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Fuzzy Pattern Classification

Fuzzy-Technologien gelten derzeit als ein leistungsfähiger Lösungsansatz zur Analyse und Beherrschung komplizierter Systeme. Dies belegt auch die an der Technischen Universität Chemnitz-Zwickau entwickelte und vielfach erprobte Methode der Musteranalyse.

Ein geübter Schweißer beobachtet das Schmelzbad, hört das Lichtbogengeräusch und „hat es im Gefühl“, wenn etwas nicht stimmt. Der erfahrene Kontrolleur erfaßt „auf einen Blick“ die Beschaffenheit des Produktes. Der praktizierende Arzt „überblickt“ viele Krankheitsanzeichen und findet die zutreffende Diagnose und eine dem Patienten individuell angepaßte Therapie. Wir entziffern (meistens) mühelos Handschriften, obgleich häufig zwei handgeschriebene Exemplare desselben Buchstabens kein einziges gemeinsames Merkmal zu haben scheinen. Trotz hoher Verkehrsdichte fahren wir auch in unübersichtlichen Situationen „instinktiv“ sicher.

Es gibt unzählige Beispiele dieser menschlichen Fähigkeit, komplizierte Systeme schnell zu analysieren, Entscheidungen zu fällen oder zielorientiert einzugreifen. In manchen Leistungen, etwa dem Handschriftenlesen oder dem Verständnis gesprochener Sprache, sind wir noch heute dem Computer überlegen.

Ein Mensch (mit einschlägiger Erfahrung) kann auf der Stelle einen vorgelegten Gegenstand als intakt oder defekt, einen Patienten als gesund oder krank, ein Manöver im Straßenverkehr als unbedenklich oder gefährlich, einen Buchstaben als g oder y klassifizieren, also eine Aussage darüber machen, ob gewisse sehr komplexe, zusammengesetzte Eigenschaften auf den vorgelegten Gegenstand zutreffen. Fuzzy Pattern Classification ist das Unterfangen, die zweifellos unscharfen, in der Regel nicht bewußten, aber erfolgreichen Gedankengänge, die hinter derartigen Leistungen stehen, im Computer nachzubilden. Insbesondere wird die Unsicherheit, mit der die eingehenden Informationen, das Vorwissen über den Untersuchungsgegenstand und die resultierenden Aussagen behaftet sind, computergestützt erfaßt, verarbeitet und nutzbar ausgewiesen. Auch verbal vorliegendes Expertenwissen – die übliche Form des menschlichen Wissenstransfers – läßt sich zusätzlich integrieren und verarbeiten.

Die Theorie unscharfer Mengen hat mit den Fuzzy-Technologien bereits Einzug in die Praxis gehalten. Für die Fuzzy Pattern Classification gibt es nicht nur einen Bedarf, sondern auch bereits leistungsfähige Entwicklungsverfahren und Referenzanlagen.

Unscharfe Mustererkennung

Ein Computerprogramm zur Musteranalyse muß aus den verfügbaren Eingangsdaten errechnen, ob ein vorgelegter Gegenstand gewisse Eigenschaften erfüllt. Die Eingangsdaten können beispielsweise Eigenschaften, Kenngrößen oder Parameter sein, die entweder unmittelbar aus dem Meßsignal hervorgehen oder über mathematische Verfahren daraus zu berechnen sind. Die interne Beschreibung des Gegenstandes ist ein Satz von Merkmalen, den man als Punkt in einem hochdimensionalen Raum interpretieren kann.

Bereits Anfang der siebziger Jahre haben wir diese Klassifikations-Methodik verallgemeinert, also mit dem neuen Ideengut der Fuzzy Set Theory verbunden und zum Verfahren der Fuzzy Pattern Classification entwickelt. Damit berücksichtigen wir in der Modellierung einerseits ausdrücklich Unschärfe, andererseits können wir auch nichtmetrische, verbale Aussagen einfließen lassen.

