Meeresforschun: Fischstäbchen im Aus
Deutschlands Speisefisch Nummer eins, der Kabeljau, ist aus kommerzieller Sicht vom Aussterben bedroht. Neben der Überfischung liegen die Ursachen in Klimaschwankungen und dem Räuber-Beute-Zyklus.
Die Überfischung der Meere ist an sich nichts Neues. Als aber kurz vor Weihnachten die Medien das Aussterben des Kabeljaus in der Nordsee verkündeten, stockte den Fischliebhabern und Feinschmeckern doch der Atem. Die Besorgnis erregenden Daten stammten von »Solea«, einem der drei Schiffe der Bundesforschungsanstalt für Fischerei: Gerade noch einen Jungkabeljau pro Stunde hatte das Grundschleppnetz an Deck geholt.
Seit über zwanzig Jahren, so lange läuft die Versuchsreihe bereits, war dies der niedrigste Wert für die fünf untersuchten Standardvergleichsflächen in der Deutschen Bucht. Demnach fehlt der Kabeljaunachwuchs aus dem letzten Jahr beinahe komplett. Schon seit langem sinkt der Bestand an Kabeljau enorm – in den letzten dreißig Jahren von 270000 auf etwa 40000 Tonnen. Sowohl für die Nordsee als auch für die Irische See und Gebiete westlich von Schottland empfahl der Internationale Rat für Meeresforschung (ICES) daher ab 2003 die Schließung der Kabeljaufischerei, da mit einer schnellen Erholung der angeschlagenen Bestände nicht zu rechnen sei.
Ein Fischbestand bricht nicht plötzlich zusammen. Wie also konnte es zu diesem dringenden Hilferuf kommen? Der ICES hatte in den Jahren zuvor einen Fang von jeweils 140000 Tonnen Kabeljau empfohlen. Doch wirtschaftliche und industrielle Interessen wogen offenbar stärker. So wurden stattdessen zwischen 1977 und 1997 im Nordseebereich jährlich 203000 Tonnen Kabeljau angelandet.
Bis heute ist die Fischerei stark subventioniert. Weltweit 36 Milliarden Euro fließen in die zahlreichen Fangflotten, deren Zahl weiter zunimmt. Die Hauptursache des Kabeljaurückgangs liegt laut WWF (World Wide Fund For Nature) an dem Umstand, dass Fische gefangen werden, bevor sie auch nur ein einziges Mal Nachkommen erzeugen können. Dabei gehören Kabeljaue – in der Ostsee auch Dorsch genannt – mit ihren gewaltigen Mengen an Eiern zu den fruchtbarsten Fischen überhaupt. Zu kleine Maschen der Netze und zu hohe Fangquoten tun dann ihr Übriges für den verbleibenden Nachwuchs. Zudem steigt der Bedarf an Fisch stetig – nicht nur wegen des Bevölkerungswachstums, sondern auch, weil Fisch eine beliebte Alternative zu Fleisch ist und neben Geflügel eine der typischen Ausweicharten in Zeiten von Schweine- und Rindfleischkrisen darstellt. Früher galt der Nordseekabeljau bzw. der Ostseedorsch (Gadus morhua) als Deutschlands Speisefisch Nummer eins und wurde wegen seiner damals reichen Bestände in den 1980er Jahren sogar für die Produktion von Fischstäbchen verwendet. Der Umstieg auf Seelachs, Seehecht und dann auf Alaska-Seelachs waren erste Anzeichen für die Reduzierung der Bestände – aber leider für den Verbraucher kaum wahrnehmbar.
Die Überfischung der kommerziellen Fischbestände bedroht auch andere Gewässer: Im Nordatlantik befinden sich 62 Prozent, im Mittelmeer 65 Prozent und in der Ostsee 75 Prozent der Fischbestände außerhalb der biologischen Grenzen. Aus wissenschaftlicher Sicht bedeutet dies, dass zum Beispiel für den Kabeljau in der Nordsee 150000 Tonnen geschlechtsreifer Tiere, der so genannte Laicherbestand, zur Sicherung notwendig wäre, also knapp das Dreifache der heutigen Bestandsmenge. Nicht allein die Überfischung macht den Dorschartigen schwer zu schaffen. Klimaschwankungen und Räuber-Beute-Abhängigkeiten rufen ebenso erhebliche Veränderungen hinsichtlich der Bestandsstärke hervor. So zieht sich der Kabeljau mit zunehmender Erwärmung der Nordsee immer stärker in nördlichere Gebiete zurück. In der benachbarten Ostsee ist hingegen der Salzgehalt bestimmend. Vor allem die oft ausbleibenden Einströme salz- und sauerstoffhaltigeren Nordseewassers durch fehlende Nordwestwinde führen zur allmählichen Aussüßung des Brackwassermeeres. Davon sind besonders die Eier des Dorsches betroffen. Nach der Befruchtung verteilen sie sich entsprechend ihrer Dichte im Wasser. Ist der Salzgehalt und somit auch die Dichte sehr gering, sinkt der Laich auf den Meeresgrund und erstickt auf Grund des geringen Sauerstoffgehalts, oder wird von anderen Meeresbewohnern gefressen. Folge: weniger Nachwuchs und zurückgehende Bestände.
In direkter Abhängigkeit steht Gadus morhua in der Ostsee auch zu Hering und Sprott, die seine wichtigste Nahrungsquelle bilden. Ähnlich wie dem Dorsch behagt auch dem Hering der niedrige Salzgehalt der Ostsee nicht. Der Sprott hingegen konnte sich in den letzen Jahren stark vermehren, was sich nicht zwangsläufig als positiv für seinen Räuber herausstellt. Denn neben kleinen Krebstieren zählen Fischlarven und Eier, besonders die des Dorsches, zu den wichtigsten Energielieferanten der Sprotten. »Vorteilhaft« wirkte sich hier auch die Fischerei aus, da sie durch die Reduktion des Raubfischbestandes die Dominanz der Plankton zehrenden Fischarten, vor allem der Sprotten, verstärkte. Zu einer Art »Dorsch-Sprotten-Schaukel« entwickelt sich diese eigentlich stabile Räuber-Beute-Beziehung durch die komplizierte und nicht kalkulierbare Verknüpfung mit Klimaveränderungen und dem wechselnden Druck durch die Fischerei. Der Fischereibiologe Dietrich Schnack, der mit Kollegen am Institut für Meereskunde in Kiel speziell das veränderliche System der Ostsee erforscht, plädiert dafür, diese verschiedenen Komponenten im marinen Gefüge zu berücksichtigen. Denn nur so könne eine nachhaltige Nutzung kommerzieller Fischbestände erreicht werden.
Aus: Spektrum der Wissenschaft 4 / 2003, Seite 95
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH
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