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Flugechsen, die Saurier der Lüfte - Sonderausstellung in Karlsruhe


Die Dinosaurier-Welle nach dem Spielfilm "Jurassic Park" beginnt gerade zu verebben, da präsentiert das Staatliche Museum für Naturkunde Karlsruhe in Zusammenarbeit mit der Zeitschrift "GEO" eine weniger beachtete, aber besonders faszinierende eigenständige Reptiliengruppe des Erdmittelalters: die Flugechsen. Weil diese fremd anmutenden Wesen weithin fälschlich als "fliegende Dinosaurier" angesehen werden, haben wir im Titel der Ausstellung die Bezeichnung Flugechsen statt der Fachbegriffe Flug- oder Pterosaurier (von griechisch pteron, Flügel, Feder, Flosse) gewählt. Diese Echsengruppe beherrschte mehr als 140 Millionen Jahre die Lüfte, von der jüngeren Trias- bis zum Ende der Kreidezeit (Spektrum der Wissenschaft, April 1979, Seite 12).

Die Entdeckungsgeschichte der Flugechsen begann 1784 im Mannheimer Naturalienkabinett, als der damalige Kustos Cosimo Alessandro Collini ein sonderbares, kleines Wirbeltier-Fossil beschrieb. Das Stück stammte aus einem Steinbruch im Jura-Plattenkalk bei Solnhofen und gelangte zwischen 1767 und 1784 als Schenkung des bayerischen Grafen Friedrich Ferdinand von Pappenheim in die Mannheimer Sammlung.

Collini muß das fast vollständig erhaltene Skelett sehr verwirrt betrachtet haben: Es fiel durch extrem lange Arme, kurze Beine und einen langen, bezahnten Schnabel auf. Kein bekanntes Tier sah so aus. Deshalb mutmaßte Collini, er habe das Relikt eines Mischwesens zwischen Vogel und Fischechse vor sich.

Erst 1809 konstatierte der Pariser Zoologe Georges Cuvier, Begründer der vergleichenden Anatomie und der Wirbeltier-Paläontologie, daß es sich um das fossile Gerippe eines ausgestorbenen Reptils – eines Sauriers – handelte. Er hatte sofort erkannt, daß die langen Armknochen – besonders die auffällig langen vierten Finger – einst häutige Flügel aufspannten, und nannte die Echse "Pterodactyle", zu deutsch Flügel-Finger; die Art trägt heute den Namen Pterodactylus antiquus. Ein Abguß dieses Exemplars ist in der Karlsruher Ausstellung zu sehen.

Deren Hauptthemen sind die Ernährungsweise und das Flugvermögen der Pterosaurier. Lange Zeit galten sie als schlechte, windanfällige Flieger, kaum fähig, sich durch Flügelschläge in der Luft zu halten. Schon ein Blick auf den Bau ihrer Knochen widerspricht dem jedoch: Alle Teile des Skeletts sind weitgehend hohl und dünnwandig, und vermutlich waren diese Hohlräume von einem Luftsacksystem ähnlich dem der Vögel durchzogen. Der Schultergürtel ist kräftig gebaut und stützte ein großes, gekieltes Brustbein. Von dort müssen starke Flugmuskeln zu den Oberarmknochen gezogen sein, wo sie an einem nach vorne gerichteten Fortsatz ansetzten. Bei den großen Flugechsen sind die stabförmigen Schulterblätter sogar mit den Dornfortsätzen der vorderen Brustwirbel verwachsen und bildeten einen festen Rahmen für den Flugapparat. Die Tiere konnten mithin sehr effektiv mit ihren Flügeln schlagen.

Alle heutigen aktiven Flieger unter den Wirbeltieren, also die meisten Vögel sowie die Flughunde und Fledermäuse, zeichnen sich durch verstellbare Flügel aus. Dies ermöglicht Manöver in der Luft und ist für Start und Landung unerläßlich (die passiven Flieger setzen lediglich eine Fall- in eine Gleitbewegung um). Auftriebshilfen wie der nur bei Vögeln vorkommende Spaltflügel und bewegliche, häutige Vorflügel gewährleisten genügend Auftrieb auch bei steilen Anstellwinkeln des Flügels und bei geringen Geschwindigkeiten. Anhand ihres Flügelskelettes läßt sich für die Flugechsen ein verstellbarer Flügel mit beweglichem Vorflügel rekonstruieren; und gerade jüngst erlaubte der wohlerhaltene Abdruck der Flughaut eines Langschwanz-Flugsauriers, ihre Form im einzelnen zu rekonstruieren (Spektrum der Wissenschaft, November 1994, Seite 32). Die Flugleistungen dieser Reptilien dürften demnach jenen der Vögel und der Fledertiere nicht nachgestanden haben.

Aktiver Flug bedeutet enormen Energieumsatz. Somit war gehaltvolle Nahrung erforderlich. Zumeist haben die Flugechsen wohl andere Lebewesen gejagt. Welch vielfältige Beutefangmöglichkeiten sie nutzen konnten, belegen die Schädel der in Karlsruhe ausgestellten Stücke deutlich: zähnestarrende Mäuler und zahnlose Schnäbel oder solche von der Form langgestreckter Pinzetten, Insektenkäscher mit Borstensaum am Rand der kurzen Schnauze, ja sogar Plankton- und Kleintiersiebe unterschiedlicher Maschenweite. Sicherlich war es für die Beutegreifer unter den Flugechsen zweckmäßig, ihren Fang schon beim ersten Zuschnappen zu töten; die leichtgewichtigen Flieger wären in der Luft sonst aus dem Gleichgewicht geraten. Trotz der oft riesenhaft wirkenden Schnäbel können die Beutetiere deshalb nicht sehr groß gewesen sein. Um einen Eindruck von den uns zum Teil skurril erscheinenden Flugechsen-Köpfen zu vermitteln, stehen in der Ausstellung den fossilen Schädeln farbig angelegte Porträts der Tiere in natürlicher Größe gegenüber (Bilder 1 und 2).

Ein im Wortsinne herausragendes Schaustück ist das lebensgroße Modell des Quetzalcoatlus northropi mit knapp 13 Metern Spannweite. Es wurde auf der Grundlage des bisher bekannten Fundmaterials in der Sammlung der Universität von Texas in Austin geschaffen. Die Rekonstruktion des Kopfes (Bild 3) gründet sich auch auf Untersuchungsergebnisse der beiden Paläontologen Wann Langston in Austin und Alexander Kellner in New York.

Außer insgesamt rund 45 Flugechsen-Fossilien (davon 28 in Abgüssen) sind in Karlsruhe noch andere Besonderheiten zu sehen, so die älteste bisher bekannte Vogelfeder mit erhaltenem Farbmuster, Abgüsse der sieben Archaeopteryx-Exemplare, ein Original der ältesten bekannten Fledermaus und das bisher vollständigste Fossil des ältesten bekannten Flugtieres, der gleitfliegenden Echse Coelurosauravus aus dem Oberperm Thüringens. Die Ausstellung entstand im Zusammenhang mit einer "GEO"-Expedition nach Nordost-Brasilien, wo sich eine der reichhaltigsten Flugechsen-Fundstellen befindet. Sie ist noch bis zum 28. Mai 1995 geöffnet, täglich außer montags von 10 bis 16 (sonntags bis 18) Uhr; der Eintritt ist frei.


Aus: Spektrum der Wissenschaft 12 / 1994, Seite 126
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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