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Giftfischen: Gifttod im Meer

Die meisten tropischen Fische in amerikanischen und europäischen Salzwasseraquarien wurden beim Fang mit Cyanid betäubt. Diese Praxis des Giftfischens bedroht mittlerweile einzigartige Korallenriffe.


Cyanid kann Menschen binnen Minuten töten. Kaum ist das Gift im Körper, behindert es die Verwertung von Sauerstoff in den Geweben. In höheren Konzentrationen verlangsamt es den Herzschlag und blockiert unter anderem die Gehirntätigkeit. Seit Jahrzehnten wird dieses Gift beim Fang von Zierfischen in den Korallenriffen Indonesiens und der Philippinen verwendet. Die einheimischen Jäger betäuben ihre Beute damit, um sie leichter lebend zu fangen.

Die Auswirkungen für die Ökologie sind verheerend. Nach Schätzung von Experten tötet das Gift etwa die Hälfte der Fische schon am Riff, und von den Übrigen gehen vierzig Prozent ein, bevor sie überhaupt ein Aquarium erreichen (nicht zuletzt auf Grund der starken "psychischen" und mikrobiellen Belastung durch enge Tierhaltung in der Handelskette, die mittels Sedativa und Antibiotika bekämpft wird). Dabei geht es um eine beträchtliche Zahl: Jährlich werden etwa 35 Millionen Fische aus diesen Lebensräumen gefangen und ein Großteil derjenigen, die in Salzwasseraquarien weltweit ankommen, stammen aus den beiden genannten Ländern. Laut Pro Wildlife e. V. stammen 23,4 Prozent der bis zu 100000 Tonnen jährlich nach Deutschland importierten Meerwasserfische aus Indonesien, 9,6 Prozent von den Philippinen.

Viele Meeresbiologen halten das Fischen mit Cyanid überdies für eine der größten Bedrohungen der Ökologie südostasiatischer Gewässer. Fast ein Drittel der Korallenriffe unseres Planeten befinden sich in dieser Region. Nirgendwo sonst ist die Vielfalt des marinen Lebens größer – zumindest heute noch. Zwei Studien aus dem vergangenen Jahr zufolge sind nur 4,3 Prozent der philippinischen und 6,7 Prozent der indonesischen Riffe in exzellentem Zustand. Dafür gibt es sicherlich weitere Gründe, wie das Fischen mit Sprengstoff oder den Eintrag von Sedimenten ins Meer infolge abgeholzter Urwälder. Doch Studien belegen: Cyanid schädigt auch die Korallen selbst, andere wirbellose Riffbewohner und wirtschaftlich uninteressante Fische.

Bedenkt man, dass Korallenriffe etwa zehnmal fischreicher sind als Küstengewässer und zwanzigmal produktiver als das offene Meer, wird offenkundig: Mit den Riffs schwinden auch die natürlichen Ressourcen der angrenzenden Länder. Erstaunlicherweise werden Korallenfische jedoch nicht durch internationale Gesetze geschützt. Ein Vorstoß deutscher Stellen Mitte der 90er Jahre, die Artenschutzverordnungen der Europäischen Union entsprechend zu verschärfen, scheiterte. Daraufhin musste die Bundesrepublik den Schutz der Korallenfische 1997 aus ihren eigenen Gesetzen streichen.

Fast zwanzig Jahre lang blieb es den exportierenden Staaten überlassen, das Problem in den Griff zu bekommen. Im Jahre 1975 erklärte ein Dekret des phi-lippinischen Präsidenten das Fischen mit Cyanid für illegal, ebenso, es auf einem Boot mitzuführen oder Fisch zu verkaufen, der damit gefangen wurde. Zehn Jahre später folgten entsprechende Regelungen in Indonesien. Es gibt jedoch noch einige gesetzeskonforme Anwendungen für Cyanid, zum Beispiel bei der Extraktion von Gold aus Erz. Die Einfuhr des Giftes ist daher nicht reguliert. Neben politischen Streitereien erschweren Kriminelle und korrupte Regierungen die Durchsetzung der Verbote.

Eine internationale, nichtkommerzielle Organisation namens Marine Aquarium Council (MAC) entwickelt deshalb mit viel Engagement eine Methode, Importeure, Einzelhändler und Endkäufer in die Verantwortung zu nehmen. Für Europa wichtige Handelsorganisationen wie die Europe Ornamental Aquatic Trade Association (OATA) und die Ornamental Fish International (OFI) waren dabei von Anfang an mit im Boot. Kontakte bestehen auch zum europäischen Verband der Aquaristen (European Union of Aquarium Curators). Ob die Meereszierfische in den Fachgeschäften auf umweltverträgliche Art gefangen wurden, sollen die Kunden nachprüfen können.

