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Geodätische Messung der Plattentektonik


Mit speziellen Empfängern für das Global Positioning System (GPS) ausgerüstet, kann der Geodät Entfernungen bis zu mehreren tausend Kilometern auf wenige Millimeter genau bestimmen (siehe den vorigen Beitrag). Damit eignet sich GPS sehr gut zum Verfolgen des plattentektonischen Geschehens.

Die Erde hat als einziger Planet im Sonnensystem eine Gesteinskruste aus einem unregelmäßigen Mosaik von Schollen, die sich permanent gegeneinander verschieben (vergleiche "Geodynamik und Plattentektonik" aus der Reihe "Verständliche Forschung", Spektrum der Wissenschaft / Spektrum Akademischer Verlag, 1995). Seit etwa 20 Jahren sucht man die Plattenbewegungen mittels Satelliten-Laser-Radar (SLR) und der Very Long Baseline Interferometry (VLBI) zu vermessen. Während beim SLR die Abstände zu Satelliten von Bodenstationen aus bestimmt werden, nutzt man bei der Langstrecken-Interferometrie weit entfernte kosmische Radioquellen; indem man beispielsweise die von einem Quasar ausgesandte Strahlung an verschiedenen Orten der Erde empfängt und die aufgezeichneten Signale überlagert, lassen sich aus dem Interferenzmuster Objektstrukturen mit hoher Auflösung rekonstruieren (Spektrum der Wissenschaft, März 1988, Seite 58). Andererseits vermag man aus den unterschiedlichen Laufzeiten der Signale den Abstand der Stationen, eben die sogenannte Basislinie, und damit auch dessen Änderung im Laufe der Zeit auf Millimeter genau zu bestimmen.

Dies sind allerdings aufwendige Techniken. GPS-Bodengeräte sind in Anschaffung und Betrieb wesentlich preisgünstiger, vor allem verglichen mit großen Radioteleskopen. Noch dazu ist das Meßverfahren wetterunabhängig, also auch bei Bewölkung anwendbar (das gilt sonst nur für die VLBI), und läßt sich mit autonom arbeitenden Meßstationen betreiben. Dementsprechend hat es sich zum bedeutendsten geodätischen Verfahren für die regionale und globale Untersuchung von Deformationen der Erdkruste entwickelt.
GPS als Dienstleistung

Eine fortwährend wachsende Zahl von Forschungsvorhaben in Geodäsie und Geophysik mit extrem hohen Genauigkeitsanforderungen motivierte die Gründung des International GPS Service for Geodynamics (IGS) durch die Internationale Assoziation für Geodäsie. Dazu fand im Sommer 1992 zunächst eine dreimonatige Testkampagne statt, der 1993 ein vorläufiger Dienst folgte. Der offizielle IGS nahm seine Arbeit am 1. Januar 1994 auf.

Er stellt alle wesentlichen Informationen zur Verfügung: die Bahndaten der 24 GPS-Satelliten mit Dezimeter- sowie ihre Uhrparameter mit Milliardstel-Sekunden-Genauigkeit, Erdrotationsparameter sowie Koordinaten und Geschwindigkeiten der IGS-Beobachtungsstationen. Dazu werden die Daten eines global verteilten Netzes von zur Zeit etwa 75 Beobachtungsstationen innerhalb weniger Tage nach der Beobachtung in internationalen Zentren ausgewertet (Bild 1). Der Nutzer kann die Resultate der einzelnen Zentren wie die vom IGS erstellte genauere und zuverlässigere Kombination davon – zur Zeit noch kostenlos – von den Datenzentren der Organisation in Washington und Paris abrufen.

Besonders wichtig für die Praxis sind die Parameter der Erdrotation, nämlich die Koordinaten der Polachse und die Werte der Erdrotationsschwankungen in Form von Tageslängenänderungen. Für die Positionsbestimmung im Inertialsystem sind sie unerläßlich, und ihre zeitlichen Veränderungen geben Aufschluß über den Aufbau des Erdkörpers. Sie werden in 24-Stunden-Intervallen bestimmt. Die derzeitige Genauigkeit der Polachse beträgt etwa 0,0003 Bogensekunden (das entspricht einem Zentimeter auf der Erdoberfläche), die der Tageslänge 0,06 Millisekunden.


Aufbau eines Referenzsystems

Die Stationskoordinaten und ihre zeitlichen Änderungen bilden ein globales Referenzsystem als Grundlage vieler geodätischer Anwendungen. Es läßt sich nach nunmehr gut zwei Jahren Meßzeit bereits mit sehr hoher Genauigkeit festlegen. Vor allem zur Qualitätskontrolle der Daten berechnet man die Koordinaten täglich und wöchentlich und prüft ihre Reproduzierbarkeit. Beispielsweise können die so ermittelten Höhenangaben für europäische Stationen von einer Woche zur nächsten um fünf bis elf Millimeter schwanken (alle – auch folgende – Angaben zur Streuung gelten für Abweichungen in positiver wie negativer Richtung). Für das gesamte europäische Netz, das 5000 Kilometer weit von Nord-Norwegen bis zu den Kanarischen Inseln reicht, ergeben sich von Woche zu Woche Abweichungen bei der Länge von 2,2, bei der Breite von 2,9 und bei der Höhe von 5,2 Millimetern. Derart präzise Messungen lassen sich nur bei ausreichend vielen und gut verteilten Stationen erzielen, also in Europa, Nordamerika und Australien; die Daten für isolierte Stationen hingegen sind etwa um das Drei- bis Fünffache weniger genau.

Durch eine globale Ausgleichung aller Daten der beiden Jahre wurden Koordinaten für 40 Stationen ermittelt (dabei legt man ein parametrisiertes Modell für Positionen und Geschwindigkeiten zugrunde und berechnet diejenigen Parameter, welche die geringste Abweichung der modellierten Daten zu den gemessenen ergeben). Um die erreichten Genauigkeiten abzuschätzen, wurden die separaten Lösungen der Jahre 1993 und 1994 miteinander und mit dem ITRF93-Koordinatensatz verglichen, einem internationalen terrestrischen Referenzsystem, das man jährlich durch Kombination von SLR-, VLBI- und GPS- Techniken gewinnt. Dabei ergaben sich mittlere Differenzen von allenfalls fünf Millimetern.


Basislinien-Änderungen und Stationsbewegungen

Bei der hohen Genauigkeit, die durch GPS-Technik zu erzielen ist, lassen sich bereits innerhalb weniger Jahre plattentektonische Bewegungen messen. Dabei sind mindestens drei Stationen auf einer Platte erforderlich, um deren Rotation nach Geschwindigkeit und Drehpunkt festzulegen. Zur Berechnung geht man nach den beiden skizzierten Methoden wie folgt vor:

- Bestimmung der Basislinien-Änderungen aus regelmäßigen, zum Beispiel wöchentlichen Koordinatenberechnungen. Günstig ist, daß dabei Daten und Antennenaufstellung einem Test unterzogen werden. Man erhält eine gute Abschätzung der Reproduzierbarkeit der berechneten Koordinaten und der Genauigkeiten der abgeleiteten Bewegungen.

- Simultaner Ausgleich von Koordinaten und Geschwindigkeiten unter Verwendung aller verfügbaren Daten. Der Vorteil dieser Methode liegt in der optimalen Gewichtung – Ausreißer oder problematische Messungen wirken sich weniger stark aus. Die Korrelationen zwischen Koordinaten und Geschwindigkeiten werden im parametrischen Modell zudem automatisch berücksichtigt. Allerdings schätzt dieses Vorgehen die erzielten Genauigkeiten zu hoch ein, doch kann man sie anhand der Ergebnisse der ersten Methode korrigieren.

Die erste Variante liefert für Basislinien von etwa 1000 Kilometern Streuungen von 3 Millimetern; für jeweils weitere 1000 Kilometer steigt diese Streuung um etwa 1,5 bis 2 Millimeter an. Im Rahmen dieser Meßungenauigkeiten zeichnet sich die plattentektonische Bewegung bereits gut ab. So verkürzt sich demnach die Strecke zwischen Kokee Bay (Hawai) und Fairbanks (Alaska) um 48 Millimeter pro Jahr (Bild 2), was gut mit dem geophysikalisch abgeleiteten Modell NUVEL übereinstimmt; das Modell liefert einen Mittelwert der plattentektonischen Bewegung während der letzten drei Millionen Jahre anhand von Faltungen der kontinentalen Kruste und der Meeresbodenspreizung (Sea-Floor Spreading). Bild 3 zeigt zur Veranschaulichung die Änderungen der Basislinien von Kokee Bay und Wettzell – einem Ort im Bayerischen Wald – zu benachbarten Stationen. Für die meisten Strecken ergeben sich Genauigkeiten von ein bis zwei Millimetern pro Jahr. Die Übereinstimmung mit den Vorhersagen des Modells NUVEL über die Stationsbewegungen liegt in diesen Fällen im Bereich von wenigen Millimetern pro Jahr.

Mittels globaler Ausgleichung gewonnene Geschwindigkeitsvektoren zeigen bei Werten von wenigen Millimetern pro Jahr ebenfalls gute Übereinstimmung zu NUVEL im Bereich von Europa und Nordamerika (Bild 4). Auf der Südhalbkugel standen für diese Analyse noch relativ wenige Stationen zur Verfügung. Jedoch hat sich die Situation schon deutlich verbessert, so daß in wenigen Jahren auch hier mit Genauigkeiten von zwei bis drei Millimetern pro Jahr durchaus zu rechnen ist.

Unsere Analysen belegen, daß durch die Nutzung des GPS bereits mit Daten aus gut zwei Jahren Genauigkeiten erreichbar sind, wie wir sie von fünf- bis zehnjährigen Analysen der SLR- und VLBI-Daten kennen. Zudem ist in den nächsten Jahren eine deutliche Verdichtung des IGS-Netzes zu erwarten, wie sie bei keinem der anderen zur Zeit existierenden Meßsysteme möglich scheint. Die Bewegungsraten der Erdkrusten-Platten sollten sich dann in allen Regionen auf ein bis drei Millimeter pro Jahr feststellen lassen.

Das geschaffene Referenzsystem soll und kann freilich nur ein grobes Gerüst für globale plattentektonische Untersuchungen bilden. In den geophysikalisch interessanten Plattenrandbereichen werden deshalb wesentlich dichtere Stationsnetze aufgebaut, damit man die komplizierten Bewegungsabläufe in diesen Regionen zu verfolgen vermag. Dazu gehören permanente Netze in seismisch gefährdeten Gebieten wie Kalifornien mit etwa 30 und Japan mit rund 200 Stationen, aber auch eines mit etwa 25 Stationen, um die fenno-skandische Landhebung zu überwachen, die ganz Norwegen, Finnland und Schweden betrifft, seit das Abschmelzen der Eismassen zu Beginn der gegenwärtigen Warmphase vor rund 11000 Jahren dort die Erdkruste entlastete. Außer solchen Netzen für langfristige Detailuntersuchungen gibt es eine Vielzahl temporärer, die in jährlichen Abständen aufgebaut werden und nur für wenige Tage in Betrieb sind – zum Beispiel in solch interessanten Plattenrandgebieten wie Pamir-Tienshan, einer Region mit noch andauernder Gebirgsbildung (etwa 80 Stationen), und der Andenzone, wo die Nasca-Platte unter die Südamerikanische Platte abtaucht (etwa 190 Stationen). Zusätzlich sollte ein Netz von wenigen, global gut verteilten Fundamentalstationen aufgebaut werden, die mit den modernsten und genauesten terrestrischen und extraterrestrischen Meßsystemen ausgerüstet sind. Damit wären GPS- spezifische systematische Effekte zu untersuchen, und es könnte dazu beitragen, die Lage des Erdzentrums optimal zu bestimmen.


Aus: Spektrum der Wissenschaft 1 / 1996, Seite 115
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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