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Experimentelle Marktwirtschaft

Um das Wechselspiel von Angebot und Nachfrage zu untersuchen, läßt man in kontrollierten Versuchssituationen kleine Gruppen von Anbietern und Käufern wirtschaftliche Daten austauschen. Daraus ist zu lernen, wie spekulative Überhitzungen – bis hin zum Börsenkrach – entstehen und wie man ihnen zu begegnen vermag.

Seit Jahrtausenden haben die Menschen den Drang zu „Warenverkehr, Handel und Tausch“, wie der englische Ökonom Adam Smith (1723 bis 1790) in seiner „Untersuchung über die Natur und die Ursachen des Reichtums der Nationen“ aus dem Jahre 1776 schrieb. Beide Partner eines freiwilligen, ehrlichen Handels meinen nachher besser dazustehen. Durch gut organisierte Märkte wächst die Reichweite des individuellen Geschäfts, denn nun können die Menschen ihre Produkte gegen vielfältige Güter und Dienstleistungen anderer eintauschen. Ihnen steht frei, sich auf bestimmte Aktivitäten zu spezialisieren und dennoch ihr Bedürfnis nach Nahrung, Kleidung, Unterkunft und Luxusgütern zu befriedigen. Da die Spezialisierung die Produktivität steigert, erhöht das Tauschsystem den Reichtum der gesamten Gesellschaft (Bild 1).

Dieses ökonomische Weltbild steht und fällt mit der Voraussetzung, daß die Märkte einen Preis festsetzen, der Angebot und Nachfrage in Einklang bringt. Zum Gleichgewichtspreis sind die Erzeuger bereit, genau die Menge eines Gutes zu verkaufen, welche die Verbraucher zu diesem Preis zu kaufen gewillt sind. Angebot und Nachfrage sind allerdings nicht direkt beobachtbar, und daher gab es für dieses Axiom praktisch keine empirische Grundlage.

Bisher hat sich die Ökonomie von den Naturwissenschaften grundlegend darin unterschieden, daß Wirtschaftswissenschaftler keine kontrollierten Laborexperimente durchführten. Bei der Analyse wirklicher Märkte lassen sich die Funktionen, die Angebot und Nachfrage steuern, nicht direkt messen, sondern nur indirekt durch Beobachten der Preise und des Handelsvolumens erschließen. Insofern haftet allen Schlußfolgerungen etwas Tautologisches an.

Doch das beginnt sich nun zu ändern. In den letzten zehn Jahren sind an etwa einem Dutzend Universitäten und anderen Institutionen in aller Welt Markt-Laboratorien entstanden. In solchen Einrichtungen können die Ökonomen Vorhersagen ihrer Theorien überprüfen und den Einsatz modernster Technik für effizientere Märkte erproben.

Erste Versuche

Über Markt-Experimente berichtete wahrscheinlich erstmals Edward Chamberlin von der Harvard-Universität in Cambridge (Massachusetts) im Jahre 1948. Er ließ seine Studenten als Übungsaufgabe im Hörsaal Handel treiben: Sie wurden zu Käufern oder Verkäufern erklärt und sollten nun paarweise versuchen, einen für beide Seiten annehmbaren Preis auszuhandeln. Die Preise erfolgreicher Geschäftsabschlüsse wurden allen Teilnehmern bekanntgegeben; erfolglose Händler trennten sich und suchten neue Partner.

Auf diesen Märkten konvergierten die Preise allerdings nicht zum theoretischen Gleichgewicht. Für die Diskrepanz gab man verschiedene Erklärungen – etwa, daß die Studenten nicht wußten, wo der theoretische Gleichgewichtspreis liegen sollte; außerdem hatten sie im Gegensatz zu Handelspartnern auf einem realen Markt keinerlei finanziellen Anreiz, ihn herauszufinden.

