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Genug Nahrung für zehn Milliarden Menschen?

Einigen Experten zufolge werden Mitte nächsten Jahrhunderts in den Entwicklungsländern 8,7 Milliarden Menschen leben, aber die meisten nicht mehr genug zu essen haben. Andere sehen jedoch durchaus Möglichkeiten, die Ernährung zu sichern.

Demographische Prognosen besagen, daß sich in den kommenden 50 Jahren die Weltbevölkerung noch einmal verdoppeln wird – von 5,3 Milliarden im Jahre 1990 auf mehr als 10 Milliarden im Jahre 2050. Wie wird die Umwelt, wie die Menschheit selbst auf diese beispiellose Vermehrung reagieren? Die Meinungen der Experten divergieren erheblich.

Auf der einen Seite stehen Umweltschützer und Ökologen. Ihrer pessimistischen Ansicht nach – und sie wird von den Medien weit verbreitet – bahnt sich die Katastrophe schon an. Um die künftigen Massen zu ernähren, so argumentieren sie, müßten eben jene Anbaumethoden intensiviert werden, die bereits jetzt schwere ökologische Schäden verursachen. Die natürlichen Ressourcen und Lebensgrundlagen, ohnehin durch das bisherige Bevölkerungswachstum angegriffen, würden diese zusätzliche Bürde einfach nicht verkraften.

Die Optimisten, darunter zahlreiche Wirtschafts- und einige Agrarwissenschaftler, versichern hingegen, die Erde könne problemlos mehr als die für das Jahr 2050 geschätzte Zahl von Menschen ernähren. Innovative Technologien und die weitere Investition von menschlichem Kapital würden vielen sogar einen hohen Lebensstandard bescheren – selbst wenn die Weltbevölkerung noch über die prognostizierten 10 Milliarden hinauswüchse.

Wie dürfte sich die Zukunft unserer Spezies und unserer Umwelt tatsächlich gestalten?


Negative Prognosen

Viele Umweltschützer befürchten, die Entwicklung der weltweiten Nahrungsproduktion sei bereits an einem prekären Punkt angelangt. In ihrem 1990 erschienenen Buch "The Population Explosion" schrieben Paul R. und Anne H. Ehrlich von der Universität Stanford (Kalifornien): "Mit unserer schieren Zahl steuern wir geradewegs auf die Hungerkatastrophe zu... Wenn es der Menschheit nicht zu handeln gelingt, wird die Natur die Bevölkerungsexplosion auf uns höchst unangenehme Weise beenden, noch bevor die 10 Milliarden erreicht sind." Langfristig, so meinen die Ehrlichs und ähnlich denkende Wissenschaftler, sei eine bedeutende Steigerung der Nahrungsmittelversorgung völlig unmöglich. Lester R. Brown, Präsident des Worldwatch-Instituts in der US-Bundeshauptstadt Washington, schrieb in einem Aufsatz aus dem Jahre 1988: "Wir ernähren uns auf Kosten unserer Kinder. Überbeanspruchen und überlasten können Bauern den Boden nur kurzfristig (sonst wäre es per Definition kein Übermaß). Für viele von ihnen nähert sich diese Galgenfrist ihrem Ende."

In den vergangenen drei Jahrzehnten, so betonen diese Autoren, habe man außerordentliche Anstrengungen unternommen und enorme Ressourcen mobilisiert, um die landwirtschaftlichen Erträge zu steigern. Tatsächlich erhöhten sich die Gesamterntemengen in dieser Zeit dramatisch. So stieg in dem Vierteljahrhundert von 1965 bis 1990 in den Entwicklungsländern die Nahrungsmittelproduktion um durchschnittlich 117 Prozent (Bild 3 oben). Der asiatische Raum schnitt dabei weitaus besser ab als andere Regionen, die unterdurchschnittliche Zuwächse verzeichneten.

Da jedoch die Bevölkerung ebenfalls schnell zunahm, hat sich die Pro-Kopf-Quote allgemein nur wenig geändert; in Afrika ist sie sogar gesunken. Infolgedessen steigt in den meisten Teilen der Dritten Welt die Zahl der Unterernährten noch immer, obwohl sie in den achtziger Jahren allgemein von 844 auf 786 Millionen gesunken ist (Bild 2 links). Denn dieser Rückgang ist ausschließlich auf die verbesserte Ernährungslage in Asien zurückzuführen; in derselben Zeitspan-ne wuchs in Lateinamerika, im Nahen Osten und in Afrika die Zahl der Menschen, die nicht ausreichend ernährt sind.

