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Interview: Gentechnik und Unkräuter

Wie kann die landwirtschaftliche Produktion gesteigert werden, ohne die Nutzfläche auszuweiten oder durch erhöhten Einsatz von Agrochemikalien einen ökologischen Kollaps zu riskieren? Besteht im gezielten, besonders hinsichtlich der Sicherheit wohlüberlegten Einsatz gentechnisch veränderter Kulturpflanzen eine Chance? Mit dem Biochemiker Klaus Hahlbrock sprach Ilka Renneberg.

Die Züchtung von Nutzpflanzen ist bisher vor allem dadurch geprägt worden, daß die menschliche Ernährung gesichert werden mußte. Nun kommen umweltbezogene Ziele hinzu. Es sollen mehr hochwertige Nahrungsmittel produziert werden, ohne daß die Anbaufläche ausgeweitet würde, und die Umweltbelastung soll gleichzeitig in kurzer Zeit verringert werden. Ist das überhaupt realistisch?



Dieses Ziel ist so realistisch, wie wir es ernst nehmen. Angesichts der dramatischen Zunahme der Weltbevölkerung bleibt uns auch gar keine andere Wahl, wenn viele der gegenwärtig Lebenden nicht hungern und die nachfolgenden Generationen eine sichere Lebensgrundlage vorfinden sollen.

Daß wir in dieser Hinsicht an einem Wendepunkt der Menschheitsgeschichte angelangt sind, mag ein kurzer Rückblick verdeutlichen: Wir haben im zehntausendjährigen Verlauf des Ackerbaus gelernt, immer intensiver mit der landwirtschaftlichen Nutzfläche umzugehen, indem wir unter anderem versucht haben, mit den jeweils zur Verfügung stehenden Mitteln die natürlichen Konkurrenten und Feinde unserer Nutzpflanzen fernzuhalten. Solche Konkurrenten um Lebensraum, Nährstoffe, Wasser und Licht bezeichnen wir als Unkräuter. Zuerst wurden sie nur durch Jäten, Hacken oder Eggen beseitigt. Seit einigen Jahrzehnten werden diese mechanischen Methoden äußerst wirkungsvoll ergänzt durch die chemische Bekämpfung. Die Entwicklung der Herbizide war eine unerläßliche Voraussetzung für die Maschinenernte.



Kam dadurch nicht aber ein Circulus vitiosus in Gang? Durch großflächigen Einsatz solcher Mittel, die Maschinenernte, die vereinheitlichte Fruchtfolge und die nivellierende Düngung breiteten sich immer schwerer bekämpfbare Unkräuter aus.



Genau dieser Teufelskreis verstärkt die ohnehin weltweit zunehmenden Umweltbelastungen; Wasser, Boden und Nahrungsmittel werden durch Pflanzenschutzmittel und durch Überdüngung mit Phosphaten und Stickstoff beeinträchtigt. Die Artenvielfalt verringert sich dramatisch durch die massive direkte oder indirekte Förderung von Kulturpflanzen und Begleitunkräutern, und auch tierische Schädlinge und Krankheitserreger müssen mit chemischen Mitteln bekämpft werden. Dadurch werden viele Arten stark geschädigt, manche sogar ausgerottet.



Wäre die naheliegende Konsequenz dann nicht doch ein ökologischer Landbau – der Verzicht auf synthetische Pflanzenschutzmittel und anorganische Düngung, statt dessen Eindämmung der Unkräuter durch bestimmte Fruchtfolgen und gezielte Nährstoffversorgung?



Das klingt einfach. Den chemischen Pflanzenschutz – also Unkrautvernichtungs- und Schädlingsbekämpfungsmittel – nicht mehr zu nutzen würde aber bedeuten, daß die landwirtschaftliche Produktion außerordentlich stark sänke und wir es dann verantworten müßten, einen wesentlich größeren Teil der jetzt lebenden Weltbevölkerung nicht mehr ernähren zu können. Allerdings wird es in jedem Falle unerläßlich sein, im Sin-ne eines verbesserten Umweltschutzes so weit wie irgend möglich alternative Verfahren in die Erzeugung von Nahrungsmitteln einzubeziehen.



