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Fischige ménage à trois


Der Soziobiologie verdanken wir die Erkenntnis, daß Männchen und Weibchen dem evolutiven Imperativ zur Maximierung des Fortpflanzungserfolgs auf unterschiedliche Weise nachkommen: Während die einen tendenziell möglichst viel Nachwuchs zu zeugen suchen, ohne sich groß um dessen Aufzucht zu kümmern, mühen sich die anderen meist redlich, eine wohlbemessene Nachkommenschar mit der nötigen Fürsorge heil ins Erwachsenenalter zu bringen. Da die beiden Strategien kaum vereinbar sind, ergeben sich im resultierenden Geschlechterkampf nicht nur beim Menschen manche bizarren Beziehungen.

Ein besonders raffiniertes amouröses Ränkespiel haben unlängst Ingo Schlupp und Cathy Marler als Mitarbeiter von Michael Ryan an der Universität von Texas in Austin im Reich der Fische aufgedeckt. Einer der Beteiligten ist der Amazonenkärpfling (Poecilia formosa; Bild), der dem Problem der widerstreitenden Geschlechterinteressen auf radikale Weise ein Ende gesetzt hat: Bei diesen lebendgebärenden Fischen, die in Texas und Nordmexiko vorkommen, gibt es nur noch Weibchen, die sich per Jungfernzeugung fortpflanzen. Das ist an sich noch nicht ungewöhnlich: Einzelne Reptilarten wie etwa Rennechsen entraten gleichfalls des starken Geschlechts (Spektrum der Wissenschaft, Februar 1988, Seite 86).

Ganz ohne Männchen indes geht bei den Amazonenkärpflingen die Chose denn doch nicht. Ebenso wie bei anderen parthenogenetischen Arten brauchen die Weibchen gewisse maskuline Stimuli, damit ihre unbefruchteten Eizellen zur Teilung und Entwicklung angeregt werden (Spektrum der Wissenschaft, März 1994, Seite 54). In Ermangelung eigener Männchen mißbrauchen sie dazu diejenigen der nächstverwandten Breitflossen- (P. latipinna) und Mexikaner-Kärpflinge (P. mexicana), mit denen sie in den gleichen Gewässern leben. Zwar enthalten die Amazoneneier bereits den benötigten doppelten Chromosomensatz; doch erst die Samenzellen der verwandten Kärpflinge lösen die Furchungsteilungen und damit die weitere Entwicklung zu Fischembryonen aus – ohne freilich wesentliches von der eigenen Erbsubstanz beizusteuern.

Was immer die Männchen zu ihrem Liebesdienst über die Artgrenzen hinweg bewegen mag (honi soit qui mal y pense), so ist er unter soziobiologischem Aspekt jedenfalls eine Verschwendung von Zeugungskraft und mithin eine Sünde wider das Gebot der Fitnessmaximierung, welche die Evolution gemeinhin mit Aussterben ahndet. Warum ist in diesem Falle die Strafe anscheinend ausgeblieben?

Diese Frage stellten sich Schlupp, Marler und Ryan – und fanden bei Wahlversuchen in gemischten Fischgruppen im Aquarium eine verblüffende Antwort ("Science", Band 263, Seiten 373 bis 374). Wenn Weibchen der Breitflossenkärpflinge einem Männchen der eigenen Art bei der Paarung mit den Amazonen zusehen, wird es für sie attraktiver. Könnte man die Amazonen als Emanzen auffassen, die Männer zum reinen Sexualobjekt degradieren, so sind die Weibchen der Breitflossenkärpflinge also offenbar das genaue Gegenteil; sie lassen sich von Macho-Gehabe beeindrucken und wählen den Partner gemäß dem Motto: Paare ich mich mit einem Frauenhelden, werden meine männlichen Nachkommen sehr wahrscheinlich ebenfalls geschickte Verführer, die sich erfolgreich fortzupflanzen vermögen und damit die Verbreitung meiner Gene fördern.

Insgesamt handelt es sich also um ein Geschäft auf Gegenseitigkeit, von dem alle Beteiligten im soziobiologischen Sinne profitieren: Die Amazonen kommen zur sexuell stimulierten Ei-Entwicklung, die Breitflossen-Männchen haben nach der – nur scheinbar nutzlosen – Paarung mit den Amazonen auch mehr Chancen bei arteigenen Weibchen, und diese verschaffen ihren Genen über sexuell erfolgreiche männliche Nachkommen gute Zukunftsaussichten.

Je nach ethischer Einstellung könnte man diese ménage à trois als paradiesisch preisen oder als Sodomie verdammen, wären moralische Kategorien im Tierreich nicht müßig. Jedenfalls passen die Ergebnisse zu weiteren ethologischen Befunden aus neuerer Zeit, wonach die Nachahmung von Geschlechtsgenossinnen bei der Wahl des Paarungspartners eine nicht zu unterschätzende Rolle spielt. Offenbar orientieren sich die Weibchen also nicht allein an den körperlichen Vorzügen der Bewerber, sondern berücksichtigen auch eine Art sozialen Faktor.


Aus: Spektrum der Wissenschaft 4 / 1997, Seite 30
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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