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Gedächtnis: Die neuronale Zeitmaschine

Seit Jahrzehnten suchen Neurowissenschaftler nach den physiologischen Grundlagen von Gedächtnisspuren. Jetzt werden sie dank neuer Methoden endlich fündig.
Erinnerungsstücke liegen auf einem Holzuntergrund.

Erinnern Sie sich noch an den letzten Besuch in Ihrem Lieblingsrestaurant? Was hatten Sie zu essen? Mit wem waren Sie dort, und worüber haben Sie sich unterhalten? Das wissen Sie alles noch? Herzlichen Glückwunsch, Ihr episodisches Gedächtnis funktioniert bestens! Es verleiht Ihnen die Fähigkeit, mental durch die Zeit zu reisen und sich sowohl jüngste als auch lange zurückliegende Ereignisse zu vergegenwärtigen. Ohne das episodische Gedächtnis wüssten Sie weder, wer Sie sind, noch könnten Sie sich die Zukunft vorstellen. Doch wie schafft es Ihr Gehirn überhaupt, vergangene Momente Ihres Lebens ins Bewusstsein zurückzuholen?

Laut Psychologen ist das episodische Gedächtnis ein Sammelsurium aus willkürlichen und unwillkürlichen Assoziationen. So verknüpfen wir nach unserem Restaurantbesuch dieses Lokal unbewusst mit unserer ­Begleitperson, deren Gesicht wiederum mit einem ­bestimmten Gesprächsinhalt und so weiter. Schon zu Beginn des 20. Jahrhunderts vermutete der deutsche Biologe Richard Semon, dass solche Assoziationen physisch im Gehirn festgeschrieben sein müssten. Eine "Gedächtnisspur" – auch Engramm genannt – müsse die ganze Zeit über, vom ursprünglichen Ereignis wie dem Restaurantbesuch bis zum erneuten Vergegenwärtigen, erhalten bleiben. Wie wäre sonst ein Erinnern möglich?

Der Neuropsychologe Donald Hebb von der McGill University in Montreal postulierte dann Mitte des 20. Jahrhunderts, dass unser Gehirn für jede Assoziation neue synaptische Verknüpfungen zwischen einzelnen Gehirnzellen bildet. Diese sind aber selbst nur das Ergebnis einer bereits erfolgten Gedächtnisbildung, die viel früher beginnt und einer Reihe anderer neuronaler Schritte bedarf ....

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Gehirn&Geist – Wer entscheidet? Wie das Gehirn unseren freien Willen beeinflusst

Was bedeutet es, ein Bewusstsein zu haben? Haben wir einen freien Willen? Diese Fragen beschäftigt Neurowissenschaft, Philosophie und Theologie gleichermaßen. Der erste Artikel zum Titelthema zeichnet die Entwicklung der neurowissenschaftlichen Forschung nach und zeigt, wie das Gehirn das subjektive Erleben formt. Anschließend geht es im Interview mit dem Neurophilosophen Michael Plauen um die Frage, ob wir frei und selbstbestimmt handeln, oder nur Marionetten unseres Gehirns sind. Die Antwort hat Konsequenzen für unser Selbstbild, die Rechtsprechung und unseren Umgang mit KI. Daneben berichten wir, wie virtuelle Szenarien die traditionelle Psychotherapie erfolgreich ergänzen und vor allem Angststörungen und Posttraumatische Belastungsstörungen lindern können. Ein weiterer Artikel beleuchtet neue Therapieansätze bei Suchterkrankungen, die die Traumata, die viele Suchterkrankte in ihrer Kindheit und Jugend erfahren haben, berücksichtigen. Zudem beschäftigen wir uns mit der Theorienkrise in der Psychologie: Der Risikoforscher Gerd Gigerenzer erklärt, warum die Psychologie dringend wieder lernen muss, ihre Theorien zu präzisieren.

Spektrum der Wissenschaft – Innerer Dialog – Wie Kopf und Körper miteinander kommunizieren

Über ein fein abgestimmtes System aus neuronalen Netzwerken via hormonelle Steuerung bis hin zu zellulären Dialogen stehen Kopf und Körper in ständigem Austausch. Denn wie in jeder funktionierenden Gesellschaft gilt auch hier: Ohne Kommunikation geht nichts. Dieser innere Austausch ist ebenso komplex wie der soziale – und er läuft rund um die Uhr, meist, ohne dass wir ihn bewusst wahrnehmen. Er spielt auch eine entscheidende Rolle für unsere Gesundheit.

Spektrum Kompakt – Gedächtnis

»Es liegt mir auf der Zunge« – dieses Gefühl kennt wohl jeder. Manches bleibt nie im Gedächtnis hängen, anderes über Jahre hinweg. Erinnern und Vergessen sind komplexe Prozesse, die noch nicht vollständig verstanden sind und von digitalen Helfern, aber auch durch Schlaf beeinflusst werden.

  • Quellen

Brewer, J. B. et al.: Making Memories: Brain Activity that Predicts how Well Visual Experience will be Remembered. In: Science 281, S. 1185-1187, 1998

Josselyn, S. A. et al.: Finding the Engram. In: Nature Reviews Neuroscience 16, S. 521-534, 2015

Liu, X. et al.: Optogenetic Stimulation of a Hippocampal Engram Activates Fear Memory Recall. In: Nature 484, S. 381-385, 2012

Pavlides, C., Winson, J.: Influences of Hippocampal Place Cell Firing in the Awake State on the Activity of these Cells during Subsequent Sleep Episodes. In: Journal of Neuroscience 9, S. 2907-2918, 1989

Polyn, S. M., et al.: Category-Specific Cortical Activity Precedes Retrieval during Memory Search. Science 310, S. 1963-1966, 2005

Rasch, B. et al.: Odor Cues during Slow-Wave Sleep Prompt Declarative Memory Consolidation.In: Science 315, S. 1426-1429, 2007

Staresina, B. P. et al.: Episodic Reinstatement in the Medial Temporal Lobe. In: Journal of Neuroscience 32, S. 18150-18156, 2012

Staresina, B. P. et al.: Hierarchical Nesting of Slow Oscillations, Spindles and Ripples in the Human Hippocampus during Sleep. In: Nature Neuroscience 18, S. 1679-1686, 2015

Staresina, B. P. et al.: Hippocampal Pattern Completion is Linked to Gamma Power Increases and Alpha Power Decreases during Recollection. In: eLife 5, e17397, 2016

Tambini, A. et al.: Enhanced Brain Correlations during Rest are Related to Memory for Recent Experiences. In: Neuron 65, S. 280-290, 2010

Tayler, K. K. et al.: Reactivation of Neural Ensembles during the Retrieval of Recent and Remote Memory. In: Current Biology 23, S. 99-106, 2013

Wagner, A. D., et al.: Building Memories: Remembering and Forgetting of Verbal Experiences as Predicted by Brain Activity. In: Science 281, S. 1188-1191, 1998

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