Direkt zum Inhalt

Gentechnik für die Dritte Welt?


Seit Anfang der achtziger Jahre diskutieren sowohl Entwicklungspolitiker als auch Wissenschaftler breit und sehr kontrovers, was Bio- und Gentechnologie zur Lösung von Problemen der Dritten Welt beitragen könnten. Was hebt dieses neue Buch zum Thema aus der Reihe der bisherigen Veröffentlichungen hervor?

Klaus M. Leisinger, Professor für Entwicklungssoziologie an der Universität Basel und Leiter der Ciba-Geigy-Stiftung für Zusammenarbeit mit Entwicklungsländern, versucht eine interdisziplinäre Auseinandersetzung zu führen. Es geht ihm weniger um technische Einzelheiten, sondern um die Einordnung der Gentechnik in den Kontext der bisherigen Rahmenbedingungen und Politiken zur Überwindung von Hunger, Krankheit und Umweltzerstörung. Von diesen drei Einsatzbereichen kommt der Hungerbekämpfung durch Steigerung der Agrarproduktion besondere Bedeutung zu.

Die Vorteile der Gentechnologie liegen gerade bei der Pflanzenzüchtung auf der Hand: Gene, die gewünschte Eigenschaften vermitteln, werden isoliert und transplantiert, so daß die Entwicklungszeit für eine neue Sorte von 10 bis 15 auf drei Jahre reduziert werden kann. Mit gentechnisch erzeugtem Saatgut, das dem vorgesehenen Standort optimal angepaßt ist, könnte man selbst in Problemregionen wie der Sahelzone quantitativ und qualitativ ausreichend Nahrungsmittel anbauen.

Doch diesem möglichen Nutzen steht bisher eine Reihe von Risiken gegenüber. Leisinger sieht diese nicht in der Technik an sich, sondern vor allem in der „Trägheit und dem unterentwickelten menschlichen Verantwortungsbewußtsein“. Als Hemmnisse einer wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung benennt er die ungünstigen sozialen und politischen Rahmenbedingungen, die den Einsatz ertragssteigernden Saatgutes besonders durch einkommensschwache Kleinbauern verhindern. Leisinger vergißt an dieser Stelle, daß das Ertragspotential solchen Saatguts, das fast ausschließlich von internationalen Konzernen entwickelt wird, nur in Verbindung mit teuren Herbiziden, Dünge- und Schädlingsbekämpfungsmitteln ausgeschöpft werden kann, die in der Regel ebenfalls von diesen oder anderen Konzernen hergestellt werden. Die Anwendung der Gentechnik für die Landwirtschaft ist also weniger einkommensneutral, als es zunächst scheinen mag.

Die Frage nach der Verteilung des Nutzens wird nur am Rande gestellt; da nach Leisingers Quellen nur ein Viertel bis ein Drittel des Innovations-Mehrwerts den Verkäufern zufließt, sollen diese auch in den Genuß des Patentschutzes kommen. Den weitaus größeren Gewinn sieht er bei den Anwendern.

Da dieser Argumentation zufolge nicht die Technik als solche die größten Gefahren in sich birgt und auch (theoretisch) alle Beteiligten angemessen am Nutzen teilhaben können, werden die Risiken des Gentechnik-Einsatzes folgerichtig zu einem Bewertungsproblem: Während Wissenschaftler und Unternehmen wie bisher für den technischen Fortschritt und wirtschaftliches Wachstum einträten, habe sich bei der Bevölkerung der Industrieländer ein „Auseinanderklaffen von objektiven Lebensbedingungen und subjektivem Wohlbefinden“ eingestellt. Der daraus resultierende Wertewandel bringe die Unternehmen, speziell diejenigen, die sich in der Entwicklung von als risikoreich wahrgenommenen Technologien engagieren, in neue Legitimationszwänge. Sie sähen sich häufig Diskussionen ausgesetzt, bei denen „die technische und die philosophische Ebene miteinander vermischt werden“. Andererseits könnten nur Wissenschaft und Wirtschaft auch eine allgemein geforderte nachhaltige Entwicklung herbeiführen.

Einen Ausweg aus der verfahrenen Diskussion zwischen Befürwortern und Gegnern der Gentechnik sieht Leisinger darin, einen möglichst breiten Konsens herzustellen. Er ruft die Unternehmen, die durch ökonomische Verwertungszwänge unter Zeitdruck stehen, dazu auf, von vornherein die Folgenabschätzung in ihre Forschungsarbeit einzubeziehen und sich so einem Dialog zu öffnen. Das grundlegende Problem liegt jedoch nach seiner Auffassung in der Moralisierung der Diskussion, die von denen betrieben wird, die ihre subjektive „Wirklichkeit zweiter Ordnung“ – das heißt ihre Wahrnehmung der Realität – auf die Ebene „wirklicher Wirklichkeit“ transformieren. Diese Ebene aber will Leisinger, trotz relativierender Aussagen an anderer Stelle, den durch wiederholbare Experimente gestützten und daher verifizierbaren Aussagen der empirischen Wissenschaft vorbehalten.

Mit dieser Differenzierung spricht Leisinger nicht nur die reine Wissenschaft wieder vom Makel der Subjektivität frei und erhebt sie auf das Podest der Wertneutralität; er stempelt auch viele Gegner des Gentechnik-Einsatzes und seiner Begleitumstände zu moralisierenden Nörglern ab, denen schon die Möglichkeit unüberschaubarer Wirkungen einer Technologie ausreicht, diese abzulehnen.

Auf den letzten Seiten knüpft der Autor nochmals an die Titelfrage an, die insgesamt positiv beantwortet wird. Aber auch hier treten die Betroffenen, die Menschen in der Dritten Welt, nachdem sie aus der Wertediskussion ohnehin ausgeklammert worden sind, weniger als Subjekte ihrer eigenen Entwicklung auf, sondern als Empfänger dieser oder jener zivilisatorischen Errungenschaft der Industrieländer, in diesem Fall der Gentechnologie. Die Notwendigkeit neuer, in den Industrieländern entwickelter Technologien wird dabei stillschweigend vorausgesetzt.

Vielleicht sollte die Eingangsfrage eher lauten: Braucht die Dritte Welt die Gentechnologie?


Aus: Spektrum der Wissenschaft 1 / 1993, Seite 128
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

Schreiben Sie uns!

Beitrag schreiben

Wir freuen uns über Ihre Beiträge zu unseren Artikeln und wünschen Ihnen viel Spaß beim Gedankenaustausch auf unseren Seiten! Bitte beachten Sie dabei unsere Kommentarrichtlinien.

Tragen Sie bitte nur Relevantes zum Thema des jeweiligen Artikels vor, und wahren Sie einen respektvollen Umgangston. Die Redaktion behält sich vor, Zuschriften nicht zu veröffentlichen und Ihre Kommentare redaktionell zu bearbeiten. Die Zuschriften können daher leider nicht immer sofort veröffentlicht werden. Bitte geben Sie einen Namen an und Ihren Zuschriften stets eine aussagekräftige Überschrift, damit bei Onlinediskussionen andere Teilnehmende sich leichter auf Ihre Beiträge beziehen können. Ausgewählte Zuschriften können ohne separate Rücksprache auch in unseren gedruckten und digitalen Magazinen veröffentlicht werden. Vielen Dank!

Bitte erlauben Sie Javascript, um die volle Funktionalität von Spektrum.de zu erhalten.