Im Jahre 1956 begann einer von uns (Smith), Chamberlins Ergebnisse eingehender zu untersuchen. Bei einem Experiment setzte Smith 14 Käufer und 14 Verkäufer ein, die mit Einheiten einer hypothetischen Ware handeln sollten. Jeder Käufer erhielt eine Karte, die den Kaufwert einer Einheit anzeigte, und jeder Verkäufer eine andere, auf der die Herstellungskosten für eine Einheit standen. Käufer und Verkäufer kannten nur ihre eigenen Zahlen und hatten keine Ahnung von der Höhe des Gleichgewichtspreises. Am Ende des Experiments winkte ihnen ein Bargeld-Bonus in Höhe der Differenz zwischen ihren Kosten (oder Werten) und dem Preis, den sie auf dem offenen Markt erzielt hatten. Auf seiten der Käufer reichten die vorgegebenen Werte von 3,15 hinunter bis zu 1,05 Dollar (in Sprüngen von 0,15 Dollar); bei den Verkäufern kletterten die Kosten von 1,05 aufwärts bis 3,15 Dollar (Bild 2).

Während bei Chamberlin die Preise unstet fluktuiert und sich nie auf das theoretische Niveau eingependelt hatten, konvergierten sie bei Smith schnell und zuverlässig. Seine experimentellen Bedingungen unterschieden sich von denen Chamberlins in mehrfacher Hinsicht, doch war – wie spätere Forschungen gezeigt haben – der wichtigste Unterschied die Art und Weise, wie der Markt die Preisinformationen verbreitete: Anstelle von bilateralen Verhandlungen ließ Smith jeden Käufer oder Verkäufer sein Preis- oder Warenangebot der gesamten Gruppe mitteilen; jedesmal, wenn ein Käufer ein Warenangebot oder ein Verkäufer ein Preisangebot akzeptierte, wurde ein Abschluß getätigt.

Dieses System, eine sogenannte beiderseits offene Auktion, hat deutliche Parallelen zu den Regeln der Waren- und Terminbörse: Es läßt einen lebhaften, scheinbar chaotischen Markt entstehen und macht dabei allen Teilnehmern umfangreiche Informationen zugänglich. Die Kenntnis der Preis- und Warenangebote der anderen Händler hilft jedem Käufer oder Verkäufer, den Preis näher an das Wettbewerbsgleichgewicht heranzuführen. Tatsächlich haben die experimentellen Marktwirtschaftler festgestellt, daß die Wahl des institutionellen Rahmens, in dem das Marktgeschehen sich abspielt, oft darüber entscheidet, ob der Handel reibungslos abläuft und der Marktpreis zu seinem theoretischen Wert konvergiert.

Während der ersten zehn Jahre von Smiths Versuchsreihen bestanden die experimentellen Märkte aus einer Gruppe von Versuchspersonen in einem Raum, die Kauf- und Verkaufsangebote austauschten, während der Experimentator tapfer versuchte, all die umherschwirrenden Informationen aufzuzeichnen. Im Jahre 1976 – Williams arbeitete gerade an seiner Dissertation – führten wir erste computergestützte Markt-Experimente durch; sämtliche Informationen über das Handelsgeschehen wurden nun automatisch registriert und gespeichert, selbst wenn der Experimentator sie im Moment gar nicht brauchte. Somit ließen sich alte Experimente im Lichte neuer Theorien und subtilerer Vorhersagen nochmals analysieren (Bild 3).

Jedes Computer-Terminal liefert den Versuchspersonen passende Informationen über die Marktumgebung – etwa eine Geschichte der Preisbewegungen oder Aufzeichnungen der eigenen Handelstätigkeit mit den zugeordneten Kosten oder Erlösen. Außerdem bietet der Computer eine Reihe von Hilfen an, die jede Versuchsperson in Ruhe studieren kann; der Versuchsleiter braucht also nicht mehr zu erklären, wie man Handel treibt, und übt somit keinen unerwünschten Einfluß auf den Verlauf des Experiments aus.

An sich kann man per Computer jede gewünschte Gruppe von Marktregeln vorgeben, doch wir konzentrierten uns zunächst auf eine Computer-Version der beiderseits offenen Auktion. Schon damals war klar, daß auf den bedeutenden Finanzmärkten erdumspannende Computer-Netzwerke allmählich den Handel per Zuruf und Handzeichen ablösen würden. Indem wir das Grundprinzip imitierten, nach dem solch weitverzweigte Märkte funktionieren, suchten wir ihr Verhalten besser zu verstehen.

