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Nobelpreis für Physiologie oder Medizin: Geburtenkontrolle bei Zellen

Ungezügelte Vermehrung ist eines der wichtigsten Kennzeichen von Krebs. Was Zellen normalerweise unter Kontrolle hält, haben drei nun mit dem Nobelpreis ausgezeichnete Wissenschaftler in den letzten dreißig Jahren erforscht.


Bis zu hundert Billionen Zellen umfasst der menschliche Körper – allesamt Nachkommen einer einzigen befruchteten Eizelle. Schon bald nach der Befruchtung entstehen aus ihr zwei Tochterzellen, die sich kurz darauf selbst wieder teilen und so fort. Aus diesem ständigen Kreislauf von Wachstum und Teilung scheren später einige Zellen aus, wenn sie speziellere Aufgaben beispielsweise im Nervensystem oder der Skelettmuskulatur übernehmen. Andere durchlaufen dagegen immer wieder den so genann-ten Zellzyklus und bringen, solange der Mensch lebt, neue Zellen als Ersatz für alte hervor.

Dieser Prozess muss genau auf die Bedürfnisse des Gesamtorganismus abgestimmt sein: Läuft er zu langsam ab, ist der Bedarf an frischen Zellen nicht zu decken; ein ungehemmtes Wachstum könnte dagegen als bösartige Krebswucherung tödliche Folgen haben. Die drei mit dem Nobelpreis für Physiologie oder Medizin ausgezeichneten Wissenschaftler – Paul Nurse und Timothy Hunt vom Imperial Cancer Research Fund in London sowie Leland H. Hartwell vom Fred Hutchinson Cancer Research Center in Seattle – erforschten auf molekularer Ebene, wie der Zellzyklus gesteuert wird. Daraus ergaben sich auch wichtige Erkenntnisse darüber, wodurch er bei Krebs entgleist (Spektrum der Wissenschaft 5/1991, S. 126).

Der spektakulärste Teil des Zyklus ist sicherlich das Schauspiel vor der eigentlichen Zellteilung. Es lässt sich in groben Zügen direkt unter dem Lichtmikroskop mitverfolgen. So ist seit mehr als hundert Jahren bekannt, dass Zellen als Erstes ihre Chromosomen verdoppeln; dieses Stadium heißt heute S-Phase (nach "Synthese"). Die duplizierten Chromosomen hängen zunächst noch wie siamesische Zwillinge zusammen. Während der als Mitose bezeichneten Phase des Zellzyklus werden sie dann getrennt und in entgegengesetzte Richtungen gezogen. Kurz darauf teilt sich auch der Zellkörper: Die beiden Tochterzellen sind entstanden.

Schließlich verlieren die Chromosomen in den sich neu formierenden Zellkernen ihre kompakte Gestalt. Der für den Transport eng aufgewickelte "Erbfaden", das DNA-Molekül jedes Chromosoms, wird wieder entzwirbelt – bildlich gesprochen entnimmt die Zelle die Arbeitsunterlagen dem Aktenkoffer und breitet sie auf dem Schreibtisch aus.

Die Mitose dauert nur etwa eine halbe bis drei Stunden. Die anschließende G1-Phase (nach englisch gap, Lücke) kann dagegen Tage, Monate oder Jahre währen. In dieser Zeit wächst die Zelle heran und erfüllt ihre Aufgaben. Wenn sie sich dann erneut teilt, verdoppelt sie in der S-Phase ihre DNA und bereitet in der nachfolgenden G2-Phase die nächste Mitose vor.

Woher eine Zelle weiß, welchen Schritt sie wann einzuleiten hat und was dabei auf molekularer Ebene passiert, war lange ein Rätsel. Ende der 1960er Jahre begann Leland Hartwell, diese Fragen an einem einzelligen Organismus mit echtem Zellkern, der Bäckerhefe Saccharomyces cerevisiae, zu untersuchen. Diese Hefe hat den großen Vorteil, dass die diversen Schritte ihres Zellzyklus mit deutlichen Veränderungen ihrer äußeren Form einhergehen. Anders als die Zellen der meisten anderen Organismen teilt sie sich nicht mitten durch, sondern schnürt eine kleine, wie eine Knospe aussprossende Tochterzelle ab. Diese Knospe erscheint, wenn die Mutterzelle in die S-Phase eintritt. Außerdem sind Hefezellen viel leichter zu züchten als menschliche und in ihrer Biologie überschaubarer.

Mit seiner Wahl ging Hartwell jedoch ein großes Risiko ein; denn außer ihm glaubte damals kaum ein Forscher, dass sich Ergebnisse von so simplen Organismen auf Zellen von Mensch und Tier übertragen ließen. Mit seinen Versuchen an der Universität von Washington in Seattle begann deshalb auch erst die äußerst erfolgreiche Karriere von S. cerevisiae als Modellsystem für höhere Zellen.

In einer ganzen Reihe von Experimenten isolierte Hartwell Hefezellen, in denen Gene mutiert waren, die an der Kontrolle des Zellzyklus mitwirken. Auch damit leistete er Pionierarbeit; denn zu jener Zeit war es längst noch nicht üblich, die Vorgänge in Zellen mit genetischen Methoden zu ergründen – ein Ansatz, der heutzutage in unzähligen Laboratorien auf der ganzen Welt verfolgt wird.