"In diesem Wirtschaftszweig hat es noch nie ein System gegeben, das umweltverträgliche Praktiken und Produkte definiert oder bestätigt", erläutert Paul Holthus, der Geschäftsführer von MAC. "Anhand der Zertifikate ist der Käufer in der Lage, verantwortungsbewusste Lieferanten sozusagen zu belohnen."

Weil sich nur eine Hand voll der begehrten Fische in Gefangenschaft züchten lässt, hängt die Zukunft der Meerwasser-Aquaristik davon ab, dass es weiterhin intakte Riffe geben wird. Bislang konnten die Einzelhändler aber nicht einmal die genaue Herkunft ihrer Ware vom Importeur erfragen.

Der Wirtschaftszweig war 1957 entstanden, als ein philippinischer Unternehmer die ersten lebenden Fische in einer Blechdose in die USA einführte. Seitdem haben Fänger über eine Million Kilogramm Cyanid auf den Riffen der Philippinen ausgebracht, schätzt die International Marinelife Alliance (IMA). Diese Organisation war 1985 eigens gegründet worden, um die Ausbreitung schädlicher Fischereipraktiken in der Region zu bekämpfen. Im Laufe der letzten 15 Jahre hat sie eine Million US-Dollar dafür ausgegeben, Fischer im Umgang mit Handnetzen zu schulen, der umweltverträglichen Alternative zum Gift. Doch dieses Training kann sich über Monate erstrecken, und solange die Fänger nicht mit dem Netz umgehen können, verdienen sie durch den Einsatz von Cyanid mehr Geld.

Als das Giftfischen in den späten 1980er Jahren in den USA bekannt wurde, beruhigten die Aquarianer ihr Gewissen mit der Mär, in den richtigen Konzentrationen angewandt sei Cyanid nur ein harmloses Betäubungsmittel. Die oft hohen Sterblichkeitsraten beim Transport schrieben sie der Empfindlichkeit der Tiere zu, die vielleicht zu lange Zeit in verschlossenen Plastikbeuteln und womöglich in Wasser schlechter Qualität zubringen mussten.

Mittlerweile erlauben Verbesserungen in der Aquarientechnik und der Tierhaltung immer mehr privaten Sammlern, Meerwasseraquarien mit unterschiedlichen Arten zu betreiben. In der Bundesrepublik boomt dieser Markt regelrecht. Nicht allein Fische werden nachgefragt, sondern auch Korallen, Anemonen und andere Riffbewohner. Die Konsequenz des wachsenden Marktes: Weil viele philippinische Riffe mittlerweile zerstört sind, erreichte das Cyanidfischen in den frühen 1990er Jahren die nördlichsten Inseln Indonesiens. Jüngsten Beobachtungen von IMA-Mitarbeitern zufolge sind auch schon Teile von Vietnam und Kiribati betroffen (siehe Karte).

Tödliche Jagd mit Cyanid

Jahrzehntelang fanden Naturschützer auf den Philippinen von Seiten der importierenden Länder wenig Rückendeckung. Genau diese Unterstützung bietet seit kurzem das Marine Aquarium Council. Im vergangenen Frühling stellte ein sechzigköpfiges Team aus Vertretern der Industrie, von Naturschutzorganisationen, staatlichen Stellen und der Wissenschaft erstmals Standards auf, wie die Riffe und ihr Fischbestand nachhaltig zu bewirtschaften seien. Ziel ist es, eine zuverlässige Überwachungskette aufzubau-en, die vom Riff bis zum Kleinhändler bei jedem Zwischenschritt auf Einhaltung der Richtlinien achtet. Eine Gruppe vom MAC verbringt den Sommer damit, Fischer und Exporteure auf den Philippinen für diese Standards zu gewinnen, während eine andere in den USA und Europa um die Unterstützung von Importeuren und Einzelhändlern wirbt.

Ein Ausgangspunkt für eine solche "zertifizierte" Handelskette könnte die Stadt Bagac sein, die rund 150 Kilometer westlich von Manila am südchinesischen Meer liegt. Von den 21000 Einwohnern sind immerhin 2500 Fischer, davon leben dreißig vom  Zierfischfang. Bis vor sieben Jahren kannten diese Männer nur die Jagd mit Cyanid. Dann trafen sie Ferdinand Cruz von der philippinischen IMA, und seitdem arbeiten sie mit Netzen.