Spekulative Überhitzung

Obwohl sich computergestützte Märkte in vieler Hinsicht vom herkömmlichen Handel mit unmittelbar menschlichem Kontakt unterscheiden, gibt es typische Gemeinsamkeiten. Ein Phänomen, das dem organisierten Handel praktisch von Anfang an zu schaffen gemacht hat, ist die spekulative Überhitzung bis hin zum Börsenkrach: Die Preise steigen auf ungeahnte Höhen und stürzen dann überraschend ab. Im 17. Jahrhundert geschah dies mit holländischen Tulpenzwiebeln; am Schwarzen Montag, dem 19. Oktober 1987, brach der Aktienmarkt in den Vereinigten Staaten ein.

Um Überhitzungen zu imitieren, mußten wir unseren Versuchsteilnehmern erlauben, zur Realisierung eines Kapitalgewinns möglichst billig zu kaufen und möglichst teuer zu verkaufen. Bei früheren Experimenten hatten die Teilnehmer die Rolle des Käufers oder des Verkäufers beibehalten. Überdies war es den Verkäufern verboten gewesen, Bestände von einer Handelsperiode auf die nächste zu übertragen; dadurch hatten sie keine Möglichkeit, auf etwaige Preisänderungen zu spekulieren. Nach den neuen Regeln durften die Händler hingegen kaufen, verkaufen oder Einheiten zum späteren Verkauf zurückhalten. Folglich hing der Wert, den sie einer Einheit zumaßen (und der Preis, den sie zu zahlen gewillt waren), davon ab, wieviel andere Händler ihrer Meinung nach später dafür zu zahlen bereit sein würden.

Im Laufe der Jahrhunderte haben die Ökonomen verschiedene Theorien für das Verhalten des Börsenmarkts vorgeschlagen. Nach dem heute favorisierten Modell der rationalen Erwartungen folgen die Preise für ein Wertpapier den Investitionserträgen, die es bietet. Wenn alle Händler auf einem Markt darüber dieselbe Erwartung hegten, wäre gemäß dieser Theorie ein Börsenkrach unmöglich. Auch um diese Hypothese zu prüfen, konstruierten wir einen Markt, auf dem die Teilnehmer Aktien kaufen, verkaufen oder über mehrere Handelsperioden zurückhalten konnten, weil sie Dividenden oder einen Preisanstieg erwarteten.

Bei einem typischen Experiment erhielt jeder Händler zu Beginn ein variables Guthaben an Bargeld und Aktien. Am Ende jeder Handelsperiode warf jede Aktie eine Dividende ab, die statistisch um einen festen Wert schwankte. Der erwartete Wert für den Dividendenfluß einer einzelnen Aktie – die Durchschnittsdividende mal der Anzahl der verbleibenden Handelsperioden – wurde zu Beginn jeder Periode bekanntgegeben. Betrug die Durchschnittsdividende zum Beispiel bei einem 15 Handelsperioden langen Experiment 0,24 Dollar, so wurde jedem Händler zu Beginn der ersten Phase mitgeteilt, der durchschnittliche Anteilswert einer Aktie sei 3,60 Dollar; zu Beginn der zweiten Phase erfuhr man, der Wert sei nun 3,36 Dollar, und so weiter. Am Ende des Experiments erhielt jeder Händler sein ursprüngliches Barvermögen zuzüglich aufgelaufener Dividenden und Kapitalgewinne sowie abzüglich der Kapitalverluste (das Aktienguthaben selbst hatte also am Ende des Handels keinen Wert mehr).

Statt Kosten und Wert einer Aktie direkt zu steuern, manipulierte dieses Markt-Experiment den zugrundeliegenden Eigenwert einer Aktie, der durch den erwarteten Dividendenfluß bestimmt wird. Doch Händler können bei ihren Entscheidungen außer dem Eigenwert durchaus auch erwartete Kapitalgewinne berücksichtigen; darum lassen sich die Angebots- und Nachfragekurven, denen der Handel gehorcht, nicht mehr direkt messen.

