220 auf über 400 Millionen Mark nahezu verdoppelt. Nach der historischen Betrachtung ist sie in den achtziger Jahren in der Prestigeskala der Wissenschaftseinrichtungen über die Großforschungseinrichtungen in der heutigen HGF gerückt, und für dieses Jahr will die Bundesregierung sie gleich wie die DFG und die MPG behandeln: Die öffentlichen Zuwendungen des Bundes sollen um fünf Prozent (23 Millionen Mark) auf 468 Millionen Mark erhöht werden. n


Aus: Spektrum der Wissenschaft 4 / 1999, Seite 104
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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