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Flugsicherheit: Flugzeugentführungen: Wer übernimmt die Steuerung?

Technische Lösungen wie etwa eine Fernsteuerung vom Boden aus haben ihre Tücken.


Es ist eine interessante Frage, was Flugpassagiere unternehmen würden, wenn es erneut Selbstmordattentätern gelingen sollte, an Bord eines Flugzeuges zu kommen (siehe "Das Täter-Opfer-Dilemma", Spektrum der Wissenschaft 12/2001, S. 90). Wie aber kann die Luftfahrttechnik künftige Kamikaze-Attentate vereiteln?

Vielleicht würde es ja reichen, die Cockpittür abzuschließen. In größeren Flugzeugen müsste man wahrscheinlich zusätzlich die Schottwand des Cockpits verstärken. Die Flugzeugentführungen am 11. September 2001 haben jedoch auch einige Hightech-Lösungen in die Diskussion gebracht. Große Aufmerksamkeit hat dabei der Vorschlag gefunden, dass ein am Boden befindlicher Pilot ein Flugzeug fernlenkt, falls Terroristen mit Flugausbildung das Cockpit entern sollten.

Es ist bereits heute möglich, ein Flugzeug automatisch ohne Zutun des Piloten zu steuern und zu landen. In der Regel wird von dieser Maßnahme jedoch nur Gebrauch gemacht, wenn die Sichtverhältnisse gleich null sind. Die meisten modernen Flugzeuge verfügen über einen Autopiloten, also ein computergesteuertes System, das Höhe, Geschwindigkeit und Richtung konstant hält. Ein solcher Autopilot könnte so umprogrammiert werden, dass er die Befehle der Entführer ignoriert und stattdessen die vom Boden aus übermittelten Befehle für eine sichere, automatische Landung auf einem nahe gelegenen Flughafen ausführt.

Piloten und die Luftfahrtindustrie im Allgemeinen haben allerdings zurückhaltend auf solche Vorschläge reagiert, der Cockpitbesatzung die Steuerung des Flugzeuges zu entziehen. Sie haben verständlicherweise Bedenken, die Kontrolle einem Computer zu überlassen. Luftfahrtexperten warnen zudem davor, dass ein System, das die Befehle nicht-autorisierter Piloten ignorieren würde, sogar ein noch größeres Risiko darstellen könnte. Denn dieses System könnte selbst zum Ziel der Terroristen werden. Jeder, der in die für die Fernsteuerung benötigten Funkverbindungen zwischen Leitzentrale und Flugzeug eingreifen kann, wäre in der Lage, eine Katastrophe herbeiführen, ohne dabei das eigene Leben aufs Spiel setzen zu müssen.

Eine besser umzusetzende Lösung könnte darin bestehen, die Programme des Bordcomputers so umzuschreiben, dass Zusammenstöße mit Gebäuden überhaupt nicht mehr möglich sind. Ein Computersystem (unterstützt durch Höhenmessungen oder digitalisierte Höhenkarten) könnte das Flugzeug so steuern, dass es selbsttätig die Richtung ändert oder höher steigt, wenn Kollisionsgefahr besteht.

Jeder Vorschlag, die bestehenden Datenverbindungen der US-amerikanischen Bundesluftfahrtbehörde (Federal Aviation Administration, FAA) zur Fernsteuerung von Flugzeugen einzusetzen, bringt zugleich den beunruhigenden Umstand ins Bewusstsein, dass die Computer der Flugsicherung leicht von Terroristen übernommen werden könnten. In seiner Aussage vor dem Senatsausschuss für Handel, Wissenschaft und Transport nach den Terroranschlägen vom 11. September verwies Gerald L. Dillingham vom General Accounting Office (GAO), einer dem Bundesrechnungshof vergleichbaren Behörde, zunächst auf die ungelösten Bedenken des GAO hinsichtlich der Sicherheit des amerikanischen Flugsicherungssystems. Erst danach kam er auf die viel diskutierten Mängel in der Sicherheit der Flughäfen zu sprechen. Dillingham zufolge habe die FAA "versäumt, die Gebäude der Flugsicherung und die Computersysteme selbst zu schützen und das Fremdpersonal, das Zugang zu diesen Systemen hat, einer genauen Sicherheitsüberprüfung zu unterziehen". Und weiter: "Folglich war das Flugsicherungssystem anfällig für unbefugte Eingriffe und gezielte Anschläge. Die FAA macht gewisse Fortschritte, indem sie nun auf die 22 Empfehlungen (des GAO) zur Erhöhung der Computersicherheit eingeht. Doch die meisten dieser Punkte müssen erst noch vollständig umgesetzt werden."

Einige der in den Berichten des GAO seit 1998 aufgewiesenen Mängel hätten Dillingham zufolge gravierende Folgen haben können: "Beispielsweise ließ die FAA im Rahmen der Vorbereitungen für die Jahr-2000-Umstellung den Quellcode von acht Computersystemen für den Flugbetrieb von 36 Fachleuten aus der Volksrepublik China überarbeiten, die nicht der geforderten Sicherheitsüberprüfung unterzogen worden waren."

Nur wenige Wochen vor dieser Stellungnahme warnte das Büro des Generalinspekteurs des US-Verkehrsministeriums die FAA davor, das Flugverkehrssystem ins Internet zu integrieren, anstatt wie bisher separate Netzwerke zu benutzen. Das Büro gab zu bedenken, dass ein solcher Schritt die Flugsicherung "noch anfälliger für unbefugte Eingriffe" machen könnte, und nannte die geplante Integration "einen bedeutenden Risikofaktor".

Es muss deshalb noch viel mehr unternommen werden, um ein solch schauriges Szenario zu vermeiden, wie es die Luftfahrtbehörden in dem Actionfilm "Stirb langsam 2" von 1990 mit Bruce Willis erleben: Terroristen übernehmen darin die gesamte Elektronik der Flugsicherung und bringen absichtlich ein Flugzeug zum Absturz – als Warnung. Leider gibt es im echten Leben keinen Helden wie John McClane, der im Film in letzter Sekunde zum Retter wird und noch Schlimmeres verhindert.

Aus: Spektrum der Wissenschaft 1 / 2002, Seite 96
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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