Nach der Theorie der rationalen Erwartungen haben alle Händler exakt dieselben Informationen; folglich sollten die Erwartungen künftiger Preise fast gleich sein. Falls überhaupt Handel getrieben wird, sollte er zu Preisen nahe dem – im Laufe des Experiments linear abfallenden – Eigenwert einer Aktie stattfinden. Demnach wird sich niemand einen Kapitalgewinn durch billigen Einkauf und teuren Verkauf versprechen, und es wird wenig oder gar kein Handel stattfinden. Wenn die Händler hingegen aus irgendeinem Grund unterschiedliche Entwicklungen des Eigenpreises annehmen, werden diejenigen mit niedrigen Preiserwartungen an jene mit hohen verkaufen.

Wir wollten klären, ob der gleiche Wissensstand über den Grundwert einer Aktie ausreicht, gleiche Erwartungen zu wecken. Wie sich herausstellt, ist dem nicht so. Das Standardmodell der rationalen Erwartungen sagt den kurzfristigen Preis einer Aktie nur sehr schlecht voraus, sofern die individuellen Bewertungen stark vom erwarteten Verhalten der anderen Händler abhängen. Obwohl die rationalen Erwartungen letztlich die Oberhand behalten, konvergieren die Preise nur langsam; hier macht sich schmerzlich bemerkbar, daß es keine Theorie gibt, welche die Preisentwicklung zufriedenstellend erklärt.

Wir ließen das Experiment dreimal an verschiedenen Tagen stattfinden. Jeder Marktzyklus dauerte zwei bis drei Stunden. Am ersten Tag begann der Handel zu Preisen, die deutlich unter dem Eigenwert lagen; sie kletterten rasch darüber hinaus und blieben bis zur vorletzten Handelsperiode auf hohem Niveau; dann stürzte der Preis plötzlich ab. Die spekulative Überhitzung wiederholte sich am zweiten Handelstag, dauerte allerdings erheblich kürzer: In den letzten Phasen folgten die Preise bereits dem Abwärtstrend des Eigenwerts. Am dritten Tag bewegten sich die Preise schließlich von vornherein auf den Eigenwert zu (Bild 4 links).

Das Modell der rationalen Erwartungen setzt voraus, daß die Händler mit gleicher Information ähnliche Voraussagen über den Aktienwert treffen. Bei einem leicht abgewandelten Experiment sollten die Händler vor jeder Periode den durchschnittlichen Aktienpreis vorhersagen, wobei dem Teilnehmer mit dem geringsten kumulativen Irrtum eine kleine Belohnung winkte. Diese Prognose entspricht vielleicht nicht exakt den Preiserwartungen des Händlers, erschien uns aber als das bestmögliche Maß dafür. Wie erwartet, machten unerfahrene Händler höchst unterschiedliche Vorhersagen; doch schon nach zwei Tagen Praxis konvergierten ihre Prognosen zum Eigenwert der Aktien.

Subjektive Wahrnehmung des Börsenkrachs

Seltsamerweise gibt die Art, wie die Versuchsteilnehmer diese Märkte wahrnehmen, kaum Aufschluß über den Grund des spekulativen Börsenkrachs. Ein Teilnehmer fragte während der ersten Handelsphase: „Was sollen diese Panikkäufe? Müßten die Preise nicht bei ungefähr 3,60 Dollar liegen?“

Ein anderer erklärte, seine Strategie sei eigentlich gewesen, unter dem Dividendenwert zu kaufen und darüber zu verkaufen, doch seien die Marktpreise zu schnell explodiert, als daß er hätte unter Wert kaufen können. „Darum kaufte ich trotzdem – in der Hoffnung, sie würden weiter steigen.“

„Die Preise stiegen grundlos an“, meinte ein dritter. „Als der Markt absackte, wußte ich, daß es falsch gewesen war, nicht früher zu verkaufen; aber ich konnte mich einfach nicht zum Verkauf durchringen, obwohl die Preise noch immer über dem Dividendenwert lagen.“

