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Gestaltwahrnehmung: Überall Gesichter

Ob Wolken, Baumrinden oder die Mondscheibe - alle möglichen Objekte scheinen oft menschliche Züge zu haben. Woher kommt diese Illusion, und was geschieht dabei im Gehirn?
Überall Gesichter

Die Raumsonde Viking 1 fotografierte 1976 das Marshochland ­Cydonia Mensae. Ein Schnappschuss der Bilderserie machte Schlagzeilen: Es zeigte – ein menschliches Gesicht. Obwohl die NASA versicherte, diese optische Täuschung beruhe lediglich auf dem Zusammenspiel von Licht und Schatten, sahen etliche Zeitgenossen in dem vermeintlichen Antlitz das Werk einer untergegangenen Zivilisation.

Hoch aufgelöste Aufnahmen aus dem Jahr 2001 bestätigten dann, dass es sich bei dem ­schmalen Frauengesicht in Wirklichkeit um eine mehrere Kilometer große Felsformation handelt. Die Unschärfe der ursprünglichen Auf­nahme in Verbindung mit einem bestimmten Beleuchtungswinkel hatte die Illusion erzeugt. Genau genommen war nie ein zusammenhängendes Gesicht zu sehen gewesen, sondern lediglich eine Ansammlung heller und dunkler Zonen. Unser Gehirn setzt diese kurzerhand zu einem Gesicht zusammen, denn es verfügt über eine erstaunliche Sensibilität für die menschliche Physiognomie. Wegen dieses angeborenen Drangs, Strukturen eine Bedeutung zu geben – "Pareidolie" genannt –, meinen wir, in Steck­dosen, Autos oder Häusern menschlichen Konterfeis zu sehen.

Darauf stieß schon der kanadische Psycho­loge Craig Mooney in den 1950er Jahren. Er verwandelte insgesamt 40 aus unterschiedlichen Blickwinkeln aufgenommene Porträtfotos in scheinbar sinnlose Muster von schwarzen und weißen Flecken. Trotzdem gelang es den meisten Versuchspersonen, denen er diese verfremdeten Bilder vorlegte, menschliche Gesichter darin zu erkennen.

Die Schwarz-Weiß-Zeichnungen sind heute als "Mooney-Gesichter" bekannt. Mooneys Ergebnisse wurden seither immer wieder bestätigt; auch wenn man tatsächlich einmal ein gänzlich beliebiges Flecken­muster in die Serie mischt, können die meisten Menschen sehr gut ausmachen, welches Bild nicht auf einem menschlichen Antlitz beruht. Dreht man die Mooney-Gesichter allerdings auf den Kopf, sind sie ungleich schwerer zu identi­fizieren. Die Gesichtserkennung des Gehirns arbeitet anscheinend nur bei aufrechten Bildern perfekt.

Die Regeln, nach denen das Gehirn unvollständige Formen und Konturen in der Umwelt als Gesichter interpretiert, gehören zur Domäne der Gestaltpsychologie ...

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  • Quellen

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Grützner, C. et al.: Neuroelectromagnetic Correlates of Perceptual Closure Processes. In: The Journal of Neuroscience 30, S. 8342-8352, 2010

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Otsuka, Y: Face Recognition in Infants: A Review of Behavioral and Near-Infrared Spectroscopic Studies. In: Japanese Psychological Research 56, S. 76-90, 2014

Wertheimer, M.: Experimentelle Studien über das Sehen von Bewegung. In: Zeitschrift für Psychologie 61, S. 161-265, 1912

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