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Forschungseinrichtungen Blaue Liste - Zusammenarbeit der Disparaten

Ein zufällig entstandener Name steht für 80 höchst unterschiedliche Stätten mit Aufgaben in einem weiten Bereich zwischen der reinen Grundlagen- und der gezielten Anwendungsforschung samt einigen Museen und Service-Einrichtungen der Wissenschaft. Erst seit der Vereinigung der beiden deutschen Staaten entwickeln die meisten das fachliche und organisatorische Gerüst einer Gemeinschaft.

Ob „Eurospeak“ und „Eurotexte“ eine „Eurolinguistik“ konstituieren, untersuchen Wissenschaftler am Institut für deutsche Sprache in Mannheim. International beachtete Arbeiten zu III-V-Halbleitern leistet wiederum das Institut für Kristallzüchtung in Berlin. Eine Genbank für Pflanzen ist als Service-Einrichtung mit dem Institut für Pflanzengenetik und Kulturpflanzenforschung im sächsischen Gatersleben verbunden. Mit dem Stofftransport in der untersten Luftschicht befaßt sich das Institut für Troposphärenforschung an der Universität Leipzig, hingegen das Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung mit langfristigen Veränderungen des atmosphärischen Geschehens.

Die Fachinformationszentren Karlsruhe (wissenschaftlich-technisch) und Berlin (für Chemie), die Technische Informationsbibliothek in Hannover, die Zentralbibliothek der Medizin in Köln und das Bonner Informationszentrum Sozialwissenschaften innerhalb von GESIS – der Gesellschaft sozialwissenschaftlicher Infrastruktureinrichtungen mit Sitz in Mannheim – sind wichtige Dienstleister für wissenschaftliche Dokumentationen und Recherchen. Das Deutsche Bergbau-Museum in Bochum, das Naturmuseum Senckenberg in Frankfurt am Main, das Römisch-Germanische Zentralmuseum in Mainz und das Zoologische Museum Alexander König in Bonn bieten nicht nur Wechsel- und Dauerausstellungen für speziell Interessierte, sondern treiben auch bedeutsame Forschung.

Von Königstein zur Blauen Liste

Sie alle zählen zu den nun 80 Einrichtungen der Blauen Liste (siehe Tabelle auf Seite 115; vergleiche auch Spektrum der Wissenschaft, Januar 1992, Seite 134), einer Institution, die der historischen Erklärung und aktuellen Rechtfertigung bedarf. Als 1949 Bund und Länder in Königstein im Taunus vereinbarten, die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) und die Max-Planck-Gesellschaft (MPG) gemeinsam zu finanzieren, blieb eine Gruppe von 23 Forschungsstätten übrig, „deren Aufgaben und Bedeutung über den allgemeinen Wirkungsbereich eines einzelnen Landes hinausgehen und deren Zuschußbedarf die finanzielle Leistungskraft eines einzelnen Landes übersteigt“. Diese „Königsteiner Institute“, deren Zahl allmählich auf 31 anstieg, wurden zweieinhalb Jahrzehnte von den Bundesländern gemeinsam gefördert.

Der neue Grundgesetz-Artikel 91b von 1969 machte es dann möglich, daß Bund und Länder 1975 die „Rahmenvereinbarung Forschungsförderung“ auf „selbständige Forschungseinrichtungen von überregionaler Bedeutung und gesamtstaatlichem wissenschaftspolitischem Interesse“ sowie Einrichtungen mit Service-Funktionen ausweiteten. In der Regel tragen der Bund und das Sitzland (bei Service-Einrichtungen die Gesamtheit der Länder) jeweils 50 Prozent der Kosten. Welche Einrichtungen dies betraf, wurde 1977 in einer Ausführungsvereinbarung festgehalten, die auf blaues Papier gedruckt war – daher der Name „Blaue Liste“.

Bis Ende 1991 zählten zu dieser Gruppierung, die sonst nichts – außer in Einzelfällen fachliches Interesse – verband, 47 Institute, davon 22 öffentlich-rechtliche Stiftungen oder Anstalten, 25 privatrechtliche Vereine, GmbH oder Stiftungen. Anfang 1992 aber stießen 33 Einrichtungen in den neuen Bundesländern hinzu, die aus Zentralinstituten der Akademie der Wissenschaften (AdW) und Instituten der Akademie der Landwirtschaftswissenschaften der DDR gebildet worden waren. Zu den 4530 Personalstellen in den westdeutschen Blaue-Liste-Einrichtungen kamen 3840 im Osten; von den Haushaltsmitteln 1992 in Höhe von 1,062 Milliarden Mark entfielen 497 Millionen auf die östlichen Einrichtungen.

Eine so gewaltige Expansion hat nicht nur harsche Kritik der Hochschulen hervorgerufen, sondern vor allem die Problematik dieses Zusammenschlusses völlig heterogener Einrichtungen deutlich gemacht. Ihr einziger gemeinsamer Nenner war eben die Finanzierung.