Marktorganisation

Wir haben versucht, Börsenkrachs auszuschließen, aber das Phänomen erweist sich als äußerst hartnäckig. Spekulative Überhitzungen treten auf Märkten auf, wo die Händler deckungslos verkaufen können (das heißt, sie verkaufen Aktien, die sie noch gar nicht haben, in der Annahme, daß der Preis bis zur Aktienübergabe sinken werde), oder dort, wo man mit Teildeckung kaufen kann (das heißt, man borgt sich Geld auf den Wert der Aktien, die man gerade besitzt, um damit weitere zu kaufen). Börsenkrachs lassen sich weder durch eine Transaktionsgebühr für jeden einzelnen Abschluß verhindern noch durch Regeln, die die maximale Preisänderung in jeder Periode begrenzen. Sogar Märkte, auf denen die Händler nicht öffentlich bieten, zeigen das typische Muster von spekulativem Anstieg und plötzlichem Zusammenbruch. Und vor allem: Börsenkrachs treten unabhängig davon ein, ob sich auf unseren experimentellen Märkten Studenten, leitende Geschäftsleute oder professionelle Börsenmakler tummeln.

Anscheinend gibt es keine Organisationsform des Marktes, die spekulative Preise völlig verhindert; dennoch sind manche Marktformen stabiler als andere. Wir haben an drei typischen Märkten untersucht, wie gut Preisniveau und Handel auf Veränderungen im theoretischen Gleichgewicht reagieren. Der erste Markttyp war die beiderseits offene Auktion, der zweite die Preisfestsetzung durch einseitiges Angebot (wobei die Verkäufer einen Preis vorgeben und die Käufer entscheiden, ob und wie viele Einheiten sie kaufen). Der dritte Typ war die beiderseits verdeckte Auktion; dabei hinterlegen die Händler Kauf- und Verkaufsgebote, und eine dritte Instanz tätigt dann die Abschlüsse.

Unser experimenteller Markt umfaßte vier Käufer und vier Verkäufer; jeder konnte mit höchstens sechs Einheiten einer hypothetischen Ware handeln. Jede Einheit wurde privat unterschiedlich bewertet: Ein Händler machte immer weniger Profit, wenn er eine zweite Einheit zum gleichen Preis kaufte oder verkaufte wie die erste, eine dritte zum gleichen Preis wie die zweite, und so weiter. Die privaten Werte, welche die Angebotskurve des Marktes bestimmten, blieben fest, aber die für die Nachfrage ausschlaggebenden änderten sich während des Experiments. Nach zwei stabilen Handelsperioden stieg die Nachfrage sechs Perioden lang an, flachte zwei Perioden lang ab und sank dann im Laufe von sechs weiteren Perioden.

Wenn wir den Handel nach den Regeln der beiderseits offenen Auktion abwickeln ließen, fluktuierten die Preise zwar innerhalb jeder Handelsperiode beträchtlich, aber an deren Ende lagen sie jedesmal bemerkenswert dicht am Wettbewerbsgleichgewicht (Bild 4 rechts). Außerdem verhielt sich auch das Handelsvolumen gemäß der Theorie der Wettbewerbspreise, indem es mit steigenden Preisen zu- und mit fallenden abnahm. Der Markt war zwar ganz offensichtlich fern vom Gleichgewicht, doch seine innere Dynamik trieb ihn rasch in die theoretisch vorausgesagte Richtung.

Während die beiderseits offene Auktion für Waren- und Terminbörsen charakteristisch ist, arbeiten die meisten Einzelhandelsmärkte nach dem Prinzip des einseitigen Preisangebots. Wie unsere Experimente zeigten, paßt dieser Markttyp sich einem wechselnden Gleichgewicht nur schlecht an: Bei steigendem Bedarf hinkten die Preise hinterher, und zugleich war das Handelsvolumen niedrig, wenn man es mit der Anzahl möglicher profitabler Geschäftsabschlüsse verglich.