Ist dieses Ziel – Ernährung plus Umweltschutz – eventuell durch den Einsatz von Gentechnik in der Pflanzenzüchtung eher oder überhaupt nur dadurch erreichbar?



Gentechnik kann selbstverständlich die bisherige Pflanzenzüchtung nicht vollständig ersetzen. Aber sie ist als Methode erprobt und deswegen im Prinzip verfügbar, um die Nutzpflanzenzüchtung in ihren bisherigen und neuartigen Zielen nachdrücklich zu unterstützen. Wir können zahlreiche Züchtungsziele mit Hilfe der Gentechnik jetzt schon – und sicherlich in naher Zukunft in noch stärkerem Umfang – wesentlich rascher und effizienter erreichen.



Können Sie das an einem Beispiel er-klären?



Besser noch ein weitergehender Vergleich zur Verdeutlichung: Für die Züchtung einer einzigen modernen Kartoffel- oder Getreidesorte braucht man etwa fünfzehn Jahre (Bild 2); in einem solchen Zeitraum ist die Menschheit zuletzt um ein Fünftel gewachsen – also um etwa eine Milliarde! Mit gentechnischen Methoden kann es gelingen, in wesentlich kürzerer Zeit eine neue Sorte zu schaffen, weil anstelle einer völligen Vermischung aller Gene der beiden Kreuzungspartner nur ein oder wenige Gene auf eine leistungsfähige Sorte übertragen werden. Damit entfällt weitgehend das bisher erforderliche zeit- und flächenaufwendige Rückkreuzungsprogramm, mit dem die ursprünglichen Eigenschaften der Hochleistungssorte wiedergewonnen werden müssen.



Das sind die Vorteile. In der öffentlichen, vielfach auch von Ängsten geprägten Diskussion sind aber vor allem Nachteile und Gefahren.



Die Gentechnik hat bisher – im Gegensatz zu einer weit verbreiteten Ansicht in der Bevölkerung – keine durch sie selbst erzeugten Schäden oder gravierenden Nachteile erkennen lassen. Leider wurde aber versäumt, die Öffentlichkeit hinreichend über wichtige Ergebnisse der bisherigen Forschungsarbeit aufzuklären und sie aufgrund objektiver Informationen rechtzeitig an grundsätzlichen Entscheidungen zu beteiligen. Vielen ist nicht einmal bekannt, daß die Gentechnik gegenüber anderen Techniken eine ungewöhnliche Vorsichtsmaßnahme aufzuweisen hat: Die noch junge Wissenschaft hatte sich bereits 1975 aus eigener Initiative Regeln für die Begrenzung der Forschung auferlegt, die international verbindlich waren und auch eingehalten worden sind. Weil man mögliche Gefahren aus Mangel an Erfahrung anfangs nicht ausschließen konnte, waren diese Regeln zunächst sehr streng gefaßt, wurden aber im Laufe der Zeit gelockert, als man erkannte, daß für die meisten gentechnischen Arbeiten weniger restriktive Maßnahmen ausreichten.



Die ehemals vielgepriesene Grüne Revolution, die mit neuen Hochertragssorten etwa von 1955 an spektakuläre Steigerungen der Getreideernten ermöglichte, scheint zumindest den Armen dieser Welt kaum etwas gebracht zu haben, denn die neuen Superpflanzen brauchten ja mehr Pflege, mehr Dünger und mehr Pestizide. Kommt nun auch eine „grüne“ Gentechnik vor allem den multinationalen Konzernen zugute?



Neue Pflanzensorten, sofern sie mit neuen züchterischen Mitteln – also mit Hilfe der Gentechnik – gewonnen werden, brauchen deswegen nicht notwendigerweise mehr Pflege, mehr Dünger, mehr Pestizide. Ein wichtiges Ziel der neuen Züchtungen sind gerade solche Pflanzensorten, die einen geringeren Aufwand an Agrochemikalien benötigen, beispielsweise insekten- oder herbizidresistent sind (Bild 3).