Mehr als hundert zyklus-spezifische Erbfaktoren entdeckte der Amerikaner; er nannte sie CDC-Gene (für cell division cycle, Zellteilungszyklus). Eines davon, das mit der Nummer 28, erwies sich als eine Art Bindeglied zwischen dem Zustand im Zellkörper und den Vorgängen im Kern: Es kontrolliert den entscheidenden Schritt von der G1-Phase, in der die Zelle unter Umständen jahrelang bloß ihrer alltäglichen Arbeit nachgeht, hin zur S-Phase, in der sie die DNA verdoppelt. Weil CDC28 gewissermaßen den Startschuss für die spätere Teilung gibt, erhielt es auch den Namen start.

Die Startlinie wird zugleich als Restriktionspunkt des Zellzyklus bezeichnet. Denn die DNA darf nur verdoppelt werden, wenn genügend Nährstoffe vorhanden sind und wenn bei mehrzelligen Organismen ein entsprechendes Signal von außen kommt. Der Restriktionspunkt gehört damit zu den "Check-Points", die Hartwell bei seiner weiteren Arbeit fand. An diesen Kontrollstationen überprüft die Zelle, ob bis jetzt alles glatt verlaufen ist oder sich Fehler eingeschlichen haben. So prüft sie zum Beispiel während der G2-Phase, ob die Chromosomen auch wirklich alle erfolgreich verdoppelt wurden. Erst dann leitet sie die Mitose ein.

Der Brite Paul Nurse entdeckte ein für diesen Check-Point wesentliches Gen, das er cdc2 nannte. Auch er arbei-tete mit Hefepilzen, allerdings mit der Spalthefe Schizosaccharomyces pombe, die mit der Bäckerhefe nur entfernt verwandt ist und sich wie das Gros der Zellen in der Mitte teilt. Wie Nurse Mitte der 1970er Jahre zusammen mit David H. Beach an der Universität von Sussex in Brighton feststellte, war cdc2 mit dem CDC28 der anderen Hefe funktionsgleich. Das gesunde Spalthefe-Gen konnte nämlich bei einer Art Gentherapie die defekte Version des Bäckerhefe-Gens ersetzen. Ein Pendant isolierte Nurse 1987 sogar aus menschlichen Zellen.

Von der Hefe zum Menschen

Damit war klar, dass die Kontrolle des Zellzyklus in allen Nicht-Bakterien – von der Hefe bis hin zum Menschen – nach dem gleichen Schema abläuft. Offenbar hatte sich dieser wichtige Vorgang im Laufe der Evolution seit mehr als einer Milliarde Jahren bis auf wenige Details kaum verändert. Diese Erkenntnis veranlasste andere Wissenschaftler, sich ebenfalls Hefen als Modellorganismen zuzuwenden, was einen gewaltigen Wissensschub mit sich brachte.

Doch wie üben solche Zellzyklus-Gene ihren Einfluss aus? Wie Nurse und andere Forscher herausfanden, tragen sie den Bauplan für Proteine, die mit einer zusätzlichen Phosphatgruppe versehen werden können und ihrerseits andere Eiweißstoffe "phosphorylieren". Die Phosphatgruppe wirkt als eine Art Schalter. Ohne sie kann ein Protein zum Beispiel aktiv sein und veranlassen, dass der Zellzyklus voranschreitet, indem es seinerseits Phosphat an seine Zielproteine hängt. Wird es dagegen selbst phospho-ryliert, erlischt seine Macht. Etwa ein halbes Dutzend solcher Kinasen haben Wissenschaftler bis heute beim Menschen entdeckt.

Die Verantwortung in der Zelle lastet allerdings nicht alleine auf diesen Molekülen. In den frühen 1980er Jahren stieß Timothy Hunt von der Universität Cambridge in England bei sich entwickelnden Seeigeln auf Proteine, deren Konzentration im Laufe des Zellzyklus periodisch schwankt. Sind genug dieser Cycline, wie er sie taufte, vorhanden, verbinden sie sich mit den von Nurse entdeckten Kinasen, die deshalb den Namen CDKs erhielten – für cyclin dependent kinases, cyclin-abhängige Kinasen. Erst dadurch werden die CDKs aktiviert und beginnen, bestimmte Zielproteine zu phosphorylieren. Welche das sind, hängt von dem Cyclin ab, das sich an sie geheftet hat.

Die Cycline aktivieren außerdem ein Enzym, das sie selbst während der Mitose abbaut. Auf diese Weise oszilliert ihre Menge, obwohl die Zelle die verschiedenen Typen von Cyclinen während des gesamten Zyklus herstellt; rund zehn sind den Forschern allein beim Menschen heute bekannt.

Es ist kein Zufall, dass alle drei Preisträger inzwischen seit vielen Jahren an Instituten arbeiten, die sich dem Kampf gegen Krebs verschrieben haben. Hartwell ist Präsident und Direktor des Fred Hutchinson Cancer Research Centers in Seattle, Nurse Generaldirektor des Imperial Cancer Research Fund in London und Hunt Leiter von dessen Cell Cycle Control Laboratory in South Mimms. Offensichtlich hängen Störungen des Zellzyklus ursächlich mit Krebs zusammen. So weiß man heute, dass Gene für CDK-Moleküle und Cycline als Onkogene selbst Krebs auslösen können, wenn etwas schief läuft. In Hirn- und Brusttumoren ist ihre Konzentration erhöht. Andererseits arbeiten sie interessanterweise mit Proteinen zusammen, die tumor-unterdrückend wirken. Dieses komplizierte Netz von Wechselwirkungen und seine Verknüpfungen verstehen Wissenschaftler dank der richtungweisenden Arbeiten der drei Preisträger zunehmend besser.

Aus: Spektrum der Wissenschaft 12 / 2001, Seite 14
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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