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Fehlt den Europäern der Mut zu neuen Produkten?

Die vergleichende Analyse von Patentaktivitäten kann als Indikator für die Gefährdung der Wettbewerbsfähigkeit einer Volkswirtschaft dienen. Ein Vergleich der Bundesrepublik, Großbritanniens und Frankreichs mit Japan und den USA zeigt Defizite in wichtigen Schlüsseltechnologien auf, eröffnet aber auch Ansätze zu deren Beseitigung.

Würde man die Bedeutung wirtschaftlicher Tätigkeiten an der Berichterstattung in den Medien messen, so müßte man der Vermehrung von Geld durch geschickte Anlagestrategien oder Steuereinsparungen einen höheren Rang einräumen als dem Gewinn aus der Einführung neuer, innovativer Produkte. Tatsächlich aber sind prosperierende Unternehmen, deren Mitarbeiter durch Kreativität und Fleiß Wertschöpfung erzielen, eine entscheidende Voraussetzung für rentable Kapitalanlagen. Der finanzielle Aufwand für Entwicklung und Investition kann bei erfolgreichen Produkten durchaus schon innerhalb eines Jahres wieder eingespielt werden.

Die modernen Verkehrs- und Kommunikationsmittel haben allerdings dazu beigetragen, daß heute selbst komplizierte technische Produkte an fast jedem beliebigen Ort der Erde gebaut werden können. Wesentliche Produktionskapazitäten werden denn auch mit immer geringerem Zeitversatz zu den jeweils kostengünstigsten Standorten verlagert. Der Lebensstandard in den hochentwickelten Industrieländern läßt sich deshalb nur halten, wenn sie zum einen den hohen (und volkswirtschaftlich teuer erkauften) Ausbildungsstand ihrer Bürger für die Entwicklung wettbewerbsüberlegener Produkte nutzen und zum zweiten die darin umgesetzten Ideen und Forschungsergebnisse durch Schutzrechte so absichern, daß die Wertschöpfung für das Inland genügend Spielraum zur Finanzierung weiterer Innovationen bietet.

Vor diesem Hintergrund ist zu fragen, ob die deutsche Wirtschaft es sich leisten kann, hochqualifizierte Ingenieurkapazität brachliegen zu lassen. Zur Freisetzung erfahrener Mitarbeiter und Nichteinstellung junger, modern ausgebildeter Ingenieure kommt, daß die Beschäftigungszeiten in Entwicklungsabteilungen mitunter weniger als 30 Wochenstunden betragen (so etwa zeitweilig bei einem Automobilkonzern, der durch Arbeitszeitverkürzung ohne Lohnausgleich die Entlassung überflüssiger Arbeitskräfte in der Produktion zu umgehen suchte).


Patentaktivität als Maß für die Innovationskraft

Patente werden erteilt für Erfindungen, die neu und gewerblich anwendbar sind. Mit Patenten können somit Produkte unter Schutz gestellt werden, deren Vermarktung nicht ohne beträchtlichen Entwicklungs- und Investitionsaufwand möglich ist. Nur der Patentinhaber ist befugt, den Gegenstand des Patents herzustellen, anzubieten, in Verkehr zu bringen, zu gebrauchen oder anzuwenden; er kann freilich diese Befugnisse auch durch Vergabe von Lizenzen auf Dritte übertragen.

Aus einer ganzen Reihe von Gründen ist anzunehmen, daß Erfindungen mit Aussicht auf wirtschaftliche Nutzung tatsächlich auf diese Weise geschützt werden:

- Ein Patent bietet mit eine Gewähr dafür, daß die zu erwartenden Gewinne aus dem geleisteten Entwicklungsaufwand sich auch erzielen lassen und nicht etwa ein Dritter durch Übernahme der Produktidee daran ohne entsprechenden Einsatz von Sachkenntnis, Geld und Zeit verdienen kann.

- Ein seriöser Interessent wird sich nur dann für die Vermarktung einer Produktidee entscheiden, wenn sie durch ein entsprechendes Schutzrecht abgesichert ist, um keine unkalkulierbaren Risiken einzugehen.

