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Fledermäuse

Birkhäuser, Basel 1997. 384 Seiten, DM 68,–.


Jürgen Gebhard, zoologischer Präparator im Naturhistorischen Museum Basel, widmet sich seit 18 Jahren in seiner Freizeit intensiv den einheimischen Fledermäusen. Seine Arbeit mit handzahmen Wildfledermäusen und öffentliche Aktivitäten haben ihn zu einem der bekanntesten einschlägigen Forscher Mitteleuropas gemacht. Im vorliegenden Buch beschreibt er nun mit 225 beeindruckenden Farb- und Schwarzweiß-Aufnahmen, von denen die meisten bisher noch nicht veröffentlicht wurden, komplett die Biologie dieser Flugsäuger: von Lebensweise, Verhalten und Lebensräumen bis zu Gefährdung und Schutzmaßnahmen. Zugleich gibt er Einblicke in seine eigene vielfältige Tätigkeit.

In seiner Beobachtungsstation Hofmatt, einem umgebauten Transformatorenturm, führt Gebhard seit zwölf Jahren Untersuchungen am Großen Abendsegler (Nyctalus noctula) durch. Die individuell markierten Tiere können hier durch eine Glasscheibe störungsfrei aus nächster Nähe beobachtet werden. Eine programmierbare Infrarot-Videoanlage mit Zeitraffer-Recorder, eine Infrarot-Lichtschranke und Ultraschallmikrophone halten die Geschehnisse im Quartier und im Einflugbereich fest.

Seine hier getätigten Beobachtungen an ausgewilderten, jedoch halbzahm gebliebenen sowie an wilden Abendseglern brachten wertvolle Erkenntnisse über das Leben seiner fliegenden "freien Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter". Einzelne von ihnen tauchen – mit Namen – immer wieder in den Kapiteln zum Sozialverhalten, Winterschlaf, Tages- und Jahresrhythmus sowie zur Fortpflanzung auf. In einem zweiten künstlichen Quartier und mit speziellen Lockfangkästen, in denen nicht mehr flugfähige Männchen des Großen Abendseglers wilde Weibchen anlockten, konnte Gebhard das Paarungsverhalten im Detail beobachten. Die Beringung von etwa 1500 Großen Abendseglern im Raum Basel lieferte ihm Erkenntnisse über deren ausgedehnte Wanderungen, die bis zu 1000 Kilometer nach Nord-Polen reichen.

Seinem Forschungsschwerpunkt entsprechend berichtet Gebhard besonders ausführlich über Fortpflanzung, Sozialverhalten und Winterschlaf, überwiegend auf der Grundlage von Beobachtungen am Großen Abendsegler. Verhältnismäßig knapp gehalten sind dagegen die Kapitel über Gefährung, Schutz und Ernährungsräume. Kurze Steckbriefe aller 30 europäischen Arten mit Angaben zu Merkmalen, Verbreitung, Lebensraum und Biologie (keine Bestimmungsschlüssel) finden sich am Schluß des Buches.

Der Fortpflanzung und Jungenaufzucht widmet Gebhard das umfangreichste Kapitel. So konnte er in der Station Hofmatt mehrmals Schwangerschaft, Geburt und Jungenaufzucht des Großen Abendseglers aus allernächster Nähe verfolgen. Mit der Infrarot-Videokamera gelangen ihm faszinierende Aufnahmen von einer Zwillingsgeburt. "Tagsüber war das Strampeln der Kleinen im Bauch nicht zu übersehen, bis dann um 15.35 Uhr die ersten Wehen eintraten", heißt es in dem spannenden Geburtsprotokoll.

Durch zahlreiche persönliche Anmerkungen und Berichte, darunter auch von amüsanten Erlebnissen, ist das Buch nicht nur informativ, sondern auch sehr unterhaltsam.

Der Möglichkeit, "Fledermäuse so zu erleben, wie es vermutlich nur wenigen Forschern vergönnt ist", schreibt es der Autor selbst zu, "daß meine Sicht auf die Fledermauswelt gelegentlich eine andere, etwas modifiziertere ist als die übliche Lehrmeinung". Auf der Grundlage seiner Beobachtungen versucht er, bisher nicht geklärte Verhaltensweisen zu interpretieren, gibt damit seinen Fachkollegen neue Denkanstöße mit auf den Weg und widerspricht ihnen auch gelegentlich. Er wirft immer wieder neue Fragen auf und macht dabei deutlich, wie wenig wir erst über diese faszinierenden Tiere wissen. Allerdings wird nicht an jeder Stelle deutlich, ob er von eigenen oder fremden Erkenntnissen spricht.

Das Buch ist aufgrund seines Reichtums an Informationen, die aus einer Vielzahl von Quellen stammen, für den ambitionierten Laien sehr empfehlenswert. Für den wissenschaftlichen Gebrauch eignet es sich weniger gut, da die Quellen für Einzelinformationen im Fließtext nicht gekennzeichnet sind und das Literaturverzeichnis unvollständig ist. Auch die Auswahl der wenigen in den Kapiteln namentlich genannten Autoren ist nicht repräsentativ.

Dem Autor gelingt es, den Leser in leicht verständlicher Weise in die allgemeine Biologie der europäischen Fledermäuse einzuführen und ihn mit seiner Begeisterung und Neugier anzustecken. Alles in allem ein sehr informatives und unterhaltsames Buch, das dieser gefährdeten Tiergruppe hoffentlich zahlreiche neue Freunde zuführen wird.


Aus: Spektrum der Wissenschaft 9 / 1998, Seite 117
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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