Zur Frage des Nutzens für Unternehmen hier nur eine sehr kurze grundsätzliche Antwort: Multinationale Konzerne sind das Ergebnis unseres inzwischen weltweit praktizierten Wirtschaftssystems. Auch eine so vielfältig anwendbare neue Technik wie die Gentechnik würde wohl kaum unter Ausschluß solcher großen Konzerne genutzt werden können. Sie sind ein oft beschworenes Schreckbild, aber immerhin die Arbeitgeber eines großen Teils unserer Bevölkerung. Wir können sie nicht ohne Schaden von neuen Entwicklungen ausschließen, solange wir nicht das jetzige System durch ein besseres ersetzt haben.



Wird nicht durch gentechnisch erzeugte herbizidresistente Pflanzen letztlich der Verbrauch von Herbiziden erhöht statt reduziert? Der Landwirt kauft das Saatgut für die resistente Pflanze sozusagen im Paket mit dem passenden Mittel und setzt es zwangsläufig ein, um die Unkräuter total zu vernichten.



Ob sich der Verbrauch erhöht, wird davon abhängen, welche neuen Wege wir bei der Herbizid-Nutzung mit Hilfe der Gentechnik gehen. Ich bin in dieser Hinsicht im Gegensatz zur derzeit weit verbreiteten Meinung recht optimistisch. Man verwendet gegenwärtig selektiv wirkende Herbizide, die man empirisch gefunden hat als Substanzen, die Ackerunkräuter stärker schädigen als die jeweilige landwirtschaftliche Nutzpflanze, derentwegen man sie anwendet. Die meisten Herbizide sind aufgrund dieser selektiven Wirkung entwickelt worden. Verträglicher für die Umwelt wären einige der heute verfügbaren sogenannten Totalherbizide. Sie können allerdings wegen ihrer wahllosen Wirksamkeit, nämlich auch der Schädigung von Nutzpflanzen, so nicht eingesetzt werden. Totalherbizide verwendet man bisher im wesentlichen an Bahndämmen oder in anderen Bereichen, wo man sämtlichen Pflanzenbewuchs beseitigen möchte.



Totalherbizide als weniger umweltschädliche Chemikalien – das bedarf aber noch der Erläuterung.



Trotz des abschreckenden Namens sind einige Totalherbizide ökologisch besser verträglich als die heute verwendeten selektiv wirkenden Unkrautvernichtungsmittel. Einige von ihnen sind beispielsweise schneller abbaubar. Soweit es gentechnisch gelingt, eine Nahrungspflanze gegen ein solches Herbizid resistent zu machen, kann man es auch in der Landwirtschaft nutzen. Dadurch, daß eine derartige Pflanze besonders drastische Resistenzunterschiede zu allen Konkurrenzpflanzen – also den Unkräutern – aufweist, kann man in günstigen Fällen nun mit einer geringeren Menge eines leichter abbaubaren Totalherbizids auskommen. Theoretisch wird man selbstverständlich auch Herbizide für diese Entwicklung nutzen können, die nicht umweltverträglicher sind; das muß jedoch durch strikte Auflagen verhindert werden.



Haben wir nicht eine weitere Artenverarmung zu gewärtigen, wenn die sogenannte chemische Sense Unkräuter total bekämpfen kann?



Ein wesentliches Ziel der Gentechnik ist, zu einem verbesserten Artenschutz in der Landwirtschaft beizutragen. Unkräuter sollen – bei möglichst geringer Belastung des Ökosystems insgesamt – nur noch auf dem Acker selbst bekämpft werden und nicht mehr indirekt anderswo mitbetroffen sein. Schon jetzt, bevor die Gentechnik in der mitteleuropäischen Landwirtschaft angewendet wird, werden erste Schritte unternommen, um die Artenvielfalt wieder zu erhöhen. Man pflanzt vielerorts Hecken an, wo sie einstmals beseitigt worden sind; und es wird darauf hingewirkt, Randstreifen von Herbiziden und Düngemitteln freizuhalten, um hier die natürlichen Arten in ihrer Vielfalt soweit möglich neuerlich anzusiedeln. Das ist eine Tendenz, die wir unabhängig davon, ob Gentechnik angewendet wird oder nicht, in jedem Falle weiter stärken müssen.



