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Fördern Computerspiele die Gewaltbereitschaft?



Kinder und Jugendliche sind tagtäglich mit körperlicher oder psychischer Gewalt konfrontiert: im Umgang mit Mitschülern, Lehrern, Eltern und anderen Erwachsenen. Mit diesen realen Erfahrungen verschränken sich die Einflüsse medialer Welten wie Film, Fernsehen und Comics. Aus der wechselseitigen Durchdringung entsteht nach dem derzeitigen Kenntnisstand ein Interesse an möglichst realitätsnaher Mediengewalt wie auch eines an mediengerechter Gewaltrealität: Filmblut und das Geräusch knackender Knochen faszinieren die Jugendlichen oft mehr als nur angedeutete Brutalität, andererseits nehmen sie in spielerischen Auseinandersetzungen oder wirklicher Prügelei gern aus Film und Fernsehen abgeschaute Kampfposen ein. Dies schürt bei den Erwachsenen die Angst, mediale Gewalt könnte für Heranwachsende zu einem Modell für reale Aggression werden. Berichte von Kindern, die wie im Videofilm auf am Boden liegende Gegner eintreten, und von folternden Jugendlichen scheinen mithin diese Sorge zu unterstreichen.

Aufgrund entsprechender Inhalte vieler Computerspiele wurde auch dieses neue Medium Gegenstand der Forschung. Eine eingehende Analyse der bis 1993 vorliegenden empirischen Untersuchungen durch den Erziehungswissenschaftler Werner Sacher von der Universität Würzburg erbrachte jedoch keinen Nachweis einer die Aggression fördernden Wirkung aggressiver Spiele; auch verschiedene neuere deutsche Studien bestätigen diesen Befund. Allerdings kommen andere Untersuchungen zu durchaus abweichenden Ergebnissen.

Diese Widersprüche sind meines Erachtens unter anderem mit der verwendeten Methode zu erklären, aber auch mit unklaren Kriterien dafür, wann ein Computerspiel beziehungsweise eine anschließende Handlung des Spielers in der realen Welt als aggressiv anzusehen sei. Untersucht man beispielsweise die Folgen eines Computerspiels anhand nachfolgenden spielerischen Verhaltens, können sich andere Ergebnisse zeigen als bei einem indirekten Verfahren wie etwa anhand von Einschätzungsskalen. Auch wenig beachtete Randphänomene können von Bedeutung sein. So zeigen unsere Probanden oft starke Wut, wenn sie beim Spielen scheitern – und zwar unabhängig vom Spielinhalt.

Viele Forschungsansätze basieren auf der Vorstellung des passiven Rezipienten von Medien, der in der virtuellen Welt geübte Handlungen zwangsläufig in der realen nachvollzieht. Meiner Ansicht nach kann eine solche direkte Wirkung jedoch ausgeschlossen werden. Wenn man überhaupt von Effekten der virtuellen Welt sprechen will, dann sind diese eingebunden in ein dynamisches Wechselverhältnis von Spiel und Spieler: Letzterer wählt das Spiel, das zu ihm paßt und ihm in seinen Wünschen, Handlungsbereitschaften und Vorstellungen weitgehend entgegenkommt.

Dabei kommt es auf die Art der gezeigten Gewalt an – physische oder psychische – , die Form der Präsentation – distanziert oder offen brutal – sowie ihren Kontext: Geht es um ein in der Realität mögliches Geschehen, um historische Sachverhalte oder um fiktive Welten? Auf Seiten des Rezipienten spielen weitere Faktoren eine Rolle: Alter, Geschlecht, Bildung, berufliche Tätigkeit, Vorerfahrungen, Interessen und vieles mehr. Sie beeinflussen nicht nur seine Spielwahl, sondern auch die Intensität der Nutzung, die Möglichkeiten zur Distanzierung, Verarbeitung und subjektiven Bedeutungszumessung.

Im Rahmen dieser Prozesse sind mediale und virtuelle Welten also Sozialisationsfaktoren, die eine bereits vorhandene Bereitschaft zum aggressiven Handeln möglicherweise unterstützen, aber keine neue schaffen. Untersuchungen Rita Steckels von der Universität Bochum belegen zwar eine unmittelbare Abschwächung emotionaler Reaktionen auf Gewaltszenen, die langfristig empathische Fähigkeiten mindern und die Bereitschaft zur Aggressivität somit steigern kann. Ob und wie weit dies eintritt, hängt aber ihres Erachtens von der Qualität der Eltern-Kind-Beziehung ab, die Normen und Werte wie die Fähigkeit zum Mitfühlen vermittelt.


Aus: Spektrum der Wissenschaft 12 / 1998, Seite 110
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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