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'Forschung für neue Märkte gezielt fördern'

Interview mit Prof. Dr.-Ing. Martin Reiser, Leiter des Instituts für Medienkommunikation der GMD


Spektrum der Wissenschaft: Herr Professor Reiser, die Forschungsministerin möchte die Informations- und Kommunikationsforschung (IuK) in Deutschland stärken. Wie ließe sich dieses Ziel Ihrer Meinung nach erreichen?

Professor Martin Reiser: Dazu sollten – neben einer Verbesserung der Ausbildung auf allen Ebenen – an Universitäten große, mit den Kompetenz-Zentren in den USA vergleichbare Sonderforschungsbereiche eingerichtet und mit Industriebeteiligung ausgebaut werden. Die Forschungseinrichtungen in Fraunhofer-Gesellschaft, GMD und Helmholtz-Gemeinschaft sollten zunächst in einem virtuellen Verbund ihre Aktivitäten koordinieren. Der riesige Bereich IuK darf nicht zum Anhang einer großen Organisation werden. Mein Vorschlag: Warum nicht ausgewählte IuK-Institute in eine themenspezifische Gemeinschaft überführen? Diese müsste den Bogen von der Grundlagenforschung bis zum Transfer spannen und wäre stärker fachbezogen als die bisherigen Organisationen. Oft wird übersehen, dass die Gründerszene zu einem großen Teil von der Vermarktung öffentlicher Forschungsresultate lebt. Die food chain von Grundlagenforschung zum Börsengang zu speisen wäre ein wichtiges Ziel einer neuen Gesellschaft.

Spektrum: Welche Nachteile befürchten Sie, wenn die GMD in die FhG eingegliedert würde?

Reiser: Die GMD als größte deutsche IuK-Forschungsanstalt hat das Ziel, Innovationen, die aus der Grundlagenforschung an Hochschulen entstanden sind, in den Markt zu begleiten. Wir befürchten, dass die Grundlagenforschung leidet, wenn wir den Primat der Industrieforschung anerkennen müssen. Wenn sie nur das tun kann, was die deutsche Industrie jetzt in diesem innovativen Bereich zu finanzieren bereit ist, kann sie ihr Potenzial nicht ausschöpfen. Meine Vision ist: Grundlagenforschung und Forschung für neue Märkte werden in den Unternehmensausgründungen gezielt gefördert.

Spektrum: Es gab in der GMD zunächst eine gewisse Sympathie für die Fusion. Warum dann der Stimmungswandel?

Reiser: Wir hatten an die Versicherung geglaubt, die Informations- und Kommunikationsforschung solle gestärkt und die Fraunhofer-Gesellschaft erneuert werden. Zudem war den Mitarbeitern in der GMD die Realität in der FhG nicht so vertraut – wie übrigens auch umgekehrt. In den Verhandlungen rückte die FhG dann nicht von ihrer Position einer "Industrieforschung" ab. Das mag aus ihrer Sicht berechtigt sein, doch wenn wir nur in die FhG integriert werden und dann deren Erfolgskriterien genügen sollen, wird die IuK in Deutschland nicht gestärkt. Dann werden aus guten GMD-Instituten Probleminstitute der FhG. Das kann in niemandes Interesse sein. Erst als wir realisierten, was für uns vorgesehen ist, schlug die Stimmung völlig um.

Spektrum: Der FhG-Präsident sagt, der Widerstand gegen die Fusion gehe bei der GMD von der Verwaltung aus, die Grundlagenforschung sei nur vorgeschoben.

Reiser: Das kann ich so nicht stehen lassen. Zehn Institutsleiter der GMD sind einhellig der Meinung, dass wir die geplanten Ziele nicht schaffen können. Auch bin ich nicht bereit, Grundlagenforschung als Schimpfwort anzusehen, wie es unsere Politiker manchmal offenbar tun. In deren Statements ist zwar von ideengetriebener Forschung, Forschung für neue Märkte oder Vorlaufforschung die Rede, aber nicht von Grundlagenforschung. Wenn Deutschland die IuK stärken will, muss es dies sowohl in der Hochschulausbildung als auch in den Forschungsinstituten tun.

Spektrum: Mit gezielter Förderung?

Reiser: Das soll nicht nach dem Gießkannenprinzip grundfinanziert werden. Ich stelle mir vielmehr zwei Fonds vor. In einem Fonds für neue Märkte werden Projekte von Vor-Entwicklungen finanziert, die einen schon jetzt absehbaren Weg zur Ausgründung gehen. Die potenziellen Ausgründer müssen Technologie mitnehmen, damit sie wirklich ausgründen können. Der zweite Fonds ist für Ergebnisse der IuK-Grundlagenforschung gedacht, die nicht von der Industrie bezahlt werden. Damit will ich die in der EU oder beim BMBF übliche Programmsteuerung ersetzen. An die Stelle eines bürokratisch betriebenen Rechtfertigungsgedankens träte der Investitionsgedanke.


Aus: Spektrum der Wissenschaft 6 / 2000, Seite 92
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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