Die neue Arbeitsgemeinschaft

Im Jahre 1990 hatten sich die meisten von ihnen (gegenwärtig sind es 72) zur „Arbeitsgemeinschaft Forschungseinrichtungen Blaue Liste (AG-BL)“ zusammengeschlossen, mit Geschäftsstelle im Institut für Arbeitsphysiologie an der Universität Dortmund. Der erste Sprecher des Vorstands war Prof. Wolfgang Zapf vom Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung, seit November 1992 ist es Dr. Konrad Weidemann vom Römisch-Germanischen Zentralmuseum in Mainz.

Vordringlichste Aufgabe der Arbeitsgemeinschaft war zunächst, daß die etablierten Institute den neugegründeten die Integration in das System der bundesdeutschen Forschungsförderung erleichterten. Westler halfen beim Aufbau der Verwaltungen, Ostler kamen zum Training, etwa um sich mit dem für sie fremden Recht vertraut zu machen; vielfach wurden Haushalts- und Stellenpläne gemeinsam erarbeitet und Partnerschaften beschlossen. Die Arbeitsgemeinschaft unterstützte und koordinierte auch teilweise solche Kooperationen.

Was jedoch haben zum Beispiel die sechs Wirtschaftsforschungsinstitute in Berlin, Essen, Halle, Hamburg, Kiel und München, die halbjährlich mit ihren Gutachten zur ökonomischen Situation der Republik an die Öffentlichkeit treten, mit dem traditionsreichen Bernhard-Nocht-Institut für Tropenmedizin in Hamburg, dem neuen Deutschen Institut für Ernährungsforschung in Potsdam-Rehbrücke, den Meeresforschungsinstituten in Kiel und Rostock oder der Pädagogischen Arbeitsstelle des Deutschen Volkshochschulverbandes in Frankfurt am Main zu tun? Eine Arbeitsgruppe des Wissenschaftsrates, auf dessen Empfehlungen hin die 33 Institute in Ostdeutschland zur Blauen Liste kamen, bemüht sich jetzt, ein wissenschaftspolitisch überzeugendes Konzept für die gesamte Gruppe von Einrichtungen sehr individueller Identität auszuarbeiten. Sie ist immerhin neben den Hochschulen, der MPG (mit einem vergleichbaren Etat), der Fraunhofer-Gesellschaft, den Großforschungseinrichtungen, den Einrichtungen der regierungseigenen Ressortforschung und den Instituten „an“ den Hochschulen eine der sieben tragenden Säulen des institutionellen Forschungssystems in Deutschland. Wo liegt ihr gemeinsames Interesse, wie lassen sich diese Institute von anderen Bereichen inhaltlich abgrenzen?

Ein weiteres Problem ist die wissenschaftspolitische Steuerung der Forschungseinrichtungen Blaue Liste. Ihre innere Ordnung ist meistens stark vom Staat beeinflußt, manche haben sogar „weder Satzungsautonomie noch Selbstverwaltungsrecht, nicht einmal in wissenschaftlichen Fragen“ (so Ernst- Joachim Meusel in der Studie „Außeruniversitäre Forschung im Wissenschaftsrecht“, erschienen im Carl Heymanns Verlag, Köln).

Im Gegensatz zum bisherigen Vorsitzenden des Wissenschaftsrates, Prof. Dieter Simon, hält der frühere Vorsitzende der AG-BL, Zapf, eine eigene Trägerorganisation für nicht möglich, eben wegen der Heterogenität der Institute; die wissenschaftliche Verantwortung müsse bei den einzelnen Einrichtungen bleiben. Er zieht – wie auch jetzt der Wissenschaftsrat – ein Kuratorium vor, dem Vertreter von Politik, Verwaltung und Wissenschaft angehören und das übergreifende Fragen behandeln soll. Auch eine neue Ausrichtung der elf Sektionen der AG-BL scheint dringend notwendig, etwa zur wissenschaftlichen Abstimmung und Beratung auf einer Ebene zwischen Instituten und Kuratorium oder Trägerorganisation.

Evaluierung und Suche nach Profil

Zur Bewertung von Leistungen und Effizienz der Forschungseinrichtungen Blaue Liste wird noch nach Maßstäben gesucht. Das künftige Kuratorium soll die Evaluation der Bund-Länder-Einrichtungen übernehmen. Nach den Ausführungsvereinbarungen zur Forschungsförderung sollte sie alle zwei Jahre stattfinden; bis 1990 war das auch bei fast allen westlichen Instituten der Fall. Simon hatte zudem gefordert, „die frühere, sehr benigne, in vielen Fällen schwer vertretbare Großzügigkeit des Wissenschaftsrates... nicht wieder einreißen zu lassen“ („verbund“, Zeitschrift des Forschungsverbundes Berlin, 3/1992). Im Kuratorium müßte dann auch mit stärkerer politischer Mitwirkung des Bundes, dessen Zuständigkeit für die Blaue-Liste-Einrichtungen beim Forschungsministerium konzentriert werden soll, über die weitere Förderung der Einrichtungen und auch über die mögliche Schließung einzelner Institute entschieden werden.

