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Fettaustauschstoffe aus Stärke



Allen Leitlinien für eine gesunde Ernährung zum Trotz werden in den westlichen Industrieländern vor allem relativ protein-, fett-, cholesterin- und zuckerreiche Lebensmittel, also Nahrung mit hohem physiologischem Brennwert, verzehrt. Diese energetische Überversorgung ist vermutlich die Ursache der mittlerweile weltweit zu registrierenden Übergewichtigkeit mit allen ihren gesundheitlichen und sozialen Konsequenzen.

Vor allem der Verzehr großer Mengen Fett ist riskant, denn mit einem Brennwert von 38 Kilojoule pro Gramm liefert es mehr als doppelt so viel Energie wie Kohlenhydrate (etwa 17 Kilojoule pro Gramm). Einige Ernährungsphysiologen meinen zudem, daß der menschliche Körper dazu neigt, Fett eher zu speichern als direkt umzusetzen. Weil die Vitamine A, D, E und K sowie verschiedene andere Wirkstoffe fettlöslich sind, läßt sich auf Fette aber nicht verzichten. Im allgemeinen wird ein Gramm Fett je Kilogramm Körpergewicht und Tag empfohlen, wobei der Anteil an der Gesamtenergiezufuhr 25 bis 30 Prozent betragen sollte.

Doch weil Fette auch zahlreiche Geschmacksstoffe lösen und ein cremiges, glattes Mundgefühl vermitteln, werden diese Richtwerte, die auch noch der individuellen Lebenssituation anzupassen sind, selten eingehalten. Allein Speisefette wie Butter, Margarine oder Öle machen meist schon die Hälfte der zugeführten Fette aus, die andere ist als Begleitstoff in Fleisch- und Wurstwaren, Milchprodukten und anderem verborgen. Fette haben außerdem einige Vorteile für die industrielle Lebensmittelproduktion: Sie sind gegen Hitze recht stabil, unempfindlich gegen den pH-Wert des Milieus, mit anderen Stoffen gut emulgierbar, und sie geben der Nahrung Volumen und Masse.

Zur Lösung des Dilemmas sucht man nach Austauschstoffen, die zumindest einige Funktionen der Fette übernehmen können, gleichzeitig aber einen deutlich niedrigeren Energiegehalt haben. Kohlenhydrate mit hohem Wasserbindevermögen, wie beispielsweise pflanzliche Stärken, haben sich als dafür besonders geeignet erwiesen: Indem sie Gele bilden, erzeugen sie Cremigkeit und Volumen, gleichzeitig ist ihr Energiegehalt geringer – und zwar um so deutlicher, je mehr Wasser sie binden.

Friedrich Schierbaum, Siegfried Augustat und Manfred Richter vom damaligen Zentralinstitut für Ernährung in Potsdam-Rehbrücke zeigten bereits Ende der sechziger Jahre, daß durch partiellen Abbau von Stärkekörnern und der sie bildenden hochpolymeren Moleküle Stoffe mit besonderen Gelbildungseigenschaften entstehen können. Insbesondere haben die Gele in bestimmten Temperaturbereichen eine Fetten vergleichbare Viskosität, so daß man sie in ähnlicher Weise ausstreichen und für cremige Dispersionen verwenden kann. Fettlösliche Geschmacksstoffe binden sich darin freilich nicht ausreichend, so daß man sie durch vergleichbare wasserlösliche ersetzen muß.

Diese besonderen plastischen Eigenschaften rühren vom teilweisen Aufbrechen übermolekularer regelmäßiger Anordnungen der hochpolymeren Stärkemoleküle her. Die für die Gelbildung erforderliche Feststoffkonzentration liegt bei rund 25 Prozent; die Energiedichte ist dabei etwa zehnmal kleiner als die von Fett.

Heute gibt es auf dem Markt mehr als drei Dutzend verschiedene solche Fettaustauschstoffe – Produkte, deren Herstellung auf der Modifizierbarkeit der viskosen Eigenschaften von Stärken beruht. Man nutzt sie für die Herstellung fast aller Lebensmittel, deren Rezepturen eine Fettzugabe erfordern, etwa Margarine, Mayonnaise, Salatsaucen und Milchprodukte wie gefrorene Desserts oder Speiseeis.