- Ein Patent weist den Erfinder beziehungsweise das damit befaßte Unternehmen als kreativ und damit hinsichtlich der Innovationsfähigkeit als wettbewerbsstark aus; das ist ein nicht zu unterschätzender Image- und Motivationsfaktor, den die Japaner erkannt haben und andere aufstrebende Nationen sicherlich ebenfalls nutzen werden.

Wegen der strengen Neuheitsanforderungen werden Erfindungen sehr früh im Entwicklungsablauf zum Patent angemeldet. Mithin kann man sich in der Patentliteratur trotz der Zeitspanne bis zur Veröffentlichung deutlich vor einem Serieneinsatz über entsprechende potentielle Produkte orientieren.

Eine Analyse der Patentaktivitäten läßt sowohl auf volkswirtschaftlicher als auch auf unternehmerischer Ebene zuverlässige Rückschlüsse auf Innovationskraft und strategische Ausrichtung zu. Ein mit patentierbaren Produkten befaßtes Unternehmen, das sein Kerngeschäft nicht durch Patente absichert oder abzusichern vermag, wird sich kaum auf dem Markt halten können. Selbstverständlich kann man aus einer intensiven Patentanmeldetätigkeit nicht unmittelbar auf entsprechende spätere Gewinne schließen; Patente sind jedoch im allgemeinen eine unerläßliche Voraussetzung für wirtschaftlichen Erfolg.

Schwächen der deutschen Wirtschaft

Wie sind nun nach diesem Kriterium die wichtigsten Industrieländer einzuordnen? Im Jahre 1991 betrug die jeweilige Gesamtzahl der Patentanmeldungen inländischer Herkunft

- in Japan 335564,

- in den USA 87955,

- in der Bundesrepublik 32321,

- in Großbritannien 19230 und

- in Frankreich 12587.

In Japan werden zwar aufgrund von Detailbestimmungen des dortigen Patentgesetzes, das insgesamt dem deutschen sonst ähnlich ist, im Einzelfall für eine Erfindung mehrere Anmeldungen getätigt, auch wenn in der Bundesrepublik eine einzige ausreicht; aber die gravierenden Unterschiede können dadurch nicht erklärt werden. Dahinter verbergen sich erheblich größere Entwicklungsaktivitäten, eine hohe Motivation für das Anmelden von Patenten und ein intensiver innerjapanischer Wettbewerb zwischen den Unternehmen. Die in Deutschland derzeit aus – nicht immer stichhaltigen – Kostengründen propagierte Zusammenarbeit zwischen Unternehmen oder sogar deren Zusammenschluß reduziert die Konkurrenz; das hemmt langfristig den technischen Fortschritt und infolgedessen auch die Wettbewerbsfähigkeit. (Kooperationen zur Finanzierung noch nicht marktrelevanter Forschung sind hingegen zweckmäßig.) Es kann nicht beruhigen, daß Frankreich und Großbritannien noch geringere Anmeldezahlen aufweisen.

Von hoher Aussagekraft ist ein Vergleich der Aktivitätsprofile, also der prozentualen Verteilung von Patentanmeldungen inländischer Herkunft auf die verschiedenen technischen Gebiete (Bild 1). Dabei fällt sofort auf, daß die Japaner sich auf die Bereiche mit den Kennziffern 26 (Messen, Prüfen, Optik, Photographie), 27 (Zeitmessung, Steuern, Regeln, Rechnen), 28 (Unterricht, Akustik, Informationsspeicherung), 30 (Elektrotechnik) und 31 (Elektronik, Nachrichtentechnik) konzentrieren. Am stärksten ausgeprägt ist ihr prozentualer Vorsprung auf dem Gebiet 28 mit 7 Prozent gegenüber lediglich 2,1 Prozent bei den Amerikanern und 1,5 Prozent bei den Deutschen.

