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Gentechnik steigert Frosthärte

Wenn im Spätherbst die Temperaturen allmählich absinken, erhöhen Pflanzen nach und nach ihre Kältetoleranz. Durch Veränderung eines Regulator-Gens ließ sich bei der Ackerschmalwand erreichen, daß die Frostverträglichkeit das ganze Jahr über bestehen blieb. Die Pflanzen überlebten dann auch plötzlich auftretende Minustemperaturen.


Kälteeinbrüche zu Beginn des Winters und unerwartete Spätfröste im Frühjahr verursachen an vielen Kulturpflanzen in der Landwirtschaft sowie im Obst- und Gartenbau Jahr für Jahr beträchtlichen Schaden. Die europäischen Bauern erleiden dadurch nicht selten Einkommenseinbußen in einer Gesamthöhe von mehreren Milliarden Mark. Die Methoden der traditionellen Pflanzenzüchtung zur Steigerung der Frostresistenz landwirtschaftlich wichtiger Gewächse scheinen weitgehend ausgereizt; so sind die heutigen Hochleistungssorten von Weizen praktisch nicht winterhärter als die kälteverträglichsten Sorten zu Beginn des Jahrhunderts.

Die schädliche Wirkung von Frost beruht darauf, daß Wasser in der Pflanze gefriert und die entstehenden Eiskristalle die empfindlichen Zellstrukturen unwiederbringlich zerstören. Frostresistente Pflanzen sind in gewissem Ausmaß fähig, die Eisbildung zu verhindern. Dabei gibt es allerdings krasse Unterschiede: Während beispielsweise alle Kartoffelsorten bei weniger als -3 Grad Celsius absterben, können manche Winterweizensorten bis -37 Grad Celsius überleben.



Frostakklimatisation



Schon lange ist bekannt, daß viele Gewächse der gemäßigten Breiten – darunter auch zahlreiche Kulturpflanzen – Frost wesentlich besser vertragen, wenn den Minusgraden eine Periode mit Temperaturen knapp über dem Gefrierpunkt vorausgeht. Worauf beruht diese Akklimatisation? Nach den Ergebnissen neuerer Studien ändert sich die Zusammensetzung der Zellmembranen, die jeweils aus zwei Schichten von Phospholipiden (fettartigen Stoffen) bestehen; im Zell-Inneren nimmt zugleich die Konzentration an Zuckern und organischen Säuren zu, die Aminosäure Prolin häuft sich an, und die Synthese bestimmter wasserlöslicher Proteine wird angekurbelt. Diese Stoffe tragen unter anderem dazu bei, die spontane Bildung von Eiskristallisationskeimen zu unterbinden; dadurch bleibt das Wasser in den Zellen auch bei Minusgraden im Zustand einer unterkühlten Flüssigkeit.

Viele der beobachteten Veränderungen kommen direkt oder indirekt durch die Aktivierung von Frostresistenz-Genen zustande. Die ersten wurden schon vor fast 30 Jahren entdeckt; heute kennt man beim Weizen oder bei der Ackerschmalwand (Arabidopsis thaliana), dem Modellorganismus der Pflanzengenetiker, wenigstens 25.

Für die Aktivierung von Genen sind spezielle Proteine erforderlich, die als Transkriptionsfaktoren bezeichnet werden. Sie müssen sich an die entsprechende DNA binden, damit diese in RNA umgeschrieben (transkribiert) und anhand der RNA-Blaupause dann das Protein synthetisiert werden kann. Im Jahre 1994 entdeckten mehrere Forschergruppen, darunter Michael Tomashow und sein Team an der Staatsuniversität von Michigan in East Lansing, daß während der Akklimatisierung ein einzelner Transkriptionsfaktor alle damals bekannten Frostresistenz-Gene von A. thaliana anschaltet. Nur ein Jahr später wurde das Gen für diesen Faktor gefunden. Dies eröffnete eine unerwartet einfache Möglichkeit, die Kältetoleranz von Pflanzen gentechnisch zu verbessern. Ursprünglich hatte man geglaubt, die vielen Gene für Frostresistenz sämtlich isolieren, einzeln modifizieren und dann wieder stabil in das Erbgut einer Pflanze einbauen zu müssen – ein ziemlich aussichtsloses Vorhaben. Nun brauchte man die ganze Prozedur nur an einem einzigen Regulator-Gen vorzunehmen.

Tomashow und seine Kollegen konnten vor kurzem den erfolgreichen Abschluß dieses Unterfangens bei der Ackerschmalwand vermelden ("Science", Band 280, Seite 104). Sie schufen Arabidopsis-Pflanzen, in denen das Gen für den Transkriptionsfaktor ständig aktiv ist. Folglich werden auch ohne Kältestimulus, also unter normalen Wuchstemperaturen von 22 Grad Celsius, Frostresistenz-Proteine produziert.

