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Ferntourismus und seine Auswirkungen - das Beispiel Sri Lanka

Die Anzahl der Fernreisenden aus den industrialisierten Staaten steigt unablässig. Vielen Entwicklungsländern bietet sich damit die Chance, neue Einnahmequellen zu erschließen und so ihre wirtschaftliche Situation zu verbessern; doch gilt es, die zahlreichen negativen Folgen dieses Massentourismus – insbesondere die sozio-kulturellen und ökologischen Schäden – zu minimieren.

Der weltweite Tourismus nimmt rapide zu: Zwischen 1970 und 1990 stieg die Anzahl internationaler Touristenankünfte von 160 Millionen auf 455 Millionen pro Jahr (plus 184 Prozent) an. Bis zum Jahre 2000 erwartet man eine weitere Zunahme um 40 Prozent auf 637 Millionen.

Dieser ungebrochenen Reiselust der wirtschaftlich Privilegierten, die hauptsächlich aus den Industriestaaten kommen, steht die prekäre Situation der Menschen in vielen Entwicklungsländern gegenüber, die durch Bevölkerungswachstum und Nahrungsmittelknappheit, Massenarbeitslosigkeit und Verarmung, wirtschaftliche Monostrukturen und Abhängigkeit von Weltmarktpreisen sowie durch hohe Auslandsschulden und Mangel an Kapital für Investitionen geprägt ist. Es ist darum nur allzu verständlich, wenn diese wirtschaftlich benachteiligten, aber oft landschaftlich und kulturell attraktiven Länder sich mit der Förderung des Tourismus eine zusätzliche Einnahmequelle erschließen. Man verspricht sich davon höhere Deviseneinnahmen, neue Arbeitsplätze und eine Stärkung der eigenen Wirtschaftskraft; die Beeinträchtigung sozio-kultureller und ökologischer Belange als mögliche negative Begleiterscheinungen werden freilich weitgehend verdrängt.

Ein Hauptreiseziel unter den Entwicklungsländern ist Sri Lanka. Im Jahre 1994 verbrachten etwa 408000 Touristen ihren Urlaub auf dieser Insel im Indischen Ozean, 23 Prozent davon waren Deutsche. Die srilankische Regierung möchte diesen Wert bis zum Jahre 2001 auf 874000 steigern, also mehr als verdoppeln. Die jährlichen Einkünfte aus dem Tourismus sollen sich im gleichen Zeitraum sogar verdreifachen von jetzt 336 Millionen auf dann knapp 1060 Millionen Mark.

Um diese Vorgabe zu erreichen, müßten die Ausgaben pro Urlauber und Tag von derzeit 80 auf 130 Mark steigen – was zur Zeit rein spekulativ ist. Zudem dürften die jährlichen Besucherzahlen in dem Inselstaat auch weiterhin starken Schwankungen unterworfen sein, weil ein Ende des Bürgerkrieges, der 1983 aufgrund der ethnischen Spannungen zwischen der Bevölkerungsmehrheit der Singhalesen und der Minderheit der Tamilen ausgebrochen war, nicht abzusehen ist. Doch bereits jetzt ist festzustellen, daß der in den sechziger Jahren einsetzende internationale Tourismus auf der Insel weitreichende ökonomische, sozio-kulturelle und ökologische Veränderungen bewirkt hat.