Nun betreffen diese fünf Gebiete, auf denen die Japaner sich als Spitzenreiter erweisen, zukunftsträchtige neue Technologien, von denen sich neuartige Produkte mit entsprechenden Märkten erwarten lassen. Dort nehmen die Amerikaner durchweg den zweiten oder doch einen guten Platz ein, während die Bundesrepublik unter allen verglichenen Nationen auf den Gebieten 27, 28 und 31 an letzter Stelle liegt – ein Indiz für mangelnde Offensivität dem Neuen gegenüber. Auffällig sind noch die Stärken der USA auf dem Gebiet 4 (Gesundheit ohne Arzneimittel, Vergnügen), die der Bundesrepublik auf den Gebieten 10 (Fahrzeuge, Schiffe, Flugzeuge) und 13 (organische Chemie) sowie die der Engländer auf dem Gebiet 20 (Bauwesen) und der Franzosen auf dem Gebiet 11 (Fördern, Heben, Sattlerei).

Betrachtet man einzelne Bereiche genauer, tritt die Stärke der Japaner noch deutlicher hervor (Bild 2). In Mikro- und Unterhaltungselektronik dominieren sie aufgrund massiver Entwicklungsvorleistungen, wobei teilweise Aufholversuche der Amerikaner erkennbar sind. In der Biotechnologie haben die Amerikaner (unter Berücksichtigung der Einflüsse des japanischen Patentgesetzes und der japanischen Motivation zur Anmeldung) inzwischen nahezu gleichgezogen; in der Medizintechnik liegen sie – wiederum unter Berücksichtigung japanischer Sondereinflüsse – vor ihren fernöstlichen Konkurrenten. Hier leistet auch die Bundesrepublik erhebliche Beiträge, nicht hingegen für Fortschritte in der Lasertechnik. In der Kraftfahrzeugtechnik schließlich reichen Amerikaner und Deutsche annähernd gleich viele Anmeldungen ein, wobei jedoch die Japaner wiederum weit vorn liegen.


National unterschiedliche Patentstrategien

Die Relationen der Patentaktivitäten können, wie dieses Beispiel demonstriert, als ein guter Frühindikator für die Entwicklung der innovativen Wettbewerbsstärke und daraus abgeleitet für die Plazierung auf dem Weltmarkt angesehen werden. Die in den letzten Jahren feststellbare Schwächung der relativen Position der Europäer gegenüber Japan und den USA auf allen genannten Gebieten sollte als Alarmzeichen genommen werden.

Wenn die Japaner neue Technologien offensiv aufgreifen, so ist das eine Konsequenz aus dem Verlauf der Nutzung solcher Produkte. Zunächst stehen hohen Aufwendungen für Forschung und Entwicklung kaum Erträge gegenüber. Dann folgt die Markterschließung, in der mit relativ geringen Mitteln sehr hohe Gewinne erzielt werden können. In der Sättigungsphase dagegen, in der es um Produktverbesserungen im Prozentbereich geht, muß wiederum beträchtlicher Aufwand getrieben werden, obgleich nur mehr geringe zusätzliche Erträge zu erwarten sind.

Eine Strategie Japans besteht offensichtlich darin, neue Technologien genau dann aufzugreifen, wenn sie wirtschaftlich am interessantesten sind. Flankierend werden dann durch eine geschickte Industriepolitik, die auch mit Marktabschottung verbunden ist, neue Märkte definiert; so lassen sich Kostensenkungen erreichen, wie sie für die Erschließung des Weltmarktes erforderlich sind.

In Europa ist es dagegen üblich geworden, bereits recht ausgereifte Technologien noch um das letzte optimierbare Quentchen zu verbessern. So wird aufwendige Entwicklung getrieben, die wenig Neuland erschließt und kaum mehr ökonomischen Nutzen bringt.

Betrachtet man die Anzahl von Patentanmeldungen in jeweils anderen Zielländern (Bild 4), so fällt auf, daß die Japaner 1991 in den USA erheblich stärker vertreten waren als in den wichtigsten europäischen Industriestaaten. Dies deutet darauf hin, daß sie ihre Konkurrenten oder ihren Markt beziehungsweise beides hauptsächlich in den Vereinigten Staaten sehen. Bemerkenswert ist, daß im betrachteten Jahr in der Bundesrepublik zusammengenommen erheblich mehr Patentanmeldungen aus Japan (16000) und den USA (22000) eingereicht wurden als von Deutschen selbst (32000), während in diesen beiden Ländern die Zahl der heimischen Anmelder weit über jener der entsprechenden ausländischen lag.