Wie können freilebende Arten, wie es auch Unkräuter zum Teil sind, vor einer unbeabsichtigten Übertragung der gentechnisch veränderten Eigenschaften von Versuchspflanzen geschützt werden?



Inwieweit Gene unserer landwirtschaftlichen Nutzpflanzen auf freilebende Arten übertragen werden, ist nicht klar zu beantworten. Das gilt unabhängig davon, ob eine Pflanze gentechnisch verändert oder mit konventionellen Mitteln gezüchtet worden ist. Seit längerer Zeit verwendet unsere Landwirtschaft hochgezüchtete Sorten, deren genetische Konstitution durch die Züchtung in einer ganz bestimmten Richtung – nämlich auf Quantität und Qualität von Nahrungsmitteln hin – ins Extrem getrieben worden ist. Die meisten von ihnen sind von den freilebenden Wildformen genetisch ziemlich weit entfernt. Ob sie sich noch mit diesen kreuzen, muß für jeden Einzelfall geprüft werden. Das gilt genauso für gentechnisch veränderte Pflanzen. Sicher scheint allerdings, daß freilebende Wildformen durch die extreme Nutzpflanzenzüchtung auch bisher nicht durch Genübertragung – sofern sie überhaupt stattfindet – in irgendeiner besorgniserregenden Form geschädigt wurden. Aufgrund entsprechender Versuche, vorsichtig und stufenweise durchgeführt, werden wir diese Frage in der Zukunft durch wissenschaftliche Ergebnisse noch zuverlässiger beantworten können.



Wie könnte überhaupt eine ungewollte Genübertragung zwischen Unkraut und Kulturpflanze stattfinden – durch Pollen auf Artverwandte, beispielsweise die Urformen unserer Getreide, oder etwa auch durch irgendwelche saugenden Insekten auf artfremde Arten?



Wir haben keine Hinweise – außer bei bestimmten Mikroorganismen – für Genübertragung oder Genaustausch zwischen nicht sehr nahe verwandten Arten. Falls mit neuen, erst jetzt verfügbaren und sehr empfindlichen Methoden dennoch eine ungewollte Genübertragung, etwa von einer Kulturpflanze auf ein Unkraut, nachgewiesen würde, so müßte es sich doch höchstwahrscheinlich um einen Mechanismus handeln, mit dem auch jedes natürlich vorkommende Gen übertragen werden könnte, und das wiederum hätte bisher keinen erkennbaren Schaden angerichtet. Da wir aber die Übertragung einzelner Gene bei höheren Pflanzen nicht kennen und die Vermischung aller Gene durch artfremde Kreuzung durch sogenannte Bastardierungssperren verhindert wird, können wir auch keinen dafür verantwortlichen Mechanismus angeben.



Kann beispielsweise Herbizidresistenz oder die Fähigkeit zur Fixierung von Stickstoff aus der Luft unkontrolliert auf Unkräuter übertragen werden, wobei die Unkräuter dann wiederum mit erheblichen Schäden für die Umwelt bekämpft werden müssen oder andere Arten verdrängen?



Im Prinzip gilt auch hier das soeben Gesagte. Die Stickstoff-Fixierung kommt trotz der langen Evolution unserer natürlichen Arten nur bei Hülsenfrüchtlern (Leguminosen) durch ihre Symbiose mit den Knöllchenbakterien vor. Alle Nicht-Leguminosen, also auch die meisten und wichtigsten unserer Nutzpflanzen, haben keine eigene genetische Ausstattung dafür, sich den Luftstickstoff zunutze zu machen; sie müssen ihn in Form wasserlöslicher Nitrate und Ammoniumverbindungen aus dem Boden aufnehmen. Eine Übertragung der Stickstoff-Fixierung von Leguminosen auf andere Pflanzen hat offenbar in der Natur nicht stattgefunden.

Ob dies mit Hilfe der Gentechnik eines Tages dennoch möglich sein wird, wissen wir nicht. Wenn das der Fall sein sollte, dann aller Vermutung nach nur durch die gleichzeitige Übertragung einer größeren Anzahl von Genen. Die Wahrscheinlichkeit, daß diese Kombination von Genen dann auf frei lebende Arten übertragen wird, ist bei hochgezüchteten Sorten wiederum äußerst gering – aber wir werden dies selbstverständlich prüfen müssen.

