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Eurofighter 2000 - Alternativen für ein technologisches Großprojekt

In der überwiegend mit forschungs- und wirtschaftspolitischen Argumenten geführten Debatte über die Anschaffung eines neuen Kampfflugzeugs spielten mögliche Alternativen bisher kaum eine Rolle. Eine Studie des Internationalen Konversionszentrums in Bonn (BICC) sucht dieses Defizit zu beheben.

In diesem Jahr werden Bundesregierung und Bundestag über die Fortführung des Eurofighter-Programms zu beschließen haben. Die Entwicklung des europäischen Kampfflugzeugs – einer leistungsschwächeren Version des einst geplanten Jäger 90 – ist so weit fortgeschritten, daß über die Beschaffung und Produktion entschieden werden kann. Für das BICC war dies Anlaß, von Experten aus den vier beteiligten Ländern Großbritannien, Italien, Spanien und Deutschland Alternativen und Auswirkungen des Projekts in einer Studie herauszuarbeiten zu lassen ("Auswirkungen und Alternativen des Eurofighter 2000". Herausgegeben von Michael Brzoska und Werner Voß. Nomos, Baden-Baden 1996).

Ein Element der Bewertung ist dabei die technologiepolitische Bedeutung des Projekts, die sich allein schon aus dem Finanzierungsaufwand ergibt. Die Entwicklung des Flugzeugs kostet nach Schätzungen der Verteidigungsministerien insgesamt etwa 28 Milliarden Mark; davon werden in Deutschland 8,2 Milliarden Mark verausgabt. Die Gesamtkosten des Projekts einschließlich Produktion und Ausstattung betragen für ungefähr 600 Flugzeuge weit mehr als 100 Milliarden Mark.

Bisher sind in Deutschland knapp sechs Milliarden Mark ausgegeben worden; für die Beschaffung von 140 bis 180 Flugzeugen für die Bundeswehr sind mindestens 30 Milliarden Mark zu veranschlagen. Dies bedeutet, daß jeder Einkommensteuerpflichtige das Kampfflugzeug mit etwa 1000 Mark mitfinanziert. Der Hauptteil des Geldes fließt in die Luft- und Raumfahrt-, ein kleinerer in die elektrotechnische Industrie.

Die Entwicklungskosten sind nicht zuletzt deswegen so hoch, weil zwischen den vier beteiligten Ländern ein hoher Kommunikations- und Koordinationsaufwand erforderlich ist. Alle Firmen achten sorgsam darauf, daß sie nicht nur Arbeitspakete entsprechend der Kostenbeteiligung ihres jeweiligen Landes erhalten, sondern daß sie auch am entstehenden Wissen zur Lösung komplexer technischer Probleme – wie etwa der Steuerung des aerodynamisch instabilen Fluggeräts und der Umsetzung neuer Verfahrenstechniken beispielsweise für Kohlefaser-Verbundwerkstoffe – partizipieren. Aber wie wichtig sind diese technologischen Lernprozesse? Rechtfertigen sie die hohen Ausgaben?


Mythos Spin-off

Zwei Überlegungen lassen daran erhebliche Zweifel aufkommen. Zunächst stellt der Eurofighter nur in Teilbereichen Forschung am Rande des technischen Wissens dar. Hierzu gehört zum Beispiel die Entwicklung der Steuerungs-Software für ein Kampfflugzeug, das sich ohne Computerunterstützung nicht fliegen läßt. Doch weil viele Konstruktionsmerkmale und Komponenten bereits in den achtziger Jahren festgelegt wurden und die militärischen Auftraggeber eine gewisse Risikoscheu haben, kommt in vielen Bereichen eine Technik zum Einsatz, die für zivile Anwendungen bereits veraltet ist. Diese in komplexen – insbesondere internationalen – militärischen Großprojekten unvermeidbare frühe Auswahl von Technologien begrenzt den späteren Nutzen für Folgeprojekte.