Bei der Analyse von Auslandsanmeldungen ist zu beachten, daß sich dahinter ganz unterschiedliche Motive verbergen können: insbesondere direkter Schutz eigener Produkte, Erzielung von Lizenzeinnahmen oder auch Verhinderung des Eindringens von Wettbewerbern. So antwortete ein namhafter japanischer Photohersteller auf die Frage, warum wohl seine Anmeldungen in Deutschland stark zurückgingen, daß es hier praktisch keine heimische Konkurrenz mehr gäbe.

Analyse von Unternehmensaktivitäten

Man kann die Analyse noch verfeinern, um die Entwicklungsaktivitäten und die Ausrichtung einzelner Unternehmen zu vergleichen. Ein gutes Beispiel bieten die europäischen Patentanmeldungen verschiedener Automobilhersteller während eines Geschäftsjahres. Für die Zeit zwischen dem 1. April 1992 und dem 31. März 1993 ergibt sich die Reihenfolge

- General Motors 150,

- Honda 110,

- Toyota 104,

- Mercedes-Benz 84,

- Audi 81,

- BMW 46 und

- VW 20.

Bei den heimischen Herstellern fällt besonders die geringe Zahl von Anmeldungen der Volkswagen AG auf. Dahinter mögen sich bestimmte Patentstrategien verbergen; vielleicht ist manche deutsche Firma der Meinung, angesichts der starken europäischen Marktverflechtung genüge eine (erheblich billigere) nationale Anmeldung.

Die Detailanalyse läßt sich noch weiter treiben bis in unterschiedliche technische Gebiete. In den absoluten Zahlen (Bild 3 oben) zeigt sich zum Beispiel bei Mercedes-Benz eine Häufung der Anmeldungen von Patenten für Ausstattung, Sicherheit und Komfort; das Unternehmen sucht unter anderem die Klimatisierung seiner Omnibusse zu verbessern. Audi dominiert vor allem im Bereich Karosserie, weil gerade ein Modell der Luxusklasse in Aluminiumbauweise in Serie gegangen ist. General Motors beschäftigt sich intensiv wie auch Honda mit automatischen Getrieben und wie Toyota mit neuen Materialien; dieses japanische Unternehmen engagiert sich zudem stark in neuartigen Produktionsmethoden. Der Spitzenplatz von Honda auf den Feldern alternative Antriebe und Sonstiges erklärt sich insbesondere aus Aktivitäten in Elektro-Traktion, Navigationssystemen, Abstandsradar und Sensorik – es dürfte nicht verwundern, wenn dieser Hersteller das erste praxistaugliche Fahrzeug mit alternativem Antrieb auf den Markt brächte.

Die Schwerpunkte verschieben sich etwas bei Betrachtung der prozentualen Häufigkeiten jedes Herstellers (Bild 3 unten). Produktionstechnologie etwa, deutlich die Domäne von Toyota, wird von den deutschen Herstellern weitgehend vernachlässigt; womöglich ist dies ein Indiz für den Vorsprung des japanischen Unternehmens in Flexibilität, Kosten-Management und Qualität. Der recht hohe prozentuale Wert von BMW in der Rubrik Sonstiges resultiert zum Teil aus Gemeinschaftsanmeldungen mit Zulieferern, unter anderem zum Abstandsradar.


Stärkung der Patentaktivitäten auf nationaler Ebene

Die in solchen Analysen aufgezeigten Defizite wie hier etwa die der Bundesrepublik lassen sich nicht durch Programme zur quantitativen Steigerung der statistischen Werte ausgleichen. Patentanmeldungen sollen nicht die Erfinderehre mehren, sondern sind Mittel zu dem Zweck, durch kreative Ideen und deren Umsetzung das einzelne Unternehmen wie die Volkswirtschaft insgesamt zu stärken. Eine mißliche Situation läßt sich mithin nur durch eine Strategie verbessern, die auf diesen beiden Ebenen wirksam ist.