Cruz, der auch Mitglied des MAC ist, weiß, wovon er spricht, wenn er mit Fischern verhandelt. Er selbst hatte 1984 mit Familienmitgliedern ein Exportunternehmen für Aquarienfische gegründet. Schon bald verwunderte ihn die hohe Sterberate der Tiere. "Wir dachten zuerst, es läge an unserer Anlage", erinnert sich Cruz. Als er seine Fischfänger aufsuchte, versteckten sie ihr Cyanid, da dessen Einsatz bereits illegal war. Einige gaben zu, die Substanz zu benutzen, erklärten die Methode aber für harmlos.

Doch davon war Cruz nicht überzeugt. Er fuhr mit aufs Meer und sah, wie viele Fische durch das Gift einge-gangen waren. "Sechs Monate später bemerkte ich zudem, dass die betreffenden Riffe starben und voller Algen waren", sagt er. Einige Jahre lang bemühte sich Cruz, sein Geschäft "Cyanid-frei" weiterzuführen, 1993 gab er auf und begann seine Arbeit bei der IMA. Seitdem hat er geholfen, rund 2500 von den schätzungsweise 4000 philippinischen spezialisierten Fischern zu schulen. Er bringt ihnen bei, Fangnetze in Schluchten und Spalten zwischen den Korallenköpfen aufzuspannen und dann die Fische hineinzutreiben. Wie die meisten Fischfänger atmen auch die Philippinos unter Wasser durch lange, flexible Plastikschläuche, die Hookahs genannt werden. Für gewöhnlich pumpt ein alter Kompressor an Bord des Fischerbootes Frischluft in die Tiefe. Der Taucher hält den Hookah zwischen den Zähnen und nutzt oft seinen Atem, um Fische aus ihren Nischen in den Korallen in das Netz zu pusten.

Geübte Netzfischer sind für den nachhaltigen Handel mit Aquarienfischen unverzichtbar. Aber auch den Exporteuren fällt im Plan des MAC eine Schlüsselrolle zu. Sie sind die nächste Stufe in der Handelskette. Die meisten von ihnen haben ihren Sitz in Manila. Normalerweise schwimmen in ihren Wasserbecken Fische, die mit unterschiedlichen Methoden und in verschiedenen Teilen des Landes gefangen wurden, darunter viele Cyanid-Opfer. Damit ein Zertifikat Sinn macht, müssen die Lieferungen der Netzfischer separat gehalten werden.

In den Lagerhallen gibt es mittlerweile auch Laboratorien für chemische Analysen von Stichproben. 1991 schloss das philippinische Ministerium für Fischerei und aquatische Ressourcen mit der IMA einen entsprechenden Vertrag; bis zu Beginn dieses Jahres hatten landesweit sechs Laboratorien über 32000 Fische untersucht. Dazu müssen die Tiere allerdings getötet werden. Chemiker begutachten und wiegen jedes einzelne und zerkleinern es dann in einem Mixer. Den Brei destillieren sie in einer starken, heißen Säure, sodass alles Cyanid als Blausäuregas freigesetzt wird. Eine Lösung von Natriumhydroxid fängt es auf, und selektive Elektroden messen den Gehalt an Cyanid-Ionen in der Lösung. Daraus ergibt sich die Konzentration des Stoffes in Teilen pro Million (ppm, parts per million). Zwischen 1996 und 1998 sank der Anteil der durch Cyanid vergifteten Fische von 43 auf 8 Prozent – ein Zeichen für die Wirksamkeit der IMA-Anstrengungen.

Netzfang als ökologische Alternative

Dieses gute Ergebnis macht den Beteiligten Mut, dass sich die entwickelten Standards sehr viel leichter auf Hawaii, Australien und andere Export-Regionen, wo Restriktionen bereits bestehen, übertragen lassen. Die nächste Stufe der Handelskette bilden Importeure und Einzelhändler. Sie sollten beim Einkauf Fische mit Zertifikat wählen und ihre Geschäfte nach den Richtlinien des MAC abwickeln. Das sollte dann auch den notwendigen Druck erzeugen, den Cyanid-Einsatz in Indonesien einzudämmen, wo bislang nur wenige Fischer das Jagen mit Netzen gelernt haben.

Peter R. Rubec, der zusammen mit Pratt die IMA gegründet hat und nun als Biologe mit der Universität von Südflorida in St. Petersburg zusammenarbeitet, hofft, dass die Bemühungen von IMA und MAC "den notwendigen wissenschaftlichen Nachweis liefern werden, um die Industrie endlich zu überzeugen: Netzgefangene Fische sind eine echte ökonomische Alternative zu cyanidgefangenen". Manche Einzelhändler sind sich da nicht so sicher, denn die Konkurrenz ist groß, und der Markt würde keine steigenden Preise akzeptieren.