Ende der achtziger Jahre wurde das Instrumentarium der Blauen Liste des Immobilismus geziehen. Der scheint überwunden zu sein. Inzwischen meint zum Beispiel der Generalsekretär der Bund-Länder-Kommission für Bildungsplanung und Forschungsförderung, Jürgen Schlegel, das Institut der Blauen Liste sei sehr anpassungsfähig – nur deshalb habe der Wissenschaftsrat es als neue Organisationsform für ehemalige AdW-Institute empfohlen, und nur deshalb hätten Finanzierungsklarheit und -sicherheit bis Ende 1991 hergestellt werden können („verbund“ 5/1992).

Trotz allen offenen Fragen und Unsicherheiten hat die AG-BL sich in letzter Zeit zu einigen forschungspolitischen Problemen geäußert. Sie will Profil gewinnen. In einem Papier zum Gentechnik-Gesetz geht sie über die Arbeitsgemeinschaft der Großforschungseinrichtungen hinaus, indem sie fordert, die Sicherheitsstufe 1, die keine Gefährdung bedeutet, gänzlich zu streichen, in der Stufe 2 nur ein Anmeldeverfahren und keine Genehmigung vorzusehen und bei den wenigen Verfahren der strengsten Stufen 3 und 4 die Formblätter zu streichen und jeden Antrag individuell zu behandeln. Zum Tierschutzgesetz will sie sich nach der ersten Lesung im Bundestag äußern. In einer Stellungnahme zum Bibliothekswesen hat sie zu freiem Verkehr von Kunst und Literatur in der EG aufgerufen. Des weiteren hat sie sich den Protesten der anderen Wissenschaftsorganisationen gegen die Besteuerung von Drittmitteln für die Forschung in einigen Bundesländern angeschlossen.

Als Modell der auch nach außen wirkenden Kooperation wird der Forschungsverbund Berlin gesehen, der seinerseits in den alten Bundesländern kein Vorbild hatte. Er leistet für acht neue Institute der Blauen Liste Management-, Service- und Beratungsaufgaben und wird mit den durch die gemeinsame Verwaltung bedingten Minderausgaben dieser Einrichtungen finanziert (Spektrum der Wissenschaft, August 1992, Seite 125). Die Geschäftsstelle befindet sich im Wissenschaftsforum Berlin, dem Gebäude der ehemaligen AdW. Dem Verbund gehören die neuen Institute für Molekulare Pharmakologie, Angewandte Analysis und Stochastik, Gewässerökologie und Binnenfischerei, Festkörperelektronik, Nichtlineare Optik und Kurzzeitspektroskopie, Wild- und Zootierforschung, Höchstfrequenztechnik sowie Kristallzüchtung an. Das nach dem Vorbild der Fraunhofer-Management-Gesellschaft gestaltete Modell ist zunächst auf fünf Jahre befristet.

Das Institut für Polymerforschung Dresden ist sowohl mit der Technischen Universität Dresden als auch mit dem dortigen Materialforschungsverbund fachlich verknüpft. Sein Leiter Prof. Hans-Jörg Jacobasch meint, die Arbeiten in angewandter Grundlagenforschung seien voll akzeptiert worden. Das dürfte auch den Versuch der Hochschulen, einen Großteil der Forschung wieder in die Universitäten zu integrieren, als überholt erscheinen lassen – sogar als „realitätsferne Ideologie“ attackierte ihn der sächsische Wissenschaftsminister Prof. Hans Joachim Meyer auf der Mitgliederversammlung der AG-BL am 10. November 1992 in Dresden.

Allerdings fällt es Blaue-Liste-Einrichtungen und Universitäten immer noch schwer, Professoren gemeinsam zu berufen. Obwohl einige Einrichtungen älter sind als die Kaiser-Wilhelm-, die spätere Max-Planck-Gesellschaft, werden sie von traditionellen Forschungsorganisationen skeptisch betrachtet. Als die DFG vor einigen Jahren darum gebeten wurde, lehnte sie die Trägerschaft für Institute rundweg ab: Sie wolle keine „MPG zweiter Klasse“ werden. Aus einer Liste der Disparaten ist freilich inzwischen ein dem Finanzvolumen nach mit MPG und DFG vergleichbarer Partner erstanden. Er sucht jetzt ein ihm gemäßes und gleiches Recht.


Aus: Spektrum der Wissenschaft 3 / 1993, Seite 114
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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