Ein zentraler Ansatzpunkt auf nationaler Ebene besteht dabei im Ausbildungs- und Kommunikationswesen. Die Quelle unseres Wohlstands liegt ja nicht – wie eingangs angemerkt – im Sparen von Steuern, im Anlegen von Geld, in der Beschäftigung von Anwälten und Betriebsprüfern oder im Lösen juristischer Probleme; sie liegt vielmehr in der Entwicklung und Vermarktung fortschrittlicher Produkte mit überlegenem Kundennutzen. Dazu ist eine möglichst früh einsetzende, umfassende Ausbildung eine Voraussetzung, eine weitere die Vermittlung der Einsicht, daß Technik an sich nicht suspekt und schädlich ist, sondern die Chance bietet, viele anstehende Probleme – gerade auch im ökologischen Bereich – zu lösen. Einer verständigeren allgemeinen Grundhaltung dienlich sind zudem eingehende Informationen über unseren Platz im internationalen Wettbewerb, wie sie sich eben auch aus Patentstatistiken ergeben.

Eine direkte Forschungsförderung, wie sie in der Bundesrepublik praktiziert wird, reizt nicht effizient genug zu Innovationen an. Gefördert werden sollten nicht einzelne, genau definierte, vermeintlich zukunftsträchtige Produkte, sondern konkurrierende Technologien, die bestimmte Ausschreibungskriterien erfüllen. Spätere Anwender oder Vermarkter sollten von Anfang an mit eigenem finanziellem Engagement eingebunden sein.

Eine außerordentlich wirksame Maßnahme dürfte darin bestehen, zunächst noch visionär anmutende, aber von einer breiten Öffentlichkeit nach entsprechender Aufklärung getragene Ziele in einer langfristig angelegten Gesetzgebung festzuschreiben. Solch ein Ziel könnte zum Beispiel darin bestehen, vom Jahre 2005 an innerhalb der Kernzonen von Ballungsräumen oder in Wohngebieten mit einer Geschwindigkeitsbeschränkung auf 30 Kilometer pro Stunde nur noch abgasfreien Individualverkehr zuzulassen; eines mit ähnlicher Stoßrichtung wäre, den Verbrauch an fossiler, also nicht erneuerbarer Energie pro Kopf auf ein bestimmtes Maß zu begrenzen. Dadurch würde ein ungleich stärkerer Innovationsdruck ausgelöst als durch eine Erhöhung der Mineralölsteuer.

Eine intelligente staatliche Industriepolitik muß vorgreifend zunächst kleine Märkte definieren, die dann den sich selbst unterhaltenden Prozeß der Kostendegression bei steigenden Stückzahlen in Gang setzen. Dafür gibt es zahlreiche Ansatzpunkte. Japan hat Lehrbeispiele geliefert, deren positive Aspekte übernommen werden können, ohne daß die negativen kopiert werden müßten. Grundsatz einer solchen Strategie ist es, die marktwirtschaftlichen Mechanismen auf Zukunftssicherung einzustellen.

Die Patentaktivität würde des weiteren reger, wenn die Rahmenbedingungen den Wettbewerb gerade auf Gebieten neuartiger Technologien forcieren und auf eher schon ausgereiften Produktsektoren eine stärkere Kooperation fördern. Auch eine differenzierte fiskalische Behandlung der Aufwendungen für Forschung und Entwicklung ist vorstellbar, beispielsweise durch bessere Abschreibungsmöglichkeiten oder durch verminderte Abgaben für entsprechendes Personal.