Nur am Rande sei vermerkt, daß der Eurofighter auch im Bereich spezieller militärischer Technologie nicht unbedingt dem neuesten Stand entspricht. Hinsichtlich der Nicht-Entdeckbarkeit durch Radar und andere Sensortechniken, des sogenannten Stealth-Faktors, ist das Flugzeug vergleichbaren Neuentwicklungen in den USA – wie etwa der F-22 – hoffnungslos unterlegen. Untersuchungen der RAND-Corporation geben dem Eurofighter ähnliche Noten wie den neuesten Versionen der F-16 und F-18 – beides sind Kampfflugzeuge, die in den USA vor mehr als 20 Jahren entwickelt worden waren.

Der zweite – und aus volkswirtschaftlicher Sicht wichtigere – Einwand ist, daß die sogenannten spin-offs für die zivile Fertigung gering sind. Seit Jahren heben einschlägige wirtschaftsstatistische Studien in den USA die nur mehr marginale Bedeutung militärischer Entwicklungen für den Fortschritt ziviler Güter insbesondere in der Elektronik, aber auch im Luftfahrzeugbau hervor. (Die wohl bekannteste Studie, "Beyond Spin-Off" von John Alic und anderen, wurde 1992 in der Harvard Business School Press veröffentlicht.)

In den vierziger, fünfziger und sechziger Jahren war das noch anders: Die üppige staatliche Förderung wenig entwickelter Technologien wie des Transistors und später des integrierten Schaltkreises durch das amerikanische Verteidigungsministerium verhalf zu technologischen Durchbrüchen, die später auch in zivilen Bereichen vielfältige neue Anwendungen ermöglichten. Die militärische Forschungsförderung hat seitdem zwar nicht abgenommen, aber die zivile, vor allem industrielle Forschung wurde stark ausgeweitet. Technologische Durchbrüche werden heute somit eher in der zivilen als in der militärischen Forschung erzielt. Vieles davon ist dual use, läßt sich also sowohl in militärischen als auch in zivilen Produkten verwenden. Es ist sogar festzustellen, daß immer mehr militärisch verwendete Technologien zivilen Ursprungs sind, daß also gewissermaßen ein spin-in stattgefunden hat. Klassisches Beispiel dafür sind Rechnerbausteine, die für den Massenmarkt derart rasant weiterentwickelt werden, daß der militärische Forschungsbereich seit Jahren nicht mitzuhalten vermag.


Argument Arbeitsplätze

Die Veränderungen im Verhältnis zwischen ziviler und militärischer Technologie offenbaren sich auch in den Produktpaletten führender Firmen der Luftfahrtindustrie. Während Bausteine sowohl für zivile als auch für militärische Verwendung zunehmend von denselben Herstellern stammen, spezialisieren sich die Hersteller von Endprodukten. Die Firma Lockheed beispielsweise ist gänzlich aus dem zivilen Flugzeugbau ausgestiegen; der ehemalige Konkurrent Boeing hingegen bietet jetzt nur noch zivile Passagiermaschinen an.

Außer technologischen Faktoren, die vor allem durch unterschiedliche Anforderungen an das Kosten-Leistungs-Verhältnis im Betrieb bedingt werden, sind vor allem unterschiedliche Firmenkulturen für die zunehmende Trennung verantwortlich. Im militärischen Bereich hat man es überwiegend nur mit einem Kunden, nämlich dem Staat, zu tun, der die Erfüllung von Sonderwünschen verlangt, dafür aber auch Sonderbehandlung verspricht. Der zivile Markt hingegen ist differenzierter, mit vielen Kunden, die daran gewöhnt sind, sich durch Kostenargumente überzeugen zu lassen.

In Europa wird der Vorgang der Konzentration und Spezialisierung durch die fortbestehenden nationalen Grenzen verzögert. Jeder der großen europäischen Staaten hat entweder nur noch einen großen Flugzeugbaubetrieb oder wird – wie Frankreich – demnächst nur noch einen haben. (Die Fusion von Aerospatiale und Dassault, den beiden großen französischen Luftfahrzeugbauern, wurde Ende Februar 1996 beschlossen.) Diese Firmen werden gewissermaßen als nationale Champions von ihren Regierungen gehegt und gepflegt. Sie sind jeweils sowohl an zivilen wie auch an militärischen Projekten beteiligt.

Diese überholte Struktur wird durch die Art der geplanten Beschaffung des Eurofighter sogar noch vertraglich festgeschrieben, zumindest für die an diesem Projekt beteiligten Länder Großbritannien, Deutschland, Italien und Spanien. Denn Arbeitspakete werden vorab festgelegt, und die Endfertigung erfolgt in allen vier Ländern parallel.

