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Friedens-Nobelpreis - Auszeichnung für Abrüstungsbefürworter

Fünfzig Jahre nach der atomaren Zerstörung von Hiroshima und Nagasaki geht der Nobelpreis für Verdienste um die Erhaltung des Friedens an Wissenschaftler, die sich seit Jahrzehnten für die Eindämmung der nuklearen Rüstung und heute für die Abschaffung der Kernwaffen einsetzen: an den Physiker Joseph Rotblat und die von ihm geleitete Pugwash-Bewegung.


Die Gedenkveranstaltungen zu den ersten Atombombenabwürfen in der Geschichte der Menschheit wurden mit großer Anteilnahme begleitet, und Frankreichs Wiederaufnahme von Kernwaffentests erregte in den vergangenen Monaten heftige Proteste in der Öffentlichkeit.

Hingegen dürften die diesjährigen Friedens-Nobelpreisträger und ihre Beiträge zu den weltweiten Abrüstungsbemühungen weithin kaum bekannt sein.

Spektakuläre und publikumswirksame Aktionen gehörten denn auch nie zum Stil der Pugwash-Bewegung, die eher im stillen und sozusagen hinter den Kulissen wirkte. Aber gerade deswegen gelang es ihr, einflußreiche Persönlichkeiten für ihre Sache zu gewinnen, den Dialog über eminent wichtige durch verschiedene Interessenlagen komplizierte Probleme auf sachlichem, wissenschaftlichem Niveau zu führen und Kontakte mit Entscheidungsträgern und Regierungen aufzunehmen.

Die Geschichte der Pugwash-Bewegung ist zugleich ein Teil von Joseph Rotblats Lebenslauf. Als junger Physiker ging der in Warschau geborene Pole im April 1939 an die Universität Liverpool, um sich Untersuchungen der kurz zuvor von Otto Hahn und Lise Meitner entdeckten Kernspaltung zu widmen. Unabhängig von anderen Wissenschaftlern erkannte er, daß unter bestimmten Bedingungen eine Uranbombe mit gewaltiger Sprengkraft gebaut werden könnte. Wie für zahlreiche andere Atomphysiker stellte sich für ihn nun die Frage, ob es vertretbar sei, derartige Forschungsarbeiten durchzuführen. Seiner Überzeugung nach sollte die Wissenschaft nur im Dienste der Menschheit genutzt werden und nicht, um zerstörerische Waffen zu entwickeln.

Doch als am 1. September deutsche Truppen sein Heimatland überfielen, überwand er seine starken moralischen Bedenken. Wenn der Bau einer Atombombe möglich sei, so überlegte er sich damals, würden die Deutschen es tun und nur am Einsatz einer derartigen Waffe gehindert werden können, wenn die Alliierten über eine geeignete Abschreckung verfügten. Rotblat begann, mit anderen britischen Physikern die wissenschaftlichen Grundlagen einer Atombombe zu untersuchen, und kam schließlich 1943 mit vielen seiner Kollegen in das amerikanische Kernwaffen-Labor von Los Alamos (Neu-Mexiko).

Im März 1944 vertraute General Leslie Groves, der militärische Leiter des Manhattan-Projekts, einer kleinen Gruppe der wissenschaftlichen Mitarbeiter an, der wahre Zweck des Unternehmens sei, die Sowjets zu bezwingen. Rotblat war entsetzt. Als schließlich Ende des Jahres bekannt wurde, daß die Deutschen sich noch immer mit einem Reaktorkonzept befaßten und abzusehen war, daß der Krieg in Europa noch vor Fertigstellung der amerikanischen Kernspaltungswaffe zu Ende sein würde, entfiel für Rotblat die Rechtfertigurig für eine weitere Mitarbeit. Als einziger der beteiligten Wissenschaftler verließ er das Manhattan-Projekt vorzeitig.