Die Stickstoff-Fixierung durch Gentechnik in Nicht-Leguminosen zu erreichen ist sicherlich ein verfolgenswertes Ziel, denn der Stickstoffdünger ist, allein schon wegen des hohen Energieverbrauchs bei der Herstellung und weil er zudem leicht ausgewaschen wird, eine unserer großen Umweltbelastungen durch die Landwirtschaft. Herbizide sind eine mindestens ebenso große Umweltbelastung, weswegen ich bereits für ihren schonenden Einsatz mit Hilfe der Gentechnik plädiert habe.



Herbizidresistenz ist bereits gentechnisch auf Nutzpflanzen übertragen worden. In der biologischen Evolution konnte jedoch nicht getestet werden, ob sie übertragbar ist.



Die Natur konnte zumindest Herbizidresistenz in einer landwirtschaftlich gegen Unkräuter nutzbaren Form nicht entwickeln, weil es keine natürlichen Herbizide gab; mithin waren die Pflanzen auch keinem entsprechenden Selektionsdruck ausgesetzt. Heute kann man eine derartige Resistenz gentechnisch in unsere Nutzpflanzen einbringen; ihre Übertragbarkeit auf Wildformen, mit denen diese gezüchteten Nahrungspflanzen kreuzbar sind, muß man testen. Dies ist wiederum ein Grund dafür, stufenweise und unter adäquaten Vorsichtsmaßregeln vorzugehen.

Zunächst haben die Gentechniker für diese Versuche bevorzugt solche Pflanzen ausgewählt, die im Anbaugebiet keine natürlichen nahen Verwandten haben. Hier in Deutschland gibt es beispielsweise zwar noch keine gentechnisch herbizidresistent gemachten Kartoffeln; aber aus den genannten Gründen wäre die Kartoffel für die mitteleuro–päische Landwirtschaft eine attraktive Nutzpflanze für die gentechnische Vermittlung von Herbizid- oder verschiedenen Krankheitsresistenzen.

Das Bundesgesundheitsamt stimmte unlängst zwei Anträgen auf Freisetzung zu. Einer davon bezieht sich auf eine Zuckerrübensorte, die gegen die sogenannte Schwarzfüßigkeit resistent gemacht wurde; dem Erreger konnte man mit konventionellen Züchtungsmethoden nicht beikommen. Der zweite betrifft eine Kartoffelsorte mit veränderter Stärkeproduktion – sie speichert fast ausschließlich Amylopektin, das sonst immer zusammen mit Amylose erzeugt wird, aber als nachwachsender Rohstoff etwa für die Papier- und Zellstoffindustrie besser geeignet ist als gewöhnliche Kartoffelstärke (Spektrum der Wissenschaft, Mai 1993, Seite 110).

In allen vergleichbaren Wissenschafts- und Industrienationen ist die Gentechnik-Gesetzgebung weniger strikt als in Deutschland, und zwar, wie ich meine, zu Recht. In mehreren Ländern haben bereits einige hundert Freilandversuche mit transgenen Pflanzen stattgefunden, wohingegen es in der Bundesrepublik mit den beiden gerade ausgesprochenen Genehmigungen möglicherweise demnächst gerade vier sein werden.



Können aber nicht mit Hilfe der Gentechnik Organismen hergestellt werden, vielleicht unabsichtlich, die durch ihre überragende Vitalität die Artenvielfalt neu bedrohen, sozusagen Superunkräuter werden?



Jede Pflanze kann ihre Vitalität nur in Relation zu den übrigen Komponenten ihrer Biosphäre ausprägen. Eine supervitale Pflanze oder auch ein sonstwie gearteter supervitaler Organismus ist deswegen nicht denkbar, weil im Gesamtgefüge jede Art ihre besondere Nische ausfüllt. Es gibt keinen Organismus, der gleichzeitig Raubtier und wehrloses Wesen wäre, und keine Pflanze, die sowohl hochgradig kälteresistent ist, beispielsweise sibirische Klima- und Bodenverhältnisse aushält, als auch unter tropischen Bedingungen gleichermaßen gedeihen könnte.