Zahlreiche soziale Faktoren können Hungerbedingungen schaffen, doch hat nach Ansicht der Pessimisten der Bevölkerungsdruck auf empfindliche Ökosysteme herausragende Bedeutung. Besondere Sorge bereitet der Umstand, daß kultivierbares Land knapp zu werden scheint. Das hieße, man hätte eine Möglichkeit weniger, die Pro-Kopf-Produktion von Nahrungsmitteln zu steigern.

Zwischen 1850 und 1950 sind zwar die Anbauflächen – der wachsenden Bevölkerung, aber auch der steigenden Nachfrage nach besserer Kost wegen – durch Urbarmachen von Wald und Brachen rasant vergrößert worden. Diese Ausweitung verlangsamte sich jedoch weltweit und kam Ende der achtziger Jahre zum Stillstand. Seitdem ist in den Industrienationen und in einigen der weniger entwickelten Länder (insbesondere China) sogar ein Rückgang zu verzeichnen. Dies liegt weitgehend daran, daß die städtischen Zentren sich über fruchtbares Land ausgebreitet haben und daß Äcker aufgegeben wurden, wenn der Boden ausgelaugt oder durch Bewässerung versalzt war.

Umweltschützer betonen ferner, daß ein Großteil des verbliebenen fruchtbaren Landes durch Erosion gefährdet ist oder schon vernichtet wird. Das Ausmaß dieser Zerstörungen ist allerdings umstritten.

Eine kürzlich durchgeführte globale Erfassung und Bewertung, die vom Umweltprogramm der Vereinten Nationen gefördert und unter anderem vom World Resources Institute in Washington vorgenommen wurde, gibt wohl verläßliche Anhaltspunkte. Diese Studie kommt zu dem Schluß, daß 17 Prozent der pflanzenbestandenen Fläche unserer Erde in den letzten 45 Jahren an Wert verloren haben. Berücksichtigt wurden dabei Erosion durch Wind und Wasser ebenso wie chemische und physikalische Schädigungen, wobei man den Grad der Bodenverschlechterung auf einer Skala von leicht bis schwerwiegend einstufte. Am geringsten ist der betroffene Anteil in Nordamerika (5,3 Prozent), am größten in Zentralamerika, Europa, Afrika und Asien mit 25 beziehungsweise 23, 22 und 20 Prozent (Bild 3 Mitte). In den meisten dieser Regionen konnten die Bauern gemeinhin nicht die erforderlichen Ressourcen aufbringen, um die Fruchtbarkeit mittel bis schwer geschädigter Böden völlig wiederherzustellen. Deshalb sind die Aussichten, die Wertminderung rückgängig zu machen, nicht gut, und wahrscheinlich wird sich dieses Problem noch verschärfen.

Trotz Verlustes und Verschlechterung fruchtbaren Bodens vermochte man im Zuge der Grünen Revolution die Pro-Kopf-Produktion durch Steigerung der Hektarerträge anzuheben. Hochertragszüchtungen von Getreiden wie Weizen und Reis haben sich seit ihrer Einführung in den sechziger Jahren immer weiter durchgesetzt, besonders in Asien (Bild 1). Sie beanspruchen jedoch, wenn ihre Vorteile zur Geltung kommen sollen, reichlich Düngemittel und Wasser.

Umweltschützer bezweifeln, daß eine weitere Umstellung auf solche Sorten noch zu vertretbaren Kosten machbar sei, vor allem für die Entwicklungsländer, die eine Produktionssteigerung am dringendsten benötigen. Zur Zeit setzen die Bauern in Asien, Lateinamerika und Afrika Kunstdünger – wenn überhaupt – nur sparsam ein, weil er entweder zu teuer oder nicht verfügbar ist. In den Industrienationen hingegen geht der Verbrauch an Düngemitteln seit einiger Zeit zurück. Die Gründe sind vielschichtig und vielleicht nur vorübergehender Natur; aber offensichtlich haben Landwirte in Nordamerika und Europa auch erkannt, daß eine weitere Steigerung ihres ohnehin hohen Düngereinsatzes die Erträge nicht weiter erhöht (Bild 5).

