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Quantenoptik: Gestoppter Lichtpuls

Mit raffinierten Tricks gelang es gleich zwei Forschergruppen, einen Lichtblitz anzuhalten und wieder losfliegen zu lassen. Das Kunststück eröffnet neue Möglichkeiten für Quantencomputer und Kryptographie.


Letztes Jahr erregte die Meldung Aufsehen, Physiker hätten die größte aller erreichbaren Geschwindigkeiten, nämlich die des Lichts, mit Tricks überboten – was in der Fachwelt auf einigen Unglauben stieß und zum Teil noch kontrovers diskutiert wird. Nun haben andere Wissenschaftler sozusagen den Anti-Rekord dazu aufgestellt: Statt Licht auf eigentlich unmögliche Geschwindigkeiten zu beschleunigen, brachten sie es zum Stehen, und ließen es nach einer frei wählbaren Zeit weiterfliegen. Auch diesmal horchte nicht nur die Forschergemeinde auf.

Nun scheint die Dauer, für die das Licht gestoppt wurde, wenig spektakulär: Gerade einmal für eine Tausendstelsekunde konnten die Wissenschaftler das Wellenpaket anhalten, bevor sie es wieder loslassen mussten. Allerdings hätte das Licht in dieser Zeit im Vakuum immerhin 300 Kilometer zurückgelegt. Insofern sind die geglückten Experimente zweier Arbeitsgruppen aus Cambridge (Massachusetts) tatsächlich bemerkenswert.

Schon vor zwei Jahren hatte das eine Team unter Leitung von Lene Vestergaard Hau am Rowland Institute for Science Licht so weit abgebremst, dass ein Profi-Radfahrer es leicht überholen konnte. Ein vollständiges Anhalten schien damals aber nicht möglich. Nur wenige Monate später entdeckten findige Theoretiker – darunter Michael Fleischhauer von der Universität Kaiserslautern – allerdings eine Möglichkeit, das Kunststück doch zu vollbringen.

In gewisser Weise ist es gar nicht schwer, Licht zum "Stehen" zu bringen: Man nehme ein schwarzes Blatt Papier, halte es in einen Lichtstrahl, und schon wird er gestoppt. Allerdings handelt es sich dabei weniger um eine Vollbremsung als um einen Frontalzusammenstoß mit Totalschaden. Danach kann man den Lichtstrahl nämlich nicht wieder auf die Reise schicken, da er schlicht aufgehört hat zu existieren: Die in ihm enthaltene Energie wurde in Wärme umgewandelt, und eine Rückumwandlung derselben in die Photonen, aus denen der Lichtstrahl bestand, ist nach den Gesetzen der Physik nicht möglich.

Allenfalls könnte man an das Papier eine zweite Lichtquelle mit Infrarotsensor anschließen, die auf die Erwärmung des Blattes hin nach einer vorbestimmten Zeit einen Strahlungspuls aussendet. Dieser hätte aber mit dem ursprünglichen nicht das Geringste zu tun. Insbesondere trügen die Photonen völlig andere quantenmechanische Informationen.

An deren Bewahrung aber sind die Physiker interessiert. Schließlich ist das Anhalten eines Lichtstrahls für sie keineswegs bloße Spielerei; vielmehr möchten sie den Trick für Zukunftstechnologien wie Quantencomputer und Quantenverschlüsselung einsetzen. Dazu aber darf das vorübergehend gestoppte Informationspaket seinen Inhalt nicht verlieren.

Tatsächlich haben die Forscher aus Cambridge einen Weg gefunden, das zu vermeiden. Insbesondere verhinderten sie mit dem Phänomen der elektromagnetisch induzierten Transparenz (EIT), dass die Photonen einfach von der Gaswolke verschluckt werden. Der Trick besteht dabei darin, einen zweiten Lichtstrahl, Kopplungsstrahl genannt, durch das Gas zu schicken. Er verändert die quantenmechanischen Energiezustände der Atome derart, dass sie zwar noch mit dem ersten Lichtstrahl wechselwirken, ihn aber nicht mehr absorbieren können. Die Präsenz der Atome drückt sich dann nur noch im Brechungsindex des Gases aus, der angibt, wie stark Licht darin abgebremst wird.

Zwitter aus Licht und Materie


Zudem entsteht durch die Wechselwirkung des Lichtpulses mit den Gasatomen gleichsam ein Zwitterwesen aus Licht und Materie, das so genannte Dunkelzustands-Polariton. Dessen "Materieanteil" sind die Kohärenzen – definierten Beziehungen – zwischen den atomaren Energiezuständen, die der Lichtstrahl hervorruft. Sie beruhen auf einer Besonderheit der Quantenmechanik. Danach können äußere Einflüsse bewirken, dass sich die Energiezustände der Atome überlagern, wodurch neue Zustände entstehen. Auf diese Art und Weise werden Informationen über die Eigenschaften des einfallenden Lichtpulses im Kollektiv der Atome gespeichert. In welchem Ausmaß das Polariton nun aus diesen Kohärenzen besteht, hängt von der Intensität des Kopplungsstrahls ab. Ist sie hoch, überwiegt der Lichtanteil; bei schwachem Kopplungsstrahl ist dagegen fast alle Information über den Lichtpuls in den Atomen gespeichert, und das Licht breitet sich nur noch sehr langsam in dem Gas aus – man könnte sagen, es wird langsamer, weil es den Materieanteil des Polaritons mitschleppen muss.

Den Kniff, einen schwächeren Kopplungsstrahl einzusetzen, um den Lichtpuls langsamer werden zu lassen, hatten die Forscher bereits in den ersten Experimenten zur Lichtabbremsung ausgenutzt. Leider hat diese Methode einen entscheidenden Haken. Je schwächer der Kopplungsstrahl nämlich ist, desto stärker wird zwar der Lichtpuls abgebremst, aber umso schmaler muss auch der Bereich an Frequenzen sein, die er enthält. Nun ist dieser Frequenzbereich – die so genannte Spektralbreite – durch die Heisenberg-sche Unschärferelation mit der Dauer (und damit der Länge) des Pulses verknüpft. Soll dieser exakt monochromatisch sein, also nur aus Photonen einer einzigen Frequenz bestehen, muss er eine unendliche Länge haben. Je kürzer er aber ist, desto mehr Frequenzen enthält er zwangsläufig. Damit ergibt sich ein Dilemma: Will man den Puls im Gas mit einem äußerst schwachen Kopplungsstrahl drastisch verlangsamen, muss man ihn sehr lang machen, wofür man wiede-rum ein extrem großes Behältnis mit dem bremsenden Gas braucht.

Der Ausweg aus dieser misslichen Lage liegt nun darin, zunächst einen relativ starken Kopplungsstrahl zu benutzen, mit dem sich auch ein kurzer Lichtpuls bis zu einem gewissen Grad abbremsen lässt; ist der Puls dann erst im Gas drin, kann die Intensität des Kopplungsstrahls verringert werden. Eben dieses Tricks bedienten sich sowohl das Team von Lene Hau als auch die zweite Gruppe unter Ronald Walsworth vom Harvard-Smithsonian Center for Astrophysics. Sie setzten zunächst einen relativ starken Kopplungsstrahl ein. Er sorgte dafür, dass das Gas einen hohen Brechungsindex hatte und zugleich für den Lichtpuls durchlässig war. Der Puls konnte deshalb in die Atomwolke eindringen und wurde dort "vorgebremst" und dabei derart gestaucht, dass er komplett in das Gasvolumen passte. Zugleich bildete sich das erwähnte Dunkelzustands-Polariton.

Nun verringerten die Experimentatoren die Intensität des Kopplungsstrahls, sodass sich der Materieanteil des Polari-tons erhöhte, während die Ausbreitungsgeschwindigkeit der Photonen weiter abnahm. Schließlich schalteten sie den Kopplungsstrahl ganz aus, was den Lichtpuls praktisch anhielt: Die gesamte Information, die er trug, war nun in den Atomen gespeichert. Nach einer Weile wurde der Kopplungsstrahl wieder angeschaltet. Dadurch verwandelte sich der Materieanteil des Polaritons erneut in elektromagnetische Strahlung, und der Lichtpuls erwachte wieder zum Leben.

Beliebig lange lässt sich Licht auf diese Weise allerdings noch nicht speichern; da sich die Atome bewegen und miteinander kollidieren, werden die Kohärenzen zwischen ihnen mit der Zeit zerstört. Ehe sich nützliche Speicherelemente beispielsweise für Quantencomputer konstruieren lassen, muss noch das Problem der Lebensdauer der Polaritonen gelöst werden.

Gelingt dies jedoch, eröffnen sich fantastische Möglichkeiten. So könnten erstmals rein optische Rechenelemente realisiert werden. Dazu würde man einen Lichtpuls einfangen, die enthaltene Information durch Manipulation der Polaritonen so verändern, dass sie dem Ergebnis der Berechnung entspricht, und ihn dann wieder losschicken. Während Haus Team für seinen Versuch ultrakalte Atome mit Temperaturen von wenigen tausendstel Kelvin (also praktisch am absoluten Temperaturnullpunkt bei –273 Grad Celsius) verwendete (Nature, Bd. 409, S. 490), arbeitete die Gruppe von Walsworth mit 70 bis 90 Grad heißen Gaswolken (Physical Review Letters, Bd. 86, S. 783). Die erzielbaren Speicherzeiten in Haus Experiment sind etwas länger. Zudem kann der Lichtpuls vollständig eingefangen werden, wogegen in Walsworths Experiment ein Teil verloren geht. Dafür ist der technische Aufwand beim Arbeiten mit heißen Gaswolken um einiges geringer, da das mühsame Kühlen auf Extremtemperaturen entfällt. Welche der beiden Methoden sich langfristig durchsetzt, bleibt abzuwarten.

Aus: Spektrum der Wissenschaft 7 / 2001, Seite 22
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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