Die genetischen Ausstattungen der Pflanzenarten sind zwar einander erstaunlich ähnlich; aber die Regulation ihrer Entwicklung und ihres Stoffwechsels sowie die Befähigung, sich auf bestimmte klimatische und andere Bedingungen einzustellen, sind jeweils durch die Kombination der einzelnen Genaktivitäten artspezifisch verschieden. Somit ist es undenkbar, eine bestimmte Pflanze züchterisch in jeder Hinsicht optimal zu verändern.

Wohl gibt es sogenannte Kosmopoliten, die unter vielen verschiedenen Bedingungen weltweit wachsen können – wie zum Beispiel der Löwenzahn (Gattungen Taraxacum mit rund 100 und Le-ontodon mit rund 60 Arten). Aber auch Löwenzahn, der ungewöhnlich viele Klimata und sonstige Lebensbedingungen aushält, kann die Welt nicht usurpieren, denn er ist Bestandteil eines außerordentlich diffizilen ökologischen Gleichgewichts, das aus sehr vielen Arten gemeinsam besteht.

Das gilt für alle Arten, ganz besonders auch für die von uns gezüchteten Kultursorten, die besonders hohe Ansprüche an menschliche Pflege stellen. Daran wird auch die Gentechnik nichts grundsätzlich ändern können.

Dennoch mit umgekehrter Zielrichtung gefragt: Haben nicht Unkräuter – also ursprünglich Wildpflanzen, die zehn Jahrtausende menschlicher Vernichtungsversuche überstanden – Eigenschaften, die unseren Kulturpflanzen äußerst förderlich wären und ihnen gentechnisch übertragen werden könnten?



Das ist tatsächlich ein Potential von nicht einmal näherungsweise abschätzbarem Wert. Damit meine ich nicht nur die seit einiger Zeit mittels konventionel-lerKreuzungszüchtung übertragenen Resistenzgene, deren Nutzungspotential durch die Gentechnik möglicherweise noch erheblich erhöht wird; ich meine auch die unabsehbare Vielfalt medizinisch und anderweitig nutzbarer Inhaltsstoffe, von denen sicherlich erst ein klei-ner Teil bekannt ist. All dies sind –außer der ökologisch notwendigen Artenvielfalt – weitere wichtige Gründe für einen nachhaltig verbesserten Artenschutz; er ist besonders dringlich für die tropischen Regenwälder, aber nicht nur dort.

Es bleibt jedoch ein prinzipieller Widerspruch zwischen Konservierung und Innovation. Wird nicht gerade durch neugezüchtete Arten das ökologische Gleichgewicht verschoben?



Auch die mit konventionellen Methoden gezüchteten Pflanzen sind Produkte einer Evolution unter dem Einfluß des Menschen. Ohne ihn hätten sie sich so nicht entwickeln können. Wenn der Mensch durch Gentechnik jetzt noch zusätzliche Möglichkeiten hat, in die pflanzliche Evolution einzugreifen, wird es ihm – wie gesagt – gleichwohl gar nicht möglich sein, einen supervitalen Organismus herzustellen, der alle anderen beseitigt und damit das Gleichgewicht zerstört. Um so mehr bin ich aber auch der Meinung, daß die Gentechnik in der Pflanzenzüchtung auf die in der Regel ohnehin hochgezüchteten, außerhalb der menschlichen Pflege wenig konkurrenzfähigen Nutzpflanzen beschränkt bleiben sollte.



Wird Ihrer Ansicht nach eine ausreichende begleitende und vorausschauende Sicherheitsforschung betrieben?



Sicherheitsforschung ist kein einfacher Begriff. Man muß sich fragen, welche Art von Sicherheit man genau kennen möchte, um sie zu gewährleisten. Beispielsweise wollen wir sicher sein, daß gentechnisch in Kultursorten eingebrachte Eigenschaften nicht auf natürliche Arten übertragen werden. Wir können dies aber erst untersuchen, wenn wir über transgene Pflanzen verfügen und die Ausbreitung eines entsprechenden Gens in eine Wildform zu prüfen vermögen. Für die Diskussion dieses Komplexes ist es nützlich, sich über den Stand der Wissenschaft im klaren zu sein. Die Gentechnik basiert ja auf neuen Entwicklungen in der Molekularbiologie, und die wiederum hat es möglich gemacht, auch diagnostisch ganz anders vorzugehen als bisher.