Unter dem Gesichtspunkt der Kostenersparnis wäre es statt dessen sinnvoller, den jeweils kostengünstigsten Anbieter auszuwählen. Weil in Großbritannien die Produktion des Eurofighter bereits beschlossen ist und zudem British Aerospace die größte Erfahrung im Kampfflugzeugbau hat, liefe ein solches Vorgehen auf eine Beschaffung in Großbritannien hinaus. British Aerospace würde somit zunehmend auf den militärischen Flugzeugbau konzentriert. Die deutsche DASA könnte sich dann – mit ihrer erfolgreichen Beteiligung am Airbus – stärker in Richtung auf den zivilen Flugzeugbau hin entwickeln.

Technologiepolitische Argumente gegen eine solche Entscheidung haben nur relativ geringes Gewicht, denn die vermuteten Technologiegewinne einer Produktion sind zu gering. Im Gegenteil: Aus einer solchen Entscheidung könnten möglicherweise sogar technologiepolitische Impulse gewonnen werden. Es ist nämlich international üblich, bei der Beschaffung von Waffensystemen im Ausland auf Kompensation durch Gegenkäufe von Waren oder Dienstleistungen zu bestehen. Solche offset-Geschäfte übertrafen in der Vergangenheit häufig das Finanzvolumen der Waffenanschaffung. Offsets aus Großbritannien könnten wiederum aus Rüstungsgütern bestehen, aber auch aus zivilen Produkten – die BICC-Studie nennt hier vor allem die Solartechnik.

Durch Kompensationsaufträge ließen sich in Deutschland möglicherweise mehr Arbeitsplätze schaffen, als durch die Produktion des Eurofighter entstehen würden. Eine genaue Aussage darüber ließe sich freilich nur machen, wenn die Bundesregierung ernsthaft mit den Partnerländern über diese Alternative verhandelte.

Noch mehr Arbeitsplätze ließen sich vermutlich gewinnen, wenn das für die Beschaffung des Eurofighter vorgesehene Geld gänzlich in zivile Vorhaben fließen würde – auch hier sind Programme zur Förderung von Zukunftstechnologien wie zum Beispiel umweltfreundlichere Flugzeugantriebe denkbar. Sicherheitspolitisch wäre dies für Deutschland unproblematisch. Denn die westlichen, durch NATO und Europäische Union verbundenen Länder werden gegenüber den Nachfolgestaaten der Sowjetunion im Bereich der Kampfflugzeuge zu Beginn des nächsten Jahrhunderts, wenn der Eurofighter der Luftwaffe zugehen soll, quantitativ und qualitativ deutlich überlegen sein – auch ohne dieses neue Waffensystem. Die Bundesluftwaffe hat bisher kein verbindliches Konzept für die Zeit nach 2000 vorgelegt, obwohl auch sicherheitspolitisch Alternativen zum Eurofighter möglich sind.

Allerdings sieht es nicht so aus, als könne der Bundestag über die hier nur angedeutete Bandbreite von Alternativen sinnvoll diskutieren. Die Bundesregierung wird vermutlich die Beschaffung wie geplant mit dirigistisch aufgeteilter Produktion vorschlagen. Den Abgeordneten bleiben dann nur die Möglichkeiten zuzustimmen oder abzulehnen – letzteres unter dem Druckmittel des Verlustes von Tausenden von Arbeitsplätzen (das Bundesministerium für Verteidigung spricht von mehr als 18000 Arbeitsplätzen, in der Studie wird mit bis zu 12500 gerechnet). Ausgearbeitete Alternativen werden nicht vorliegen, weder für den Fall einer ausländischen Beschaffung mit offsets noch für zivile Technologieprogramme bei Ablehnung der Beschaffung. Die Studie des BICC macht deutlich, daß es zwischen diesen Extremen durchaus Alternativen gibt, mit denen nicht nur Arbeitsplätze gerettet werden könnten, sondern die auch der Förderung für die deutsche Industrie zukunftsträchtigerer Technologien als des Kampfflugzeugbaus dienen könnten.


Aus: Spektrum der Wissenschaft 6 / 1996, Seite 115
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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