Paul Holthus von der MAC hofft hingegen, dass die Zertifizierung das Gewerbe letztlich nicht mehr kosten wird. Denn auf der anderen Seite sollte das reduzierte Fischsterben die Ausbeute steigern: Die MAC-Standards verlangen, dass maximal ein Prozent jeder Fischart pro Stufe der Handelskette eingeht. Nach Peter R. Rubec sterben jedoch derzeit vermutlich über zehn Prozent der mit Cyanid gefangenen Fische.

Außerdem wächst der Wert der Fische entlang des Handelsweges rapide. Ein orange-weiß-gestreifter Clownsfisch, der einem philippinischen Fänger etwa zehn Cent einbringt, kostet in den USA mindestens 25 Dollar, in der Bundesrepublik ist er für etwa zwanzig Euro zu haben. Bei dieser Gewinnspanne, so argumentieren Rubec und andere, sollte die Industrie einen Teil der zusätzlichen Kosten durch die Zertifizierung auffangen können. Derzeit kommen in den USA die ersten Fische mit Zertifikat in den Handel (in Deutschland ist der Qualifizierungsprozess gerade erst angelaufen). Aber es wird eine Weile dauern, bis die MAC-Standards greifen werden – für manche Experten eine unerträgliche Wartezeit.

"Ich glaube, das Marine Aquarium Council war nicht energisch genug", sagt der Biologe James M. Cervino von der Universität South Carolina. Nachdem er sechs Jahre lang für die Global Coral Reef Alliance tätig war und dabei selbst Augenzeuge der schädlichen Folgen des Cyanids wurde, fordert er sogar einen vorübergehenden Handelsstopp. "Solange man keinen Nachweis dafür bekommen kann, dass ein Fisch aus nachhaltigem Fang stammt, darf der Handel nicht weiter erlaubt sein."

Zwar verbietet internationales Recht gemäß der Convention of the International Trade in Endangered Species of Wild Fauna and Flora (CITES) bereits jetzt den Handel mit tausenden Arten von Steinkorallen, aber die meisten von Riffen stammenden Aquarientiere stehen nicht auf dieser Liste. Auf den Philippinen haben einige dörfliche Gemeinden den Export bestimmter Riffspezies verboten, doch nach Aussage von Ferdinand Cruz geht die Jagd nun illegal weiter. Er empfiehlt vielmehr, als Regulationsmechanismus Lizenzen für den Fischfang einzuführen. So könnten die Einheimischen weiterhin ihren Lebensunterhalt verdienen. Doch Cruz warnt: "Falls dieser Handel nicht nachhaltig sein wird, muss man ihn ganz unterbinden."

Wenn das Zertifizierungssystem erst einmal eingerichtet ist, könnten gesetzlich geregelte Importbeschränkungen in den USA bei der Durchsetzung helfen. Viele Unternehmer würden solche Regelungen aber lieber vermeiden. Doch selbst wenn ein Großteil der Käufer ausschließlich zertifizierte Fische verlangen sollte, würde dies die Riffe nicht schlagartig retten. Nicht nur sind die Standards während der anfänglichen Testphase noch recht niedrig angesetzt und leicht zu erfüllen, sodass ein paar "verseuchte" Fische durch die Maschen schlüpfen könnten. Auch ein Rückgang des Cyanideinsatzes ist noch keine Garantie dafür, dass der Zierfischfang generell nicht trotzdem den Riffen schadet.

Ein Beispiel dafür ist Kona auf Hawaii. Zwar setzen die Jäger dort kein Cyanid ein. Wie aber Brian N. Tissot von der Washington State University in Vancouver, B.C. sowie Leon E. Hallacher von der University of Hawaii in Hilo im Jahr 1999 feststellten, beeinträchtigt der Fang die Populationsentwicklung von sieben Korallenfischarten. Drei davon waren Algenfresser. Sollten die Tiere verschwinden, könnten pflanzliche Organismen wuchern und schließlich die Korallen ersticken. Die deutsche Tierschutzorganisation ProWildlife hält aus diesen Gründen den aktuellen Boom von Aquarien mit Korallenbewohnern für bedenklich.