Vielfältige Auswirkungen

Ferntourismus vermag grundsätzlich sowohl einen positiven als auch einen negativen Beitrag zur ökonomischen Entwicklung zu leisten. Dies ist unter anderem abhängig von der Anzahl und den Ausgaben der Erholungssuchenden sowie dem Entwicklungsstand des bereisten Landes. Für Sri Lanka sind Deviseneinnahmen und Arbeitsmarkteffekte die wichtigsten ökonomischen Faktoren. Im Jahre 1994 war der Tourismus nach der Textilindustrie die zweitwichtigste Einnahmequelle. Doch eine Fixierung auf diesen Wirtschaftszweig erzeugt eine Abhängigkeit von den Deviseneinnahmen, deren Höhe von einer Reihe innerer und äußerer Faktoren beeinflußt wird: Sie schwanken nicht nur mit der sozialen und politischen Instabilität im Land, sondern auch mit der Konjunktur und den touristischen Moden in den Heimatländern der Reisenden sowie mit dem Preisgebaren der Reiseveranstalter. Wichtig ist, wo im Land die Devisen verbleiben. In Sri Lanka fließt lediglich ein kleiner Teil davon der ärmeren Bevölkerung zu, weil diese nur über den wenig gewinnbringenden informellen Sektor – wie Straßenverkauf und Herstellung von Souvenirs – am Tourismus beteiligt ist. Im Jahre 1994 waren etwa 84000 Menschen des Inselstaats in diesem Wirtschaftszweig beschäftigt, davon 35000 direkt (zum Beispiel als Angestellte in Hotels oder Reisebüros) und 49000 indirekt (über den informellen Sektor). Dies entspricht 1,5 Prozent aller Erwerbstätigen. Nach den prognostizierten Zuwachsraten sollen bis zum Jahre 2001 ungefähr 53000 zusätzliche Arbeitsplätze entstehen, so daß dann insgesamt 137000 Menschen in der Tourismusbranche tätig sein werden. Über den gleichen Zeitraum hinweg wird mit einer Zunahme der Erwerbstätigen im Land um 2,2 Millionen auf etwa 7,8 Millionen gerechnet. Trotz des massiven Wachstums wird der Tourismus damit maximal mit 2,5 Prozent am Arbeitsmarktzuwachs beteiligt sein. Überdies haben die in diesem Sektor entstehenden Arbeitsplätze eine Reihe von Nachteilen: Das Risiko einer Entlassung etwa, wenn die Besucherzahlen aufgrund einer Eskalation des ethnischen Konflikts zurückgehen sollten, drohende Unterbeschäftigung während der Monsunmonate und mangelnde soziale Absicherung; Kündigungen werden wegen des großen Arbeitskraftangebotes ohnehin beim geringsten Anlaß ausgesprochen. Die Gehälter der in der Tourismusbranche Beschäftigten variieren stark zwischen 500 (Zimmerservice) und 12000 Mark (Management) jährlich. Ein ausgeprägtes Wohlstandsgefälle und Veränderungen der Sozialstruktur sind die Folge. Von den 1994 erzielten Gesamteinnahmen im Tourismus in Höhe von 336 Millionen Mark entfielen ungefähr 81 Millionen Mark (24 Prozent) auf die Löhne der Angestellten. Die rund 35000 direkt Beschäftigten hatten an dieser Summe einen Anteil von 58 Millionen Mark (17 Prozent), während die 49000 indirekt Beschäftigten nur 23 Millionen Mark (7 Prozent) bekamen. Das liegt vor allem daran, daß sich das Arbeitskraftangebot des informellen Sektors – also der indirekt Beschäftigten – am Bedarf der Hochsaison orientiert. In den übrigen Monaten entsteht eine verschärfte Konkurrenzsituation, wodurch die Einnahmen des einzelnen sinken. Des weiteren kommt es durch die erhöhte Nachfrage der Urlauber zumindest in den Touristikzentren zu erheblichen Preissteigerungen, die auf den Markt für die Einheimischen durchschlagen. Tourismus bedeutet auch hohen Energieverbrauch, da zum Beispiel in den Hotels Klima- und Kühlanlagen betrieben werden. Während ein Einheimischer im Mittel 44 Kilowattstunden jährlich verbraucht, hat ein Feriengast diesen Wert bereits nach 14tägigem Aufenthalt um 4 Kilowattstunden überschritten. Zum Verkehrsaufkommen auf der Insel tragen 2500 Personenwagen bei, die ausschließlich für die Urlauber zur Verfügung stehen. Hinzu kommen mehrere tausend Taxis, die ebenfalls fast nur von Touristen genutzt werden. Mit öffentlichen Verkehrsmitteln sind bisher nur wenige unterwegs. Tourismus schafft unmittelbaren Kontakt zwischen unterschiedlichen Kulturen. Auf diese Weise dringen fremde Wertesysteme und Verhaltensmuster in die zumeist traditionell geprägten Gesellschaften der Entwicklungsländer. Als Folge davon werden die eigenen Wertvorstellungen zugunsten vermeintlich modernerer aufgegeben. Besonders die jüngere Generation imitiert unkritisch das Verhalten der Urlaubsgäste. Gesellschaftliche Veränderungen vollziehen sich mithin äußerst schnell. Besonders negativ wirkt sich der Sextourismus aus. Vor allem für Pädophile ist Sri Lanka zu einem der wichtigsten Zielländer geworden. Internationale Beobachter schätzen, daß es dort etwa 50000 Frauen und ungefähr 30000 Kinder – vornehmlich Jungen zwischen sechs und 15 Jahren – gibt, deren Prostitution fast immer auf Armut und Verschuldung zurückzuführen ist. Dementsprechend wird auch die Ausbreitung von Geschlechtskrankheiten, insbesondere die Infektion mit dem AIDS auslösenden HI-Virus, begünstigt. Außer Alkohol sind infolge der Nachfrage durch die Urlauber auch alle Arten von harten Drogen verfügbar. Deren Konsum ist zwar auf der Insel streng verboten, und selbst Alkohol darf nur mit staatlichen Lizenzen ausgeschenkt werden; doch um die Verbote und Auflagen zu umgehen, wird die örtliche Polizei häufig bestochen. Mit der Korruption steigt wiederum die Kriminalität. Eine weitere typische Erscheinung in den Touristenzentren ist das Betteln – sehr häufig durch Kinder, die auf diese Weise einen Teil des Familieneinkommens erwirtschaften müssen und denen dadurch jede Chance genommen wird, die auf Sri Lanka kostenlose Schule zu besuchen. Mit dieser Entwicklung setzt ein Circulus viciosus ein, der langfristige negative Folgen für das Land hat. Auch die ökologischen Auswirkungen des Ferntourismus sind keineswegs zu vernachlässigen. Allein schon durch den Flug von Hamburg über Frankfurt nach Colombo und zurück werden pro Passagier 2,7 Tonnen Kohlendioxid-Äquivalent an Kohlendioxid (CO2) und Stickoxiden (NOx) freigesetzt, was das Klimaschutzziel der Bundesregierung im Verkehrsbereich pro Kopf und Jahr um 40 Prozent übertrifft. Zudem sind die emittierten Luftschadstoffe für schwerwiegende Schädigungen der Ökosysteme verantwortlich. Im Land selbst entstehen weitere Belastungen. Der Wasserverbrauch eines Touristen, der in besseren Hotels mehr als 300 Liter pro Person und Tag beträgt, übersteigt den eines Einheimischen um das etwa Sechsfache. Dies ist insbesondere dort problematisch, wo nur wenig Ressourcen vorhanden sind, die zudem eigentlich dringend für andere Nutzungen (wie zur Bewässerung der Felder) benötigt werden. Die Abwässer der Hotelanlagen in der Küstenregion werden meist direkt ins Meer geleitet. Außer der Übertragung von gesundheitsschädigenden Keimen sind vor allem Zerstörungen an den Korallenriffen die Folge. Bei Wegfall dieser natürlichen Schutzschilde wären die dichtbesiedelten Küstenzonen direkt der Meeresbrandung ausgesetzt. Touristen tragen durch ihr Konsumverhalten – zum Beispiel Kauf von Industrieprodukten wie Shampoos, Sonnenmilch und Wasser in Plastikflaschen – überproportional zur Vergrößerung des Müllvolumens bei. Dies gilt auch für Produkte, die aus dem Heimatland mitgebracht werden und deren Verpackungen am Urlaubsort verbleiben. In der Nähe der Touristenzentren sind bereits zahlreiche wilde Mülldeponien entstanden, die zur Landschaftsverschandelung beitragen. Die Nachfrage nach Souvenirs etwa aus Korallen und Schlangenleder – die trotz offiziellen Verbots verkauft werden – schädigt die Tierwelt. Auch ungeschützte Arten sind durch die touristische Nachfrage bedroht, wie beispielsweise der Hummer, der in vielen Gebieten bereits überfischt ist.