Erst jetzt können wir das Vorhandensein einzelner Gene – gleich ob in Kultur- oder Wildformen – mit molekularbiologischen Methoden genau verfolgen und insofern klare Antworten bekommen. Wieviel Sicherheitsforschung notwendig beziehungsweise ausreichend ist, wird also erst aus den neuen Erfahrungen ersichtlich sein.



Viele Viren bauen ihr Erbmaterial in das Genom der Wirtszelle ein. Wird die – wenn auch vage – Möglichkeit der Übertragung von Genen zwischen nichtverwandten Arten hochentwickelter Organismen mit berücksichtigt?



Ein Aspekt der Sicherheitsforschung besteht darin, daß man den sogenannten horizontalen Transfer von Genen – das heißt zum Beispiel die Übertragung von einer landwirtschaftlichen Nutzpflanze auch auf sehr weit entfernte Arten, von Unkräutern bis hin zu Mikroorganismen im Boden – ebenfalls untersucht. Ob eine derartige Genübertragung in der Natur überhaupt vorkommt und wieweit sie auch hier von Belang für die Entwicklung der Gentechnik ist, muß erforscht werden und spielt im Rahmen einer sinnvollen Sicherheitsforschung ebenfalls eine wichtige Rolle.



Sie plädieren für ein strikt festgelegtes Vorgehen bei der Freisetzung transgener Pflanzen?



In allen Fällen, in denen wir Grund zur Vorsicht haben, also auch bei gentechnisch veränderten landwirtschaftlichen Nutzpflanzen, deren natürliche Wildformen in ihrer Umgebung vorkommen, bei denen also Kreuzungsmöglichkeiten existieren oder zumindest vermutet werden müssen, ist stufenweises Vorgehen geboten: Wir sollten die gentechnisch veränderten Pflanzen zunächst aus dem Labor ins Gewächshaus, dann in kontrollierte und von Wildformen der entsprechenden Art ausreichend entfernte Versuchsfelder bringen. In anderen Fällen wie bei der in Deutschland sehr bekannt gewordenen transgenen Petunie – bei der es allerdings nicht um landwirtschaftliche Nutzpflanzenzüchtung, sondern um eine rein wissenschaftliche Fragestellung geht – wird man bei ausreichender Erfahrung voraussichtlich weniger strikt verfahren können. Der Versuch mit Petunien im Freiland wurde auch deshalb genehmigt, weil es bei uns keine freilebenden Petunien-Arten gibt, die sich mit den gentechnisch veränderten kreuzen könnten.



Sie haben in Ihrem Buch „Kann unsere Erde die Menschen noch ernähren?“ eine Prioritätenliste für die Anwendung oder auch Nichtanwendung der Gentechnik aufgestellt. Wozu diese Liste, und was besagt sie?



