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Editorial: Gefährliche Fälschungen

Redaktionsleiter Dr. Hartwig Hanser

Alle Filme lügen. Alle. Bereits die Schnitte ändern den Verlauf der dar­gestellten Zeit, selbst wenn der Streifen ein Mittendrin-dabei-Gefühl suggeriert. Zudem gaukelt das zweidimensionale Medium Film vor, es könne problemlos die dreidimensionale Wirklichkeit abbilden. Andere Verfälschungen der Wahrheit reichen von der Filmmaske (Verändern der Darsteller durch Schminken oder Prosthetik) über Sound-Effekte (warum klingen Pistolenschüsse immer wie Kanonen?), Gefühlsmanipulation mittels Hintergrundmusik bis hin zur offensichtlichsten Flunkerei, den visuellen Spezialeffekten. Diese sind ­keineswegs eine Erfindung des modernen Blockbusters, sondern entstanden schon kurz nach der Geburtsstunde des Kinos. Ein sehr frühes Beispiel ist Georges Méliès’ »Reise zum Mond« von 1902, in dem der französische Film­pionier ein Feuerwerk der damals verfügbaren Techniken wie Modellbau, ­Doppelbelichtung und Stop-Motion-Animation zündete.

Solchen Tricks sah man noch an, dass es sich um Fälschungen handelt, wobei sich die Technik mechanisch gesteuerter Puppen, so genannter Animatronics, fortlaufend verbesserte und 1993 mit »Jurassic Park« einen Höhepunkt erreichte. Dieser Film, in dem täuschend lebensechte Dinosaurier die Leinwand bevölkerten, markiert zudem den Durchbruch digitaler, also per Computer produzierter Spezialeffekte. Ihre Entwicklung war seit den 1980er Jahren mit wachsender Rechenleistung immer rasanter verlaufen, so dass die Resultate nun ebenfalls äußerst realitätsnah wirkten.

Was ist der nächste Schritt nach der erfolgreichen Kreation nicht existierender Lebewesen? Ganz einfach: das digitale Verändern existierender. Ein Beispiel kam bereits 1994 mit »Forrest Gump« in die Kinos, in Form eines gefälschten Händedrucks zwischen dem Schauspieler Tom Hanks und dem 1963 ermordeten US-Präsidenten J. F. Kennedy. Seitdem hat sich die Technik dramatisch weiterentwickelt, bis hin zum Transfer von Gesichtern längst verstorbener Schauspieler auf Kollegen wie in »Rogue One« (2016), in dem der britische Mime Peter Cushing auf diese Weise digital wiederbelebt wurde.

Leider werden solche Methoden nun aber zunehmend außerhalb der Unterhaltungsindustrie verwendet – um gefälschte Videos realer Personen herzustellen, die dann über soziale Medien wie Facebook verbreitet werden
(siehe den Artikel ab S. 72). Das ermöglicht eine ganz neue Dimension von »Fake News«, untergräbt das Vertrauen in die Medien und erschüttert damit einen zentralen Stützpfeiler unserer demokratischen Gesellschaft. Denn wem kann man noch glauben, wenn man den eigenen Augen nicht mehr trauen darf?

Nachdenklich grüßt Ihr

Hartwig Hanser

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