Der Bau von Bewässerungssystemen, mit denen viele Entwicklungsländer an der Grünen Revolution teilhaben könnten, ist oft zu kostspielig. In den meisten Gebieten ist künstliche Bewässerung eine entscheidende Voraussetzung für höhere Erträge oder überhaupt für einen Anbau. Sie macht zudem die Bauern unabhängiger von den natürlichen Schwankungen der Niederschläge. Außerdem ließen sich damit mehrere Sorten von Feldfrüchten auf dem gleichen Stück Land anbauen, was die Nahrungsmittelproduktion effizienter machte.

Die Vorteile einer Bewässerung wurden schon in der Frühzeit des Ackerbaus erkannt: Die ältesten Systeme sind immerhin Tausende von Jahren alt. Heute wird nur ein Bruchteil der bestellten Flächen in den Entwicklungsländern bewässert, und selbst der wächst langsamer als die Bevölkerung. Dieser Rückschritt, so die Pessimisten, sei kaum aufzuhalten. Bisherige Bewässerungssysteme habe man dort angelegt, wo sie am ehesten bezahlbar sind (Bild 4); steigende Kosten verhinderten, in großem Maßstab weitere zu installieren. Überdies werde es zunehmend teurer, die Verschlammung der Stauseen und Reservoire und die Versalzung bereits bewässerter Böden zu vermeiden oder zu beheben.

Als Umweltschützer stellen die Ehrlichs besonders heraus, daß moderne Landwirtschaft selbst gefährdet sei, wo immer sie praktiziert wird. Die genetische Uniformität und der Anbau in Monokulturen machten Hochertragszüchtungen zwar ausgesprochen produktiv, zugleich aber auch besonders anfällig für Schädlinge und Krankheiten.

Übliche Gegenmaßnahmen wie der Einsatz von Pestiziden oder das Einhalten einer geeigneten Fruchtfolge zur Vorbeugung lösen das Problem nur teilweise. Sich rasch wandelnde Krankheitserreger sind eine immer neue Bedrohung. Zur Züchtung geeigneter resistenter Pflanzen ist man auf genetische Vielfalt angewiesen; Wild- wie Kulturformen von Feldfrüchten müssen dazu gesammelt und in Samenbanken bewahrt, neuartige Sorten im Labor erzeugt werden.


Positive Prognosen

Zweifellos bestehen bei der Nahrungsmittelversorgung zahlreiche Probleme. Dennoch glauben Experten, das weltweite Nahrungsangebot könne drastisch vergrößert werden; speziell für China stellte etwa der Geograph Vaclav Smil von der Universität von Manitoba in Winnipeg (Kanada) schon vor etlichen Jahren eine günstige Prognose (Spektrum der Wissenschaft, Februar 1986, Seite 112). Solcher Optimismus entspringt ausgerechnet der Extrapolation eben jener Entwicklungen, die andere Forscher als Alarmzeichen einer drohenden Katastrophe sehen.

Statistiken zeigen tatsächlich, daß in den Entwicklungsländern zwischen 1965 und 1990 die durchschnittliche tägliche Nährstoffzufuhr pro Kopf um 21 Prozent zunahm, von 2063 auf 2495 Kilokalorien (die entsprechenden Kilojoule-Werte betragen jeweils das 4,2fache). Im allgemeinen stand auch mehr Protein zur Verfügung; der durchschnittliche Pro-Kopf-Verbrauch an diesem essentiellen Nahrungsbestandteil stieg im gleichen Zeitraum von täglich 52 auf 61 Gramm. (Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung empfiehlt für Erwachsene mit vorwiegend sitzender Tätigkeit 2400 Kilokalorien, davon 48 bis 60 Gramm in Form von Protein; für körperlich arbeitende aber deutlich mehr.)

Folgt man den Optimisten, ließe sich die weltweite Ernährungssituation wie in den letzten Jahrzehnten auch weiterhin erheblich verbessern, und zwar auf verschiedene Weise. In einer detaillierten Untersuchung der Klima- und Bodenbedingungen in 93 weniger entwickelten Ländern (ohne China) wird dargelegt, daß fast das Dreifache der heutigen Acker- und Weideflächen für die landwirtschaftliche Nutzung erschlossen werden könnte, also zusätzlich 1,4 Milliarden Hektar (Bild 3 unten). Schwarzafrika und Lateinamerika haben regionalen Bewertungen zufolge die größten Reserven, Asien, der Nahe Osten und Nordafrika nur mehr marginale.

Aber selbst dort, wo sich die landwirtschaftliche Fläche allenfalls begrenzt ausdehnen läßt, könnte man mehr Ernten im Jahr einbringen als derzeit. Dies gilt insbesondere für die Tropen und Subtropen mit ihren relativ gleichbleibenden Temperaturen im Jahresverlauf und annähernd konstanten Tageslängen. Asien bringt es gegenwärtig auf fast doppelt so viele Ernten pro Jahr wie Afrika, aber alle Regionen sind darin noch steigerungsfähig.

Außerdem sind auch höhere Erträge pro Einzelernte erreichbar, vor allem in Afrika und im Nahen Osten. In Nordamerika und Europa liegt der durchschnittliche Hektarertrag für Getreide bei 4,2 Tonnen, hingegen bei 2,9 Tonnen im Fernen Osten (4,2 in China), 2,1 in Lateinamerika, 1,7 im Nahen Osten und nur einer Tonne in Afrika. Erzielen ließen sich solche Ertragssteigerungen nach Meinung der Enthusiasten einer permanenten Grünen Revolution durch einen wesentlich verstärkten Einsatz von Hochertragssorten, Düngemitteln und Bewässerung. Wie Nikos Alexandratos von der FAO (der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen) in dem Buch "World Agriculture: Toward 2000" berichtet, machten Hochertragssorten bei dem Mitte der achtziger Jahre verwendeten Saatgut weltweit nur 34 Prozent aus. Statistiken der FAO zufolge wird gegenwärtig lediglich etwa ein Fünftel des landwirtschaftlich nutzbaren Landes bewässert; Dünger und Pestizide werden nur spärlich eingesetzt.

Viele Wirtschafts- und Agrarexperten betonen zudem, daß die Versorgung in den Entwicklungsländern deutlich besser wäre, wenn weniger Nahrungsmittel vergeudet würden und bei Lagerung und Verteilung verlorengingen. In seinem Buch "The Hunger Report: 1988" schreibt Robert W. Kates, Direktor eines Forschungsprogramms zur Welternährung an der Brown-Universität in Providence (Rhode Island), daß nur 60 Prozent aller geernteten Feldfrüchte verzehrt würden; etwa 25 bis 30 Prozent gelangten gar nicht erst in die einzelnen Haushalte. Die FAO schätzt dagegen die Verteilungsverluste geringer ein: 6 Prozent bei Getreide, 11 Prozent bei Wurzel- und Knollengemüsen und 5 Prozent bei Hülsenfrüchten. Wie auch immer – mehr des Erzeugten wäre zu nutzen.

Die Optimisten sehen sich durch den langfristigen Trend der Nahrungsmittelpreise am überzeugendsten bestätigt. Wie das World Resources Institute für 1992/93 berichtete, sind diese Preise (in konstanten Dollarkursen) stärker gefallen als die der meisten anderen Güter (mit Ausnahme derjenigen von Kraft- und Brennstoffen). Zwischen 1980 und 1989 gaben die Weltmarktpreise für Getreide um etwa ein Drittel nach (dabei haben sich freilich enorme staatliche Subventionen für die Landwirtschaft und die daraus folgende Überproduktion in Nordamerika wie in Westeuropa ausgewirkt). Offensichtlich, so die Optimisten, übersteige das Angebot bereits den Bedarf der Weltbevölkerung, obwohl diese sich seit 1950 verdoppelt hat.

Alles in allem sehen viele dieser Experten keine entscheidenden Hindernisse für eine Verbesserung der Versorgungslage, selbst wenn die Zahl der Menschen auf mehr als 10 Milliarden wachsen sollte. Das Potential zu nutzen verlangt indes eine entsprechende Politik, intensiveren nationalen und internationalen Handel und hohe Investitionen in die Infrastruktur und den Ausbau der Landwirtschaft. Aber auch das läßt sich nach Ansicht der Optimisten erzielen, ohne das globale Ökosystem irreparabel zu schädigen.


Versuch einer Synthese

Die Vertreter dieser widerstreitenden Meinungen tun sich schwer zu akzeptieren, daß es jeweils andere begründete Ansichten gibt. Doch zeigt die krasse Polarisierung, daß keine Seite völlig im Recht sein kann. Mithin wäre eine gemeinsame Perspektive gar nicht so schwer zu finden, wie es scheint, wenn empirisch belegbare Sachverhalte hervorgehoben und Differenzen in den Wertvorstellungen und den politischen Überzeugungen zurückgestellt würden.

Von beiden Seiten unbestritten ist, daß der Bedarf an Nahrungsmitteln in den nächsten Jahrzehnten rapide zunehmen wird. Betrachten wir plausible Anforderungen für die Dritte Welt, wo Mangel am ehesten kritisch ist.

In den Entwicklungsländern konsumierte 1990 jeder Mensch im Durchschnitt täglich 2500 Kilokalorien von den pro Haushaltsmitglied verfügbaren 4000 Bruttokilokalorien an geernteten Feldfrüchten. Die verbleibenden 1500 Kilokalorien gingen entweder verloren, waren ungenießbar oder wurden als Tierfutter und Saatgut genutzt. Der Hauptanteil dieser Nahrung kam von den 0,7 Milliarden Hektar Anbaufläche in den Entwicklungsländern selbst; nur 5 Prozent stammten aus Importen.

Um täglich 4000 Bruttokilokalorien pro Kopf auch im Jahre 2050 für dann 8,7 Milliarden Menschen in den Entwicklungsländern (also für mehr als doppelt so viele wie heute) bereitzustellen, muß deren Landwirtschaft 112 Prozent mehr produzieren. Für 6000 Bruttokilokalorien, was knapp über dem Weltmittel von 1990 läge, wäre eine Steigerung um 218 und für etwa 10000 Bruttokilokalorien (wie derzeit in den Industrienationen) eine um 430 Prozent erforderlich (Bild 2 rechts).

Mehr noch als bisher aus dem Boden herauszuholen ist sicherlich eine Strategie. Bleibt die Anbaufläche in den Entwicklungsländern aber auf dem Stand von 0,7 Milliarden Hektar, dann muß ihr Ertrag mehr als verdoppelt werden, damit sich die schon heute ungenügende Ernährungssituation für die künftige Bevölkerung dieser Regionen nicht noch verschlechtert. Soll dagegen die Versorgung auf das Niveau der Industrienationen von 1990 angehoben werden, müßte der Hektarertrag um das Sechsfache wachsen. Dies ist gewiß unmöglich, wenn kein entscheidender Durchbruch in der Biotechnologie der Nahrungsmittelproduktion gelingt.

Einstweilen werden die Bauern der Dritten Welt jedenfalls mehr Land zu bewirtschaften und mehr Ernten pro Jahr einzubringen suchen. Extrapoliert man den bisherigen Trend, dürfte zudem die gesamte Anbaufläche bis zum Jahre 2050 um etwa 50 Prozent zunehmen. Jeder Hektar müßte dann trotzdem fast 50 Prozent mehr Getreide oder dessen Äquivalent liefern, wenn wenigstens der gegenwärtige Ernährungsstand gehalten werden soll.


Teurer Fortschritt

Die technologisch orientierten Optimisten dürfen mit Recht behaupten, daß die weltweite Nahrungsmittelproduktion in den nächsten Jahrzehnten erheblich gesteigert werden könnte. Die heutigen Erträge liegen weit unter ihrem theoretischen Maximum, und nur etwa 11 Prozent der in irgendeiner Form landwirtschaftlich nutzbaren Flächen sind weltweit unter Kultur.

Ferner lehren die in einigen Ländern wie etwa China gesammelten Erfahrungen, wie sich dieses Potential auch anderswo erschließen ließe. Gefördert wird die landwirtschaftliche Produktivität durch eine gut durchdachte Politik, die vor allem die Versorgung mit dem erforderlichen Dünger und anderen Produktionsmitteln gewährleistet, eine solide Infrastruktur aufbaut und den Erzeugern Zugang zum Markt verschafft, damit sie einen Anreiz haben, mehr als das zum eigenen Lebensunterhalt Nötige zu produzieren. Aus weiteren Investitionen in die Agrarforschung werden weiterhin neue Technologien für die Landwirtschaft erwachsen.

Die zentrale Frage wird dann nicht mehr sein, wie mehr Nahrung gewonnen werden könnte, sondern wie Methoden eingeführt werden können, von denen ein Schub in der Nahrungsmittelproduktion zu erwarten ist.

Ein schwierigeres Problem ist, diesen technologischen Fortschritt zu ökologisch vertretbaren Kosten zu erreichen. Hier haben die Argumente jener besonderes Gewicht, die eine Umweltkatastrophe voraussagen.

Es steht außer Frage, daß sich das bereits beackerte Land im allgemeinen auf besseren Böden und in günstigeren Lagen findet als das noch ungenutzte, wenn auch potentiell kultivierbare. Analog hat man die bestehenden Bewässerungssysteme, wie erwähnt, an den dafür günstigsten Stellen errichtet. Folglich wird jede weitere ertragssteigernde Maßnahme teurer als entsprechende früher, besonders in den Industrienationen und in Ländern wie China, wo die landwirtschaftliche Produktivität bereits hoch ist. Darum erhöhen sich die Mindestkosten für jede zusätzliche Tonne Getreide oder deren Äquivalent. Der Aufwand ist sogar in Wirklichkeit noch größer, weil man die externen Kosten – vor allem die ökologischen – einstweilen bei den Preisen für landwirtschaftliche Produkte nicht berücksichtigt.

Was die Ehrlichs als "Umbau der Erde in einen gigantischen menschlichen Futtertrog" bezeichnen, könnte einen bedenklichen ökologischen Preis einfordern. Expandiert die Landwirtschaft stark durch Intensivierung des Anbaus und Erschließung neuer Flächen, so sind die Folgen wahrscheinlich ausgedehnte Entwaldung, erheblicher Artenverlust sowie starke Bodenerosion und Umweltverschmutzung durch Pestizide und ausgewaschene Düngemittel. Diese Auswirkungen zu verringern oder zu minimieren ist möglich, aber teuer.

Angesichts so vieler Unwägbarkeiten ist es schwierig, eine Prognose über die künftige Preisentwicklung für Nahrungsmittel zu geben. Zumindest werden die zunehmenden Mindestkosten für deren Produktion einen steileren Preisanstieg auf den internationalen Märkten bewirken, als dies ohne ökologische Einschränkungen der Fall wäre.

Ob das allerdings den bisherigen Rückgang der Weltmarkt-Lebensmittelpreise völlig umkehren könnte, bleibt abzuwarten. Irgendwann in naher Zukunft ist jedenfalls ein Aufwärtstrend sicherlich möglich; aber er dürfte abgeschwächt werden durch die beständige Entwicklung und Anwendung neuer Technologien und durch die voraussichtliche Erholung der landwirtschaftlichen Produktion und Exporte in der früheren Sowjetunion, in Osteuropa und in Lateinamerika. In einem 1992 veröffentlichten Artikel über die globalen Perspektiven bei Produktion und Konsum von Nahrungsmitteln stellte Per Pinstrup-Andersen von der Cornell-Universität in Ithaca (New York) fest, daß künftige Preisanstiege geringer ausfielen, wenn die nicht hinreichend genutzten landwirtschaftlichen Ressourcen Nordamerikas ausgeschöpft würden.

Die Frage ist, welche Anstrengungen die entwickelten Gesellschaften zum globalen Wohl zu leisten bereit sind: Steigende Preise werden auf Länder mit hohen Durchschnittseinkommen oder Haushalte mit angemessener Kaufkraft nur wenig Einfluß haben – darunter leiden müssen die Armen.

In Wirklichkeit sind also die Aussichten für die Ernährung der nächsten Generationen weder so düster, wie die Pessimisten glauben, noch so rosig, wie die Optimisten behaupten. Am plausibelsten ist die Annahme, daß das Pro-Kopf-Angebot in den meisten Regionen zunimmt.

Allerdings muß mit erheblichen jährlichen Schwankungen in der Verfügbarkeit und beim Preisniveau von Nahrungsmitteln gerechnet werden. Eine Vielzahl von Faktoren wie Witterungseinflüsse, Störungen der Handelsbeziehungen und die Anfälligkeit der Monokulturen gegenüber Schädlingen und Krankheiten kann die Versorgung jederzeit und überall beeinträchtigen. Die Ausweitung der Agrarproduktion – durch Steigerung der Erträge, intensivere Bewirtschaftung der Äcker und Urbarmachen weiteren Landes, wo sich dies als wirtschaftlich erweist – wird sich aufgrund der ökologischen Einschränkungen langsamer als früher vollziehen.

Während der Nahrungsmittelbedarf in den Industrienationen schon jetzt fast gesättigt ist, werden zahlreiche Länder auch künftig darum kämpfen, ihre unbefriedigende Ernährungslage zu überwinden. Sie lassen sich in drei Kategorien einteilen.

Manche Niedriglohnländer haben nur wenige oder überhaupt keine Reserven an fruchtbarem Land oder an Wasser. Mangelt es ihnen auch an Möglichkeiten, durch Export von Rohstoffen oder durch Dienstleistungen wie Tourismus Devisen zu verdienen, können sie es sich also nicht leisten, Nahrung zu importieren, werden solche Länder in Zukunft vermutlich stärker auf Hilfslieferungen angewiesen sein.

Ein schlechte Ernährungssituation findet sich aber auch in vielen Ländern wie Zaire, die über genügend Wasser und kultivierbares Land verfügen. Zurückzuführen ist das in der Regel auf Fehlentscheidungen der Regierungen. Ein kürzlich erschienener Bericht der Weltbank beschreibt, welche schädlichen Auswirkungen eine direkte und indirekte Besteuerung der Landwirtschaft hat, und zeigt die Nachteile von Preiskontrollen, Handelsbeschränkungen und überbewerteten Währungen auf, die Exporte behindern und Importe begünstigen. Überall dort, wo die landwirtschaftliche Produktion unter Vernachlässigung oder verfehlten staatlichen Interventionen gelitten hat (wie vor allem in Afrika), ist die Lösung des Problems klar: Reform der Politik.

Sicherlich werden solche Gebiete, die unter politischer Instabilität und unter gewaltsamen Auseinandersetzungen leiden, Nahrungsmittelhilfe brauchen. Die verheerendsten Hungersnöte der vergangenen Jahrzehnte ereigneten sich in Regionen mit anhaltenden Bürgerkriegen, so in Äthiopien, in Somalia und im Sudan. In vielen Fällen haben die Folgen von Dürren die sozialen und politischen Unruhen geschürt; aber die dann ausgetragenen Konflikte verhinderten eine Erholung der Landwirtschaft und das Verteilen von Nahrungsmitteln, so daß aus einer schlimmen, aber nicht aussichtslosen Situation doch eine Katastrophe wurde. Internationale militärische Interventionen – wie in Somalia – können nur kurzfristig Abhilfe schaffen. Ohne weitreichende politische Kompromisse werden Hunger und Unterernährung in diesen von Kriegen gezeichneten Regionen nicht zu beheben sein.

Technisch ist es machbar, eine wachsende Weltbevölkerung besser mit Nahrung zu versorgen, qualitativ wie quantitativ. Für viele arme Länder könnten jedoch die ökonomischen und ökologischen Kosten, die eine nachdrückliche Anhebung der Produktion mit sich bringt, durchaus untragbar sein. Die weitere Entwicklung hängt entscheidend davon ab, ob ihre Regierungen politische Konzepte zu entwickeln und durchzusetzen vermögen, dem Bevölkerungswachstum, der Verarmung und der Umweltzerstörung wirksam zu begegnen. Auf jeden Fall würden die Aufgaben der Zukunft leichter zu lösen sein, wenn es gelänge, die Vermehrung der Menschheit zu verlangsamen.

Literaturhinweise

- Poverty and Hunger: Issues and Options for Food Security in Developing Countries. World Bank, 1986.

– Energy, Food, Environment: Realities, Myths, Options. Von Vaclav Smil. Clarendon Press, 1987.

– World Agriculture: Toward 2000. Von Nikos Alexandratos. New York University Press, 1988.

– World Resources 1992-93. World Resources Institute. Oxford University Press, 1992.


Aus: Spektrum der Wissenschaft 5 / 1994, Seite 86
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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