Das Grundmuster der Finanzierung des deutschen Patentamtes – niedrige Anmelde- und Prüfungsgebühren sowie progressiv steigende Jahresgebühren für dann wirtschaftlich erfolgreiche Patente – ist sehr zweckmäßig (im Gegensatz zu der Gebührenstruktur des europäischen Patentamtes, das hohe Anfangsgebühren vorsieht). Als Motivation für potentielle Erfinder sollte jedoch der vor einigen Jahren abgeschaffte ermäßigte Steuersatz für Einkünfte aus Erfindertätigkeit unverzüglich wieder eingeführt werden. Zudem sollte das Patentamt möglichst kostendeckend seine Öffentlichkeitsarbeit und sein System zur Vermarktung des umfangreichen dort gespeicherten und mit wenig Aufwand abrufbaren Wissens ausbauen. Eine flankierende Maßnahme wäre, in jeden naturwissenschaftlich-technischen Studiengang eine Vorlesung über Patentwesen und gewerblichen Rechtsschutz aufzunehmen.


Maßnahmen auf betrieblicher Ebene

Ein grundlegendes Problem in Deutschland besteht darin, daß viele Basisentwicklungen in Forschungsinstituten und industriellen Entwicklungsabteilungen gemacht, die entsprechenden Produkte jedoch von anderen Firmen – häufig sogar im Ausland – auf den Markt gebracht werden. Kulturen von Großunternehmen, deren Manager sich mehr mit der Sicherung der eigenen Zukunft als mit der des Unternehmens beschäftigen und deren Entscheidungen gleichsam rein mechanisch von kaum hinterfragten Zahlenreihen abhängen, haben zur Folge, daß Chancen und Risiken verwaltet und nicht unternehmerisch angegangen werden. Mittelständische Unternehmen mit der Kreativität und dem Engagement der häufig persönlich haftenden Eigentümer haben wiederum meist derart dünne Kapitaldecken, daß sie auf das unmittelbare Umsetzen der Fähigkeiten ihrer Mitarbeiter in vermarktbare Produkte angewiesen sind; es ist äußerst kurzsichtig, solche Betriebe, wenn sie Zulieferer großer Konzerne sind, durch kompromißloses Drücken der Preise so zu belasten, daß sie keine Entwicklung mehr finanzieren können.

Wo also finden sich Anhaltspunkte zur Stärkung der Patentaktivitäten auf betrieblicher Ebene?

Zunächst sollte ein Unternehmen sein Kerngeschäft durch Patentanmeldungen absichern. Falls dies nicht möglich ist, stellt sich die Frage, ob die eigene Kompetenz überhaupt eine sichere Geschäftsgrundlage bildet oder ob hinreichende Kompetenz durch entsprechende Entwicklungen mit begleitender Absicherung geschaffen werden kann. Patentpolitik ist insofern eine unmittelbare Aufgabe der Geschäftsführung.

Außerdem sollte keine Neuentwicklung ohne vorherige gründliche Patentrecherche begonnen werden. Man vermeidet damit nicht nur, das Rad zum wiederholten Male zu erfinden, sondern auch, daß ein kostenaufwendiges Produkt nicht vermarktet werden kann, weil es fremde Patente tangiert. Nicht selten stellen gerade in Großunternehmen die Mitarbeiter der Patentabteilung Doppelarbeiten fest, weil verschiedene Entwicklungsgruppen nicht untereinander über ihre Arbeit informiert sind. Generell sollten neueingestellte Mitarbeiter über das Patentwesen im Betrieb unterrichtet werden, und das Wissen älterer ist zu aktualisieren.

Geringe Zuwendungen an die Erfinder bei der Patentanmeldung beziehungsweise -erteilung und eine vernünftige Auslegung des Arbeitnehmer-Erfindergesetzes beim Festlegen der Vergütungen können motivierend wirken, wobei der Aufwand gegenüber dem Nutzen vernachlässigbar ist. Patenturkunden sollten an gut sichtbarer Stelle ausgehängt werden. Zudem muß gezielt über wichtige Patente der Wettbewerber informiert werden.

Bei all diesen Maßnahmen muß man im Auge behalten, daß Kreativität die Voraussetzung für erfolgreiche Patentaktivitäten ist. Nur wenn sie strategisch gefördert wird, können sich entsprechend geschützte Entwicklungen als qualifizierte, hochrentable Dienstleistungen auswirken.


Aus: Spektrum der Wissenschaft 11 / 1994, Seite 127
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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