Im Merkmalsraum werden Teilgebiete – die Klassen – erklärt. Ein Gegenstand gilt als einer Klasse zugehörig, wenn sein Merkmalspunkt in dem entsprechenden Teilgebiet liegt. Diese Gebiete haben eine inhaltliche Bedeutung, kennzeichnen zum Beispiel Qualitäts-, Fehler- oder Steuerklassen, und werden im Merkmalsraum entsprechend der Fuzzy Set Theory durch Klassenzugehörigkeitsfunktionen beschrieben. Beispielsweise wird das Gebiet „gute Qualität“ durch eine Zugehörigkeitsfunktion beschrieben, die zu jeder Merkmalskombination angibt, in welchem Ausmaß ein Gegenstand mit diesen Merkmalen als „gut“ angesehen werden kann.

Betrachten wir beispielsweise ein Klassifikationsmodell mit vier Klassen, dargestellt über einem zweidimensionalen Merkmalsraum (Bild 1). Als Zugehörigkeitsfunktionen wählen wir parametrische Potentialfunktionen. Das sind Funktionen, die in der Umgebung eines bestimmten Punktes gewissermaßen konzentriert sind: In diesem Punkt ist der Funktionswert maximal; mit der Entfernung von ihm fällt er monoton auf null ab. Die konkrete Ausprägung des Funktionsverlaufs wird jedoch erst in der Lernphase an das Problem angepaßt, indem ihre Parameter in Experimenten mit ausgewählten typischen Objekten, mittels Rechnersimulationen oder über Expertenwissen bestimmt werden. So wie man in einem neuronalen Netz künstliche Neuronen darauf trainieren kann, selektiv auf bestimmte Muster zu reagieren, ohne explizit die Parameter der Neuronen ändern zu müssen, kann man gleichsam die Zugehörigkeitsfunktionen automatisch lehren, welches Gebiet (welche Eigenschaft) sie verkörpern sollen (vergleiche „Wie neuronale Netze aus Erfahrung lernen“ von Geoffrey E. Hinton, Spektrum der Wissenschaft, November 1992, Seite 134). Letztlich verkörpert dieser Parametersatz das Prozeßwissen.

In der Arbeitsphase nutzen wir diese Wissensbasis. Soll nun ein unbekanntes Objekt beispielsweise in seiner Qualität bewertet oder die aktuelle Situation eines Prozesses eingeschätzt werden, so sind seine Merkmale – bildlich gesprochen – den Klassenmodellen vorzuführen. Diese geben ihre Einschätzungen ab, das heißt, die Zugehörigkeitsfunktionen werden ausgewertet und liefern im allgemeinen unterschiedliche Werte. Die Zusammenfassung dieser Werte heißt Zugehörigkeitsvektor oder auch Sympathievektor; hinter dieser Bezeichnung steckt die Vorstellung, daß ein Gegenstand einer Klasse (beziehungsweise deren Potentialfunktion) um so sympathischer ist, je näher er ihrem Idealbild kommt. Das Identifikationsergebnis bietet uns eine praktikable Entscheidungshilfe. So erhalten wir beispielsweise eine recht eindeutige oder eine mehr risikobehaftete Klassenzuordnung. Das Ergebnis kann aber auch in der Abweisung durch das Klassifikationsmodell bestehen, falls alle Zugehörigkeitsfunktionen sehr kleine Werte annehmen.

Prognose

Das eben beschriebene Vorgehen ist statischer Natur. Für jede Anfrage an das System erhalten wir eine Antwort zur augenblicklichen Klassenzugehörigkeit. Besonders interessant ist aber eine Beobachtung von Trends.

Werden etwa bei der Produktqualität in der Massenfertigung – wenngleich noch innerhalb der Toleranzen – Veränderungen frühzeitig nachweisbar, so können Fehlerursachen ausgemacht und durch einen gezielten Eingriff in den Fertigungsprozeß beseitigt werden. Solche zeitlichen Entwicklungen können wir uns höchstens im zweidimensionalen, nicht aber im hochdimensionalen Merkmalsraum veranschaulichen. Dagegen ist uns der gut interpretierbare Verlauf der Sympathiewerte in jedem Fall leicht zugänglich: Wir lesen Trends und sich anbahnende Klassenwechsel ab (Bild 2). Da wir die inhaltliche Bedeutung der Klassen kennen, ergibt sich außer der Überwachung des Fertigungsprozesses eine Prognose. Damit sind Planung und rechtzeitiges Eingreifen in den Prozeß möglich.