Der Abwurf der Uran- und Plutoniumbomben auf japanische Städte und die Folgewirkungen durch radioaktive Strahlung erschütterten Rotblat tief. Zunächst als Forschungsdirektor am Kernphysikalischen Institut der Universität Liverpool tätig, organisierte er eine Ausstellung, die über die friedlichen und militärischen Anwendungen der Kernenergie informierte und in mehreren Ländern Europas und des Nahen Ostens zu sehen war. Im Jahre 1950 wandte er sich von der Kernphysik ab, wurde Professor an der Universität London und widmete sich bis zu seiner Emeritierung 1976 am St. Bartholomews Hospital Medical College biophysikalischen Forschungen und der Strahlenmedizin.

In Rotblat reifte die Erkenntnis, daß Krieg die moralischen Vorstellungen derart verderbe, daß alle verfügbaren Mittel letztlich auch eingesetzt würden gleich wie schrecklich ihre Folgen seien. Als die Vereinigten Staaten begannen, thermonukleare Waffen zu erproben, unterschrieb er 1955 gemeinsam mit zehn weiteren angesehenen Wissenschaftlern eine Erklärung, die nach dem Initiator, dem Philosophen und Schriftsteller Bertrand Russel (1872 bis 1970, Nobelpreis für Literatur 1950), und dem prominentesten Unterzeichner, dem Physiker Albert Einstein (1879 bis 1955, Physik-Nobelpreis 1921), als Russel-Einstein-Manifest bekannt geworden ist. Darin wiesen die Forscher auf die Gefahren eines weiteren nuklearen Wettrüstens hin und machten deutlich, daß ein künftiger Krieg unter Einsatz von Kemwaffen die Existenz der gesamten Menschheit bedrohen würde; die Regierungen wurden aufgefordert, jegliche internationalen Streitigkeiten friedlich beizulegen.

Dieses Manifest bewegte weltweit viele Wissenschaftler, die nicht nur für die Exaktheit ihrer Erkenntnisse, sondern auch für deren Folgen Verantwortung übernehmen wollten, sich zusammenzuschließen. Auf Einladung des amerikanisch-kanadischen Millionärs Cyrus Eaton (1883 bis 1979) kam 1957 erstmals eine kleine international zusammengesetzte Gruppe von Wissenschaftlern und Industriellen in dem Fischerdorf Pugwash in der kanadischen Provinz Neuschottland zusammen, um die Gefahren, die sich aus der Entwicklung von Massenvernichtungswaffen ergeben, zu diskutieren und anschließend öffentlich Stellung zu nehmen (Bild).

Dieser ersten "Pugwash Conference on Science and World Affairs" folgten mittlerweile mehr als 200 Konferenzen und Workshops in aller Welt (vergleiche Spektrum der Wissenschaft, Februar 1993, Seite 114). Rotblat fungierte die ersten 16 Jahre als Generalsekretär der Pugwash-Bewegung; seit 1988 ist er in der Nachfolge von Dorothy Hodgkin (1910 bis 1994, Chemie-Nobelpreis 1964) und Hannes Alfven (1908 bis 1995, Physik-Nobelpreis 1970) deren Präsident. Außer diesen beiden Ämtern gibt es den Council, dem gegenwärtig 22 Personen aus fast ebensovielen Ländern angehören, sowie das Executive Committee. Andere Organe oder Strukturen kennt die Institution nicht. Büros gibt es lediglich in London und Rom. In der Bundesrepublik ist die 1959 gegründete Vereinigung Deutscher Wissenschaftler (VDW), die aus der Inititiative der Göttinger Erklärung von Atomwissenschaftlern gegen eine atomare Bewaffnung der Bundeswehr hervorging, als so etwas wie die deutsche Sektion der Pugwash-Bewegung anzusehen.

Eine förmliche Mitgliedschaft bei Pugwash gibt es nicht. Wer zu einer Veranstaltung eingeladen wird, nimmt als Einzelperson teil und nicht als Repräsentant einer Organisation oder eines Landes. Das Wirken der Bewegung stützt sich auf die Expertise der Teilnehmer, auf persönliche Kontakte sowie den Einfluß, den Wissenschaftler insbesondere Nobelpreisträger – und andere angesehene Persönlichkeiten auf ihre Kollegen und die Regierungen ihres jeweiligen Landes haben.

Der Erfolg dieses Konzeptes zeigte sich insbesondere während des Kalten Krieges, als auf offiziellem diplomatischem Wege zwischen 0st und West zeitweise keinerlei Verständigung mehr möglich war. Die Ergebnisse der Diskussionen und Studien der Pugwash-Konferenzen gelangten durch ihre Teilnehmer über alle politischen und ideologischen Grenzen hinweg dennoch zu den Regierungen. Auf diese Weise konnte die Bewegung das Zustandekommen einiger Rüstungskontrollverträge positiv beeinflussen. Dies gilt beispielsweise für den Vertrag zur Einstellung von oberirdischen Kernwaffenversuchen aus dem Jahre 1963, den SALT-I-Vertrag zur Begrenzung der nuklearen Rüstung von 1972 sowie die Konvention zum Verbot biologischer Waffen ebenfalls von 1972. So manche Vertragsidee wurde bereits Jahre vor dem Beginn der eigentlichen diplomatischen Verhandlungen durch informelle Kontakte zwischen Pugwash-Teilnehmern und Regierungsberatern vorbereitet.

Auch heute noch stehen die Abrüstung von allen Massenvernichtungswaffen und die internationale Sicherheit im Zentrum der Diskussionen; denn es zeigte sich, daß die technologischen Hinterlassenschaften des Kalten Krieges noch schwerer zu beseitigen sind als ideologische Barrieren. Doch mittlerweile begann Pugwash sich auch anderen Problemen zuzuwenden, die einen dauerhaften Frieden und die Weltsicherheit bedrohen und bei denen der Wissenschaft besondere Bedeutung zukommt. Beispielsweise nehmen die Ausbeutung natürlicher Ressourcen, die Energieversorgung, das Bevölkerungswachstum und das zunehmende ökonomische Ungleichgewicht zwischen Industrie- und Entwicklungsländern immer mehr Raum in den Konferenzen ein.

Die weltweite Beachtung, die Pugwash mit der Verleihung des Friedens-Nobelpreises erfährt, könnte zur Folge haben, daß sich die Bewegung nun ihrerseits mehr der Öffentlichkeit zuwendet. Der bisherige singuläre, weitgehend nicht-öffentliche Arbeitsansatz aus der Zeit der konkurrierenden westlichen und östlichen Systeme erscheint für viele der globalen Probleme nicht mehr angemessen. So war Pugwash bislang auch darauf bedacht, nicht mit anderen Institutionen ähnlicher Aufgabenstellung oder regierungsunabhängigen Organisationen zusammenzuarbeiten .

Rotblat selbst scheut sich nicht davor. So erarbeitete er kürzlich gemeinsam mit einer weiteren internationalen Gruppe von Wissenschaftlern, dem International Network of Engineers and Scientists Against Proliferation (INESAP), eine Studie, die aufzeigt, wie man über die Vereinbarungen des Nichtverbreitungsvertrags hinaus die Vision einer kernwaffenfreien Welt verwirklichen könne. Auf der Verlängerungskonferenz für dieses Rüstungskontrollabkommen im Frühjahr 1995 setzte er sich mit dafür ein, die Regelungen durch eine Konvention zu ersetzen, die den Verzicht auf Kernwaffen für alle Staaten gleichermaßen verbindlich festschreiben würde (vergleiche Spektrum der Wissenschaft, August 1995, Seite 98).

Seinen fast noch jugendlich anmutenden Elan will Rotblat – der am 4. November 87 Jahre alt wurde – auch weiterhin für sein großes Ziel, eine kernwaffenfreie Welt, einsetzen. Das Norwegische Nobel-Komitee verknüpft mit der Verleihung des FriedensNobelpreises an ihn und die Pugwash-Bewegung die Hoffnung, daß die Regierungen aller Länder ihm in diesem Bemühen folgen werden.


Aus: Spektrum der Wissenschaft 12 / 1995, Seite 25
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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