Unabhängig von unserer persönlichen Einstellung müssen wir um des Überlebens der Menschheit willen eine bestimmte Rangfolge unseres Handelns einhalten. Wir sind als menschliche Lebewesen und damit als Bestandteile des Gesamtökosystems Erde abhängig von einer lebensfähigen Biosphäre. Sie zu zerstören würde bedeuten, daß wir unsere eigene Lebensgrundlage und damit die Menschheit als solche vernichten. Also muß höchste Priorität haben, eine lebensfähige Biosphäre zu erhalten – um ihrer selbst und um künftiger Generationen unserer Art willen – einschließlich der erforderlichen Qualität von Wasser, Boden und Luft sowie ausreichend gesunden Siedlungsraums für den Menschen. Gleich darauf kommt unser unausweichliches Grundbedürfnis, uns selbst am Leben zu erhalten, das heißt uns zu ernähren, sowohl was die Menge der produzierten Nahrungsmittel betrifft wie auch deren Qualität. Danach folgt unsere Gesundheit, durch Vorsorge ebenso wie durch Heilung. Die weitere Rangfolge ist schon eher eine Frage individueller Wertung. Nach meiner Auffassung folgt die Achtung der Menschenwürde als nächste Priorität. Ich fasse darunter auch, daß bislang fast nie gezielte Menschenzüchtung betrieben worden ist, obwohl es mit traditionellen Methoden schon seit Jahrtausenden möglich gewesen wäre. Selbstverständlich sollen wir auch mit Hilfe der Gentechnik keine Menschenzüchtung betreiben. Mit Ausnahme der Beseitigung von Erbkrankhei-ten wird ein entsprechendes Verbot weltweit durch Gesetz sichergestellt werden müssen. Eine letzte Priorität, die ich ebenfalls so hoch ansiedle, daß ich sie in diese Reihe aufgenommen habe, ist der Artenschutz, soweit er nicht ohnehin automatisch unter die Erhaltung einer lebensfähigen Biosphäre fällt: Eine lebensfähige Biosphäre erfordert eine große Vielfalt von Lebewesen und eine ausreichende Anzahl von Individuen jeder Art, die ihr Überleben sichern.



Was würde die konsequente Umsetzung Ihrer Prioritätenliste für die Anwendung der Gentechnik in der Pflanzenzüchtung bedeuten?



Gentechnik sollte nur dann zur Züchtung von Nahrungspflanzen angewendet werden, wenn auf diese Weise der Schutz der Biosphäre oder eine ausreichende menschliche Ernährung oder beides besser erreicht wird als mit anderen verfügbaren und vertretbaren Mitteln. Dabei muß der Schutz von Wildformen, also auch Unkräutern, vor genetischer Veränderung – auch unabhängig von der Erhaltung einer lebensfähigen Biosphäre – so weit beachtet werden, wie die soeben postulierten übergeordneten Ziele das zulassen.

Wenn das eben genannte Prinzip für die gesamte Gentechnik gelten soll: Sind denn Ihrer Ansicht nach alle Züchtungsziele in Pflanzen- und Tierzucht wirklich klar definiert?



Wir haben bislang tatsächlich unsere Züchtungsziele, vor allem bei Tieren, nicht klar genug gefaßt. Die neue Möglichkeit der Gentechnik hat uns vor Augen geführt, daß wir die bishe-rige Züchtung, von landwirtschaftlichen Nutztieren, aber auch von Haustieren wie dem Hund, neu überdenken müssen: Sowohl die Ziele als auch die Grenzen müssen neu definiert werden.

Dann sollten wir uns fragen, wie die neuen Ziele erreichbar sind. Bietet die Gentechnik in der Nutzpflanzenzüchtung einen Vorteil gegenüber anderen Methoden, sollten wir sie mit einbeziehen – aber erst dann. Die Gentechnik für Ziele einzusetzen, die nicht unter diese Prioritäten fallen, erachte ich folglich auch nicht als erstrebenswert. Beispielsweise bekenne ich mich persönlich dazu, daß wir Gentechnik für Zierpflanzenzüchtung nicht brauchen und daß wir ihre Anwendung bei der Tierzüchtung besonders gründlich überdenken sollten.

Ich bin fest davon überzeugt, daß – verantwortungsbewußt gehandhabt und durch vernünftige Gesetze kontrolliert – die segensreichen Entwicklungen der „grünen“ Gentechnik wegen der drängenden Probleme, mit denen die Welt konfrontiert ist, ihren Weg finden werden. Allerdings kann Gentechnik die Probleme nicht allein lösen. Schon gar nicht darf sie mißbraucht werden, um durch erhöhte Nahrungsmittelproduktion die gleichzeitig und ebenso dringend notwendige Beendigung des Bevölkerungswachstums zu umgehen. Denn dann sähe ich in der Tat schwarz, und wir brauchten uns über die Unkräuter, unsere neuen und wichtigen Symbole und Indikatoren für einen wirkungsvollen Arten- und Umweltschutz, überhaupt keine Gedanken mehr zu machen.


Aus: Spektrum der Wissenschaft 7 / 1993, Seite 96
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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