Überdies stiegen die Preise auch bei längst sinkender Nachfrage immer weiter, bis schließlich sämtliche von den Verkäufern annoncierten Angebote über dem Wert lagen, den die Käufer dem Produkt beimaßen. Drei Perioden hintereinander fand überhaupt kein Handel statt, und die angebotenen Preise fielen rapide. Wir ließen den Markt mit konstanter Nachfrage weiterlaufen, bis er sich schließlich nach zehn Perioden stabilisierte. Zu diesem Zeitpunkt lagen die Preise etwas über dem Wettbewerbsgleichgewicht und das Handelsvolumen geringfügig darunter.

Obwohl bei unseren Experimenten die Preisbildung durch einseitiges Angebot deutlich schlechter abschnitt als die durch beiderseits offene Auktion, eignen einseitige Angebote sich möglicherweise dennoch für große und stabile Märkte – insbesondere, wenn bei jeder Transaktion nur kleine Summen den Besitzer wechseln. Daß einseitige Preisangebote das Handelsvolumen dämpfen und auf eine Gleichgewichtsverschiebung nicht zu reagieren vermögen, wird dann durch die Tatsache wettgemacht, daß dabei keinerlei Transaktionskosten entstehen (Bild 5). Bei den Waren- und Terminbörsen fallen hingegen hohe Transaktionskosten an, da Tausende von Händlern ununterbrochen damit beschäftigt sind, die Preise auf dem Gleichgewichtsniveau zu halten.

Beiderseits verdeckte Auktionen

Das letzte Verfahren, das wir untersuchten, war die beiderseits verdeckte Auktion. Sie setzt die Preise anscheinend genauso wirkungsvoll fest wie die beiderseits offene, doch die Transaktionskosten sind geringer. Die Händler bereiten Verkaufs- oder Kaufofferten vor, die genau angeben, wie viele Aktien sie zum jeweiligen Preis kaufen möchten; der Rechner an ihrem Arbeitsplatz übermittelt diese Preis-Mengen-Kombinationen in regelmäßigen Abständen an den zentralen Markt-Computer. Er setzt nun den Marktpreis fest, indem er feststellt, wo sich die Kurve für die Gesamtzahl der zum jeweiligen Preis käuflichen Einheiten mit der Kurve für die Gesamtzahl der nachgefragten Einheiten schneidet.

Ausgeführt werden Kaufaufträge, die einen Preis oberhalb des Schnittpunkts angeben, sowie Verkaufsangebote zu Preisen unter Marktniveau. Alle Abschlüsse finden nicht zu den in den Kauf- oder Verkaufsaufträgen angegebenen Preisen statt, sondern zum Marktpreis. Die Aufträge zeigen somit den höchstmöglichen Kaufpreis beziehungsweise den niedrigsten akzeptablen Verkaufspreis an. Wenn zum Marktpreis ein Angebots- oder Nachfrageüberhang entsteht, eliminiert der Computer nach dem Zufallsprinzip Aufträge, um das Gleichgewicht herzustellen.

Nach dem Ende des Handels informiert der Zentralcomputer die Händler über den Marktpreis, das Volumen der gehandelten Aktien und den Stand ihrer Abschlüsse. Wenn die preislich höchste Kauforder tiefer liegt als das niedrigste Verkaufsgebot, wechselt keine Aktie den Besitzer, und die Händler werden über das hohe Verkaufs- und das niedrige Kaufangebot informiert.

In unseren Experimenten zeichnete die beiderseits verdeckte Auktion den Gleichgewichtspreis sogar getreuer nach als die beiderseits offene. Darum wäre angesichts der heutzutage zunehmend computergestützten Aktien-, Obligationen- und Warenbörsen zu überlegen, ob man nicht anstelle der beiderseits offenen Auktionen, die vor allem bei persönlicher Anwesenheit der Vertragspartner sinnvoll sind, beiderseits verdeckte einführen sollten.

