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Forntiers-of-Science-Symposien


Seit 1995 finden derartige deutsch-amerikanische Veranstaltungen unter der Bezeichnung German American Frontiers of Science Symposia (GAFOS) statt. Das englische frontiers bezeichnet nicht nur Grenzen, an denen Barrieren Halt gebieten, sondern auch eine Art vorderste Front, die man immer tiefer in Neuland hinein verschiebt – so wie im 17. und 18. Jahrhundert die weißen Siedler in Nordamerika stetig nach Westen bis zum Pazifik vordrangen. In den Frontiers-of-Science-Symposien wird über die Fachgrenzen hinweg weniger über den gegenwärtigen Stand als vielmehr über die vordersten Positionen und über die Richtungen diskutiert, in die sich die Naturwissenschaften weiterentwickeln können und sollen. (Die GAFOS-Symposien dürfen nicht verwechselt werden mit dem Human Frontier Science Program, in dem auf japanische Initiative hin Wissenschaftler in sieben Industriestaaten, auch in Deutschland, biologische Grundlagenforschung betreiben.)

An diesen Symposien fasziniert vor allem, daß die jeweils rund 70 teilnehmenden jungen Wissenschaftler neue Forschungstechniken und -ansätze auf Gebieten kennenlernen, auf denen sie selbst bisher nicht gearbeitet haben. Die Referenten müssen darum fähig sein, ihre Wissenschaft den Nicht-Spezialisten zu vermitteln. Ein amerikanischer Teilnehmer am dritten GAFOS-Symposium im Sommer dieses Jahres in München urteilte: "Alles in allem waren die Veranstaltungen hervorragend. Meine Erfahrung war vergleichbar mit der Lektüre eines guten Artikels im ‚Scientific American'. Nur gab es leider wenig Überschneidungen mit meinen beruflichen Interessen." Ein anderer meinte: "Ich bekam ein Gefühl dafür, welche aufregenden Themen und Methoden in anderen Wissensgebieten verfolgt werden." Nicht selten ergibt sich aus solchen Begegnungen eine neue Zusammenarbeit über die Grenzen der einzelnen Forschungsdisziplinen hinaus.


Geowissenschaften: von der Arktis bis zum Erdkern

Die beabsichtigten Grenzverschiebungen sowohl im unmittelbaren physikalischen Sinn als auch in den theoretischen Ansätzen wurden besonders in den geowissenschaftlichen Beiträgen der ersten drei GAFOS-Symposien deutlich. Im Jahre 1995 berichteten in Schloß Albrechtsberg bei Dresden Gerhard Graf vom GEOMAR-Forschungszentrum in Kiel und Jody Deming von der Universität von Washington in Seattle über zwei verschiedene Ansätze, die Entwicklung des Weltklimas aus Vorgängen in der Arktis zu verstehen. Aus Untersuchungen von Besiedlungsmustern und des Stoffeintrags bei der Sedimentation in der Grönländisch-Norwegischen See erhielt Graf Informationen über das Kohlenstoff- und Wasserstoffbudget, woraus er wiederum auf Klimaunterschiede in der Vergangenheit schließen konnte. Jody Deming erforschte in offenen Wasserkörpern im arktischen Eis die Anpassung von Mikroben an Temperaturen unterhalb des Gefrierpunkts. Die dort ablaufenden physikalischen, chemischen und biologischen Vorgänge könnten diese Organismen zu hervorragenden Indikatoren für die Folgen des globalen Klimawandels machen.

In die Erdkruste, in die geologische Dynamik des Himalaja und Tibets, drangen die Referenten der zweiten GAFOS-Tagung 1996 in Woods Hole (Massachusets) vor. Lothar Ratschbacher von der Universität Würzburg sammelt experimentelle Daten, mit denen er ein genaues Modell davon erstellen kann, mit welcher Geschwindigkeit der indische Subkontinent mit dem asiatischen Kontinent kollidiert. Sean Willett von der Staats-Universität von Pennsylvania in University Park untersucht mittels eines numerischen Verfahrens, wie Gebirgsgürtel gebildet werden. Dieses sogenannte Modell des kritischen Keils beschreibt den Winkel, mit dem sich die indische Platte unter den asiatischen Kontinent schiebt, und berücksichtigt andere Prozesse wie etwa Erosion und Klima, welche die Massenverteilung innerhalb des Systems beeinflussen können. Willett meint, dieser Ansatz geodynamischer Modellierung werde zu neuer multidisziplinärer Forschung Anlaß geben.

Während des dritten Symposiums wurde nun die Geophysik des Erdkerns vorgestellt. Dessen Zusammensetzung – etwa 80 Prozent Eisen, fünf Prozent Nickel und bis zu 15 Prozent leichtere Elemente – untersucht Astrid Holzheid vom Massachusetts Institute of Technology in Cambridge mit geophysikalischen und geochemischen Methoden. Anhand radioaktiver Isotope im Gestein des Erdmantels und in Meteoriten hat sie festgestellt, daß die Bildung des Erdkerns bereits in den ersten 50 Millionen Jahren nach der Verdichtung des präsolaren Urnebels beendet war.