Mehrere Tests erwiesen die erhöhte Kältetoleranz dieser Pflanzen. So froren die Wissenschaftler abgeschnittene Blätter ein und ermittelten nach dem Wiederauftauen, inwieweit die Zellen noch den Ausstrom von Ionen zu regulieren vermochten – ein guter Indikator dafür, in welchem Maße die Membranen geschädigt waren. Nicht akklimatisierte transgene Pflanzen schnitten dabei etwa genauso gut ab wie Wildtyp-Exemplare, die zunächst langsam an die Kälte gewöhnt worden waren. Auch Überlebenstests mit vollständigen Pflanzen demonstrierten die erhöhte Frostresistenz der transgenen Varianten: Sie vertrugen das Einfrieren im Mittel deutlich besser als nicht akklimatisierte Wildtyppflanzen (Bild auf Seite 17).

Frost kann Pflanzenzellen allerdings auch auf indirekte Weise schädigen. Wenn die Temperatur unter den Nullpunkt sinkt, bilden sich die ersten Eiskristalle zunächst in den Räumen zwischen den Zellen und in den Zellwänden. Das Wasser dort ist nämlich ziemlich rein, während in der Flüssigkeit im Zell-Inneren (Cytosol) vielerlei Stoffe gelöst sind, die den Gefrierpunkt erniedrigen. Durch die Eisbildung in den Zwischenräumen wird den Zellen selbst Wasser entzogen; dies wiederum kann sehr leicht die Membran schädigen, die innen an der festen Zellwand anliegt.

Jetzt hat der Zellbiologe Fathey Sarhan an der Universität von Quebec in Montreal (Kanada) ein Protein entdeckt, das während der Kälteakklimatisierung im Weizen gebildet wird und vermut-lich dazu dient, die Zellmembranen vor den destabilisierenden Folgen der Entwässerung zu bewahren ("The Plant Cell", Band 10, Seite 623). Es gehört zur Gruppe der sogenannten Dehydrine. Sie werden in Pflanzen auch als Antwort auf andere Belastungssituationen synthetisiert, die zu einer Entwässerung führen – etwa Dürreperioden oder Versalzung des Bodens. Außerdem treten sie bei der Bildung von Ruheknospen und während der Samenreifung auf, die mit einer kontrollierten Austrocknungsphase abgeschlossen wird.

Das von Sarhan beschriebene saure Dehydrin enthält viele polare, geladene Aminosäuren. Es reichert sich an der Innen- und besonders stark an der Außenseite der Zellmembran an. Wegen seiner hydrophilen Natur kann es Wasser zurückhalten oder auch teilweise ersetzen; dabei stabilisiert es die Membran durch elektrostatische Wechselwirkungen zwischen den eigenen polaren Gruppen und den Phospholipid-Bausteinen der Zellhülle. Anderenfalls würden die beiden Lipidschichten sehr nah zusammenrücken, was die innere Architektur der Zellmembran irreversibel zerstören könnte, weil sich etliche ihrer Komponenten ver- oder entmischen.

Bisher wurde noch keine Weizenvariante mit verändertem Dehydrin-Gen erzeugt. Im Prinzip sollte dies jedoch möglich sein. Desgleichen dürfte sich das bei der Ackerschmalwand erprobte Verfahren zum dauerhaften Anschalten von Frostresistenz-Genen auch auf Kulturpflanzen übertragen lassen. So konnte das Team von Sarhan bereits nachweisen, daß beim Weizen ähnlich wie bei A. thaliana ein einzelner Transkriptionsfaktor als entscheidender Aktivator fungiert. Ob andere frostharte Nutzpflanzen über das gleiche Repertoire an Toleranz-Genen verfügen, ist noch nicht geklärt.

Eines steht jedoch fest: Schon eine geringfügige Steigerung der Frostresistenz bei so wichtigen Lieferanten von Nahrungs- und Futtermitteln wie Mais oder Sojabohne könnte große wirtschaftliche Bedeutung haben, indem sie Schutz vor den gefürchteten Früh- und Spätfrösten bietet. Bei Pflanzen ohne jede Frostresistenz – etwa Zitrusfrüchten – wäre mit der Übertragung eines aktivierten Transkriptionsfaktorgens allerdings wohl kaum etwas gewonnen; hier müßte man erst einmal die Erbinformation für die Kältetoleranz selbst einbauen.


Aus: Spektrum der Wissenschaft 10 / 1998, Seite 16
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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