Die rasche Übermittlung jedes Verkaufs- und Kaufgebots an alle Händler erfordert allerdings enorme Übertragungskapazitäten. Selbst für die kleinen Märkte im Labor lassen sich nur schwer Markt-Programme schreiben, die den Fluß von Verkaufsangeboten, Kaufgeboten und Abschlüssen wie auf einer echten Börse aufrechterhalten. Die korrekte Reihenfolge der Gebote zu garantieren, die Verkaufsabschlüsse zu unterscheiden und über die neue Marktsituation zu informieren könnte dann zum unüberwindlichen Problem werden, wenn mehrere hundert Börsenmakler an entlegenen Standorten innerhalb weniger Sekunden Preisquoten auf dem Markt anmelden.

Bei einer beiderseits verdeckten Auktion lassen sich jedoch Aufträge bündeln und im Paket verarbeiten; dies würde das Computernetz enorm entlasten. Die zeitliche Reihenfolge der Daten müßte weniger genau beobachtet werden, weil der zentrale Markt-Computer die Verkaufs- und Kaufgebote passend synchronisieren würde. Auf Märkten mit hohem Handelsvolumen könnte er die Preis-Mengen-Kombinationen zum Beispiel einmal pro Minute von den Händlern abfragen, bei niedrigerem Volumen sogar nur einmal pro Stunde.

Eine solche Methode verwendet die Börse des US-Bundesstaats Arizona, die im März 1992 die Geschäfte aufnahm. Während der täglichen Öffnungszeit werden die Verkaufs- und Kaufgebote öffentlich bekanntgemacht, und alle Abschlüsse finden zum Gleichgewichtspreis statt, wenn der Markt schließt. Rund 200000 Aktien wechseln so täglich den Besitzer.

Die experimentelle Marktforschung gibt nicht nur alteingeführten Glaubenssätzen der Wirtschaftstheorie eine empirische Grundlage, sondern zeigt auch im einzelnen, wie bestimmte Regeln das Marktgeschehen beeinflussen. In dreißig Jahren Forschung hat sich bestätigt, daß der Markt fast immer ein äußerst wirksames Mittel ist, Waren von den Erzeugern, die sie am kostengünstigsten herstellen, zu den Konsumenten zu bringen, die ihnen den höchsten Wert beimessen. Auf diese Weise vermag der organisierte Tausch das menschliche Wohlergehen wirksam zu fördern.

Etablierung neuer Märkte

Mit den gleichen Techniken sucht man derzeit die Gestalt von Märkten festzulegen, die noch gar nicht existieren. Zum Beispiel helfen in Süd-Kalifornien experimentelle Ökonomen mit, das novellierte Gesetz zur Luftreinhaltung (Clean Air Act) in die Tat umzusetzen und die wirksamsten Regeln für den Handel mit Emissionsrechten herauszufinden. Ein funktionierender Markt für Schadstoff-Quoten senkt die Überwachungskosten, denn wer seine Emissionen kostengünstig zu reduzieren vermag, verkauft seine überschüssigen Quoten an diejenigen, für die eine Reduzierung teuer käme. In ähnlicher Weise entwickelt man gegenwärtig praktikable Markt-Regeln für Erdgas und elektrischen Strom.

Das wohl größte Interesse an experimentellen Märkten haben die Staaten des früheren Ostblocks, die nach jahrzehntelanger zentraler Planwirtschaft ihre darniederliegende Wirtschaft nun gemäß den Prinzipien des Marktes umgestalten. Im Sommer 1992 war einer von uns (Smith) an der Organisation eines Seminars für Manager des Verbrauchsgütersektors und Regierungsbeamte aus Polen, der Tschechoslowakei und Ungarn beteiligt; sie übten dort, wie man nach unterschiedlichen Regeln Handel treibt.

Menschen, die niemals an wirklichen Märkten teilgenommen haben, können an Computermodellen risikolos geschäftliche Fähigkeiten erwerben. Und selbst ganze Nationen, die gezwungen sind, praktisch aus dem Nichts Märkte für Aktien, Finanzmittel und Gebrauchsgüter zu schaffen, könnten mittels experimenteller Untersuchungen Marktformen entwickeln, die ihre knappen Wirtschaftsressourcen optimal nutzen.


Aus: Spektrum der Wissenschaft 2 / 1993, Seite 68
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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