Andreas Tilgner von der Universität Bayreuth berichtete von einem Labor-Experiment, mit dem überprüft werden soll, ob Fließbewegungen im flüssigen Teil des Erdkerns einen Dynamoeffekt hervorrufen, der das irdische Magnetfeld erzeugt. Noch ist die Ursache der Fließbewegungen nicht bekannt: Sind es Materieumwälzungen, die durch Konvektion ausgelöst werden, oder spielt auch die Erdrotation eine Rolle? Zuverlässige Daten weisen zudem darauf hin, daß Änderungen des Magnetfeldes Vorboten eines globalen Klimawandels sein können.

An der Florida International University in Miami geht Brad Clement den Zusammenhängen zwischen Kern-Mantel-Aktivitäten und den immer wieder festgestellten Umpolungen des Magnetfeldes in der fernen Erdvergangenheit nach. Neuere dreidimensionale numerische Modelle weisen darauf hin, daß der elektrisch leitende innere Kern die Fluktuation im Dynamo dämpft und das Magnetfeld stabilisiert.


Breite Themenvielfalt

Das dritte GAFOS-Symposium war im übrigen so stark von der Biologie bestimmt, daß einige Teilnehmer für die Folgeveranstaltung mehr Themen aus Physik und Materialwissenschaft forderten. Bei den biologischen Vorträgen dieses Jahres ging es um die molekularen Mechanismen des Zelltodes, die neurowissenschaftlichen Forschungen zu Zeitstrukturen der Entladung elektrischer Potentiale, um therapeutische Anwendungen der Gentechnik und um Nanomaschinen zum molekularen Transport im Zellkern. Im vergangenen Jahr war über Prione, Leben unter hohen Temperaturen sowie über Spektroskopie und bildgebende Verfahren in der Medizin berichtet worden. Die neurologischen Grundlagen des Sehens und Riechens waren Thema von Referaten auf dem ersten Symposium. Auch wurden neue Erkenntnisse darüber vorgestellt, wie Medikamente durch die Blut-Hirn-Schranke und durch die Haut befördert werden.

Mathematik, Chemie/Materialwissenschaften und Spektroskopie/Mikroskopie sind weitere Bereiche, aus denen bei allen drei GAFOS-Symposien zukunftsträchtige Themen erörtert wurden. Bei der diesjährigen Veranstaltung ging es unter anderem um verfeinerte mathematische Methoden, schwierige kombinatorische Probleme rasch zu lösen, um Methoden der kombinatorischen Chemie und um die Messung von Materialproben im Nanobereich mit Hilfe des Raster-Tunnelmikroskops.

In den beiden vorangegangenen Symposien waren zudem auch faszinierende astrophysikalische Themen vertreten: wie man Galaxien als Gravitationslinsen für die Beobachtung ferner kosmischer Objekte nutzt, was man aus der spektroskopischen Untersuchung interstellarer Wolken aus Wasserstoff und anderen Elementen lernen kann und was man bisher über die sogenannte Dunkle Materie weiß, deren Menge einen großen Einfluß auf die weitere Entwicklung des Universums hat.

Vorbild auch für die Ingenieurwissenschaften?

In den USA finden nationale Frontiers-of-Science-Symposien bereits seit acht Jahren statt; sie werden von der National Academy of Sciences veranstaltet und haben starkes Echo gefunden. Im Jahre 1995 veranstaltete schließlich auch die amerikanische National Academy of Engineering ihr erstes Frontiers-of-Engineering-Symposium.

In Deutschland war die Resonanz bisher weniger vielversprechend. Immerhin will das DAAK im Mai 1998 das erste German-American Symposium Frontiers of Engineering (GAFOE) in Dresden veranstalten. Auch wird überlegt, ob das Modell dieser Symposien auf Geistes-, Sozial- und Verhaltenswissenschaften übertragbar ist. Die National Academy of Sciences hat zudem in diesem Jahr zusammen mit Partnerorganisationen in Japan und China vergleichbare Symposienreihen begründet.

Die Teilnehmer der Symposien wählt ein Organisationsausschuß aus, der aus je sieben deutschen und amerikanischen jungen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern besteht. Dieser legt die Arbeitsgebiete fest und bestimmt die etwa 25 Referenten für die sieben bis acht Themenbereiche der Veranstaltung, die wissenschaftlich herausragend und rhetorisch begabt sein müssen.

Die wissenschaftlichen Kontakte zwischen Deutschland und den USA, die auf den GAFOS-Symposien entstehen, sollen zu Netzwerken ausgebaut werden, die das DAAK im Rahmen seines Programms "German-American Research Networking" finanziell fördert. Es unterstützt die Vorbereitung von gemeinsamen Projekten mit Konferenzteilnehmern des jeweils anderen Staates. Bis zu zwei Jahren nach den Symposien kann es zu diesem Zweck auch Reisemittel und Publikationskosten übernehmen.

Die Beiträge der Symposien werden in den Proceedings der National Academy of Sciences veröffentlicht und können auch über das Internet abgerufen werden (http://www.pnas.org/cgi/content) Das Programm GAFOS und die Abstracts der einzelnen Symposien stellt das DAAK in einer Schriftenreihe "Partnerschaft auf neuen Wegen" dar. Mit dem 1993 gegründeten DAAK sind wichtige Wissenschaftsorganisationen in Deutschland und den USA verbunden. Sein Vorsitzender ist seit Mitte 1996 der frühere deutsche Bundesforschungsminister Heinz Riesenhuber.


Aus: Spektrum der Wissenschaft 12 / 1997, Seite 130
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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