Verträglicher Tourismus?

Einen Tourismus, der weder Natur noch Kultur zerstörte oder veränderte und nur positive Auswirkungen für Besucher und Besuchte hätte, gibt es nicht. Bereits durch die Flüge werden Klima und Umwelt in einem Maße geschädigt, daß besonders der Ferntourismus kritisch hinterfragt werden muß. Ferner sind die meisten Urlaubsziele schon heute über ihre soziale und ökologische Tragfähigkeit hinaus belastet, während die Zahl der Touristen weiter rapide zunimmt.

Gerade in Entwicklungsländern werden dabei alternative Urlaubsformen schon deshalb nicht realisiert, weil ein Rückgang der Deviseneinnahmen befürchtet wird. Auch die internationale Tourismusindustrie ist einseitig auf die Maximierung des wirtschaftlichen Profits ausgerichtet und vernachlässigt soziale, kulturelle und ökologische Aspekte. Die Reisenden selbst halten in der Regel das touristische Potential der Entwicklungsländer für ein Konsumgut, dessen Verbrauch mit der Bezahlung der Reise und dem Devisentransfer in das Land abgegolten sei.

Der Tourismus hat Sri Lanka bereits umfassend verändert. Dennoch lassen sich möglicherweise einige der Auswirkungen durch geeignete Gegenmaßnahmen und den Umbau der Tourismusindustrie nach sozial- und umweltverträglichen Konzepten vermeiden oder zumindest mildern.

Primäres Ziel sollte die Verminderung der Urlauberzahlen in Verbindung mit einer Hochpreispolitik sein. Auch die Integration der örtlichen Bevölkerung in die Tourismusplanung sowie eine eingehendere Aufklärung der Urlaubsgäste sind erforderlich, um kulturelle Spannungen abzubauen. Priorität sollten auch die Bekämpfung der Prostitution und insbesondere des Pädophilentourismus haben. Ökologisch sensible Gebiete sollten gänzlich gesperrt werden. Maßnahmen zur effizienteren Energie- und Wassernutzung sollten durchgeführt und zügig auf regenerative Energiegewinnung umgestellt werden. Das Müllproblem ließe sich durch Verminderung des Volumens sowie Recycling und Behandeln des Restaufkommens verringern. Die Aufwertung der Bahn als Transportmittel könnte den auf den Tourismus entfallenden Anteil des Fahrzeugaufkommens reduzieren.

Begleitende Forschungen sollten kontinuierlich durchgeführt werden, um den Erfolg überprüfen und weitere Verbesserungen vorschlagen zu können.


Aus: Spektrum der Wissenschaft 8 / 1996, Seite 104
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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