Die genannten Forscher modifizierten die Stärkekörner hydrolytisch, also mit Hilfe von Säuren und Enzymen, oder mechanisch durch Mahlen. Meine Arbeitsgruppe erprobte dazu den Einsatz sogenannter Kugelschwingmühlen: Stärkekörner werden mit Stahl- oder Porzellankugeln vermischt und in ein zylindrisches Gefäß gegeben, das man in Schwingung versetzt; die Kugeln geraten in Bewegung und zerkleinern oder quetschen das Mahlgut. Dabei werden Wasserstoffbrückenbindungen zwischen den Molekülen teilweise gelöst, so daß die Produkte kaltes Wasser in höherem Maße zu binden vermögen – also aufquellen – und sich auch darin lösen. Es entstehen die gewünschten Gele mit niedrigem Gehalt an Trockenmasse und guter Stabilität gegen Tiefgefrieren.

Allerdings arbeiten Kugelschwingmühlen für diese Anwendung nicht sehr wirtschaftlich, weil der größte Teil der aufgebrachten Energie bereits für die Bewegung von Gefäß und Kugeln verbraucht wird. Deshalb entwickelten wir im Rahmen eines Projektes des Forschungskreises der Ernährungsindustrie ein neues, wirtschaftlicheres Herstellungsverfahren. Auch dabei übernehmen Mahlkugeln die eigentliche Arbeit, doch werden sie mit einem Rührwerk in Bewegung versetzt. Die Kugeln stehen fast ständig in Kontakt, so daß die wirksame Mahlfläche je Zeiteinheit deutlich größer ist als bei der Kugelschwingmühle (dort baut sie sich dynamisch auf). Zudem läßt sich das Mahlgut kontinuierlich in Suspension zuführen, der Energietransfer erfolgt somit effizient und homogen. Überdies werden die Stärkekörner nicht durch Prall, sondern durch Scherung zerkleinert. Dafür ist weniger Energie erforderlich als bei Kugelschwingmühlen.

Wasser als Übertragungsmedium und Suspendierungsmittel erschien allerdings zunächst nicht unproblematisch, denn es kann die molekulare Struktur der Stärkekörner so weit auflösen, daß sich die für einen Fettaustauschstoff erforderlichen viskosen Eigenschaften nicht mehr auszubilden vermögen. Doch mit einer Ringspaltkugelmühle kleiner Baugröße ergab sich das gewünschte Partikelgel; es besteht aus einer homogenen Phase in Wasser gelöster und gequollener hochpolymerer Moleküle sowie einer dispersen Phase partiell gequollener Stärkekörner. Deren morphologische Struktur ist gegenüber der ursprünglichen stark deformiert (Bild 1 rechts) – die übermolekulare Struktur der hochpolymeren Moleküle wurde wie gewünscht abgebaut. Dieses Gel läßt sich zu Pulvern trocknen und zum Gebrauch unter Rühren in Wasser wieder rückbilden, ohne an den gewünschten sensorischen Eigenschaften zu verlieren.

Sozusagen als Beweis diente eine Torte, deren Creme ohne Fett mit einem solchen Partikelgel hergestellt wurde (Bild 2). Ihre Cremigkeit hielt dem Vergleich mit einer herkömmlichen stand. Allerdings mußte der Geschmack noch durch die Zugabe wasserlöslicher Geschmacksstoffe abgerundet werden. Der Energiegehalt der Torte war um etwa ein Fünftel vermindert worden. Ähnlich positive Ergebnisse erzielten wir mittlerweile bei Salatsoßen, Speiseeis und anderen wasserhaltigen Lebensmitteln, die bei ihrer Zubereitung keiner Hitze-behandlung bedürfen. Damit ist ein neuer Weg aufgezeigt, gut brauchbare Fettaustauschstoffe aus Stärken herzustellen. Derzeit arbeiten wir daran, das Verfahren auf Maschinen größeren Maßstabs umzusetzen.


Aus: Spektrum der Wissenschaft 11 / 1998, Seite 126
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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