Anwendungsvielfalt

Die erkennbaren Anwendungsbereiche sind bereits heute sehr groß; weitere lassen sich voraussagen. Typische Bereiche, in denen wir arbeiten, sind

– die explorative Datenanalyse, wobei die Klassifikation dem Ziel dient, umfangreiches Datenmaterial etwa aus der Auswertung von Fragebögen vorzustrukturieren;

– die Mustererkennung in der Bild-, Zeitreihen- und Frequenzanalyse, etwa zur Analyse von Geräuschen bis hin zur Erkennung gesprochener Sprache,

– die Diagnostik und Überwachung technischer und nichttechnischer Prozesse einschließlich der Trendanalyse und Verlaufsvorhersage zur vorbeugenden Instandhaltung und zur Schadensfrüherkennung,

– die Verschleißdiagnostik von spanenden Werkzeugen zum Zweck der Qualitätssicherung und

– die auf Klassifikation begründbare automatische Steuerung von Umweltüberwachungssystemen, speziell Kläranlagen oder Mülldeponien.

Der allgemeine Lösungsansatz der Fuzzy Pattern Classification ist für alle diese Einsatzgebiete prinzipiell gültig. Die Schwerpunkte können aber sehr unterschiedlich liegen. So ist zur Datenanalyse die intelligente Verarbeitung großer Datenmengen erforderlich, wie sie in multisensoriellen Systemen der Mikrosystemtechnik zunehmend anfallen. Die Auswertung von Zeitreihen mit Echtzeit-Anforderungen bei technischen Überwachungsprozessen oder mit sehr hoher Komplexität wie in der Umwelt-Technologie setzt neue Maßstäbe für die Leistungsfähigkeit des Verfahrens.

Qualitätssicherung

Ein sich schnell entwickelndes Gebiet ist das der Qualitätsanalyse und darauf aufbauend der Qualitätssteuerung. Qualität setzt sich aus vielen Eigenschaften zusammen und ist auch noch unscharf definiert, also eine typische Fuzzy-Variable. Einerseits ist es nämlich naheliegend, Qualität als ein unscharfes Muster zu beschreiben; andererseits erscheint bei der Qualitätsbestimmung eine Absolutaussage wesentlich schwieriger als ein relativer Mustervergleich.

Unsere Erfahrungen mit Referenzbeispielen können dies belegen. So überzeugten beispielsweise die Klassifikationsergebnisse in der Fehlererkennung auf hochveredelten Werkstoffoberflächen mittels Bilddatenauswertung ebenso wie die On-line-Überwachung der Schneidfähigkeit von Werkzeugen.

Gütesicherung beim Schweißen

Die Vielzahl sich gegenseitig beeinflussender Faktoren beim Schweißprozeß kompliziert dessen Automatisierung. Um die nicht absehbare theoretische Beschreibung dieses hochstochastischen Prozesses zu umgehen, setzten wir zur Sicherung der Schweißnahtgüte die Fuzzy Pattern Classification ein.

Über Methoden der Signalanalyse bestimmten wir aus den zwar gut zugänglichen, aber bezüglich des Problems sehr indirekten Signalen Lichtbogenstrom und Schweißspannung acht relevante Merkmale. Auf dieser Grundlage konnten wir ein Klassifikationsmodell entwerfen, das eine Gut- und fünf Fehlerklassen beschreibt.

Qualitätskontrolle von Kälteschränken

Ein Kälteschrank (unter dieser Bezeichnung fassen die Techniker Kühl- und Gefrierschränke zusammen) ist ein kompliziertes dynamisches System, dessen Funktion maßgeblich von den Druck- und Temperaturverteilungen in den Komponenten des Kältekreislaufes abhängt.

Fachleute können aus der Interpretation von bestimmten, zeitlich kurzen Temperaturverlaufskurven Aussagen zur Qualität, aber auch zu Produktionsfehlern ableiten. Durch den Einsatz der Fuzzy Pattern Classification konnten wir dieses Fachwissen in einem Klassifikationsmodell mit elf Merkmalen und sieben Klassen für intakte und fehlerhafte Kälteschränke niederlegen.


Aus: Spektrum der Wissenschaft 3 / 1993, Seite 99
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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