Darüber hinaus benutzen auch Fischer, die Speisefische lebend fangen, Cyanid und haben diese schreckliche Technik nach Malaysia, auf die Marshall-Inseln, Papua-Neuguinea und eventuell in weitere Regionen Südostasiens getragen. Ferdinand Cruz und andere Mitarbeiter der IMA berichten von regelrechten Raubzüge in Küstenbereichen, an deren langfristiger Produktivität diese Fischer gar nicht interessiert sind. Hingegen sind die Fänger von Aquarienfischen meist Mitglieder lokaler Gemeinschaften, die über Generationen vom gleichen Riff leben. Teilweise ist es den Empfehlungen von Cruz zu verdanken, dass die MAC-Standards vorschreiben, örtliche Fischer mit der Bewachung ihrer Reviere zu beauftragen, auch wenn das den Einsatz von Patrouillen und das Vertreiben von Fremden bedeutet.

Den Fischern vor Ort starke Anreize zu bieten, ihre Riffe selbstverantwortlich zu behandeln, "ist vermutlich in vielen Regionen die beste Möglichkeit, die Riffe überhaupt zu bewahren", sagt Paul Holthus. Auch bei den verschiedenen Parteien in der Handelskette für lebende Speisefische beobachtet er Interesse an einem Zertifizierungssystem. Noch besser sähe es für die Lebensräume aus, wenn sie zu Tauchparadiesen für Touristen oder geschützten Parks umgewandelt würden, in denen der Fischfang überhaupt verboten wäre, meint er. Aber wegen ökonomischer und politischer Barrieren dürfte wohl nur eine kleine Anzahl von Riffen jemals diesen Status erhalten.


Giftige Fischzüge: leichte Beute, schwere Schäden


Cyanid-Fischer wollen ihre Beute mit dem Gift nur betäuben, um sie so einfacher einsammeln zu können. Doch in vielen Fällen sind die Folgen wesentlich weitgehender. Nach Schätzungen stirbt die Hälfte der betroffenen Fische gleich auf dem Riff, und viele weitere verenden auf dem Transportweg.

Für einen typischen Fischzug lösen die Taucher ein oder zwei weiße Tabletten Natriumcyanid in einer Plastikflasche auf. Die milchige, blausäurehaltige Flüssigkeit verteilen sie direkt auf die Korallen, in denen sich die Fische versteckt halten. Durch ihr Maul oder die dünne Haut ihrer Kiemen nehmen die Tiere die Cyanid-Ionen auf. Sobald das Gift im Körper ist, hemmt es Enzyme wie die Cytochrom-Oxidase, der eine wichtige Funktion in der so genannten Atmungskette lebender Zellen zukommt. Sauerstoff kann durch die Blockade nicht mehr aktiviert und nutzbar gemacht werden. Dieses "innere Ersticken" lähmt einige Fische und lässt andere in Krämpfe fallen, sodass sie sich mit der bloßen Hand oder einem Netz einsammeln lassen.

Es ist bekannt, dass viel Cyanid in die gut durchblutete Leber gelangt. Wie Studien an Süßwasserfischen jedoch gezeigt haben, tragen auch die Milz, das Herz und das Gehirn akute Schäden davon. Wissenschaftler weisen darauf hin, dass Flüssigkeiten länger im Körper von Salzwasserfischen verbleiben als bei Tieren aus Süßwasser. Dadurch kann das Gift dem Organismus längere Zeit schaden, bevor es im Stoffwechsel entgiftet und ausgeschieden wird. Schon Blausäurekonzentrationen von nur fünf Milligramm pro Liter wirken für manche Fischarten tödlich.

Was man über Cyanidschäden an Korallen hört, beruht meist nicht auf streng wissenschaftlichen Untersuchungen. Die wenigen Fachstudien bestätigen aber, dass es diesen Tieren nicht besser als den Fischen ergeht. So beendete der Meeresbiologe James M. Cervino von der University of South Carolina im letzten Jahr eine Reihe von Experimenten, in denen er zehn Korallenarten Cyanid-Konzentrationen aussetzte, die tausende Male niedriger waren als die Mengen, die Fischer einsetzen. Acht Spezies starben sofort, darunter wichtige "Riffbildner", die beiden anderen innerhalb von drei Monaten.

Das Cyanid zerstörte bei den empfindlichen Baumkorallen offenbar die symbiotische Beziehung zwischen den Korallen-Polypen und den Klein-Algen, die in ihren Zellen lebten. Normalerweise verleihen Letztere den Korallentieren ihre wunderbare Farbe, versorgen sie über Photosynthese mit Energie und wandeln Abfallstoffe in Aminosäuren um. Aber schon geringe Mengen von Cyanid (50 Milligramm pro Liter) sorgen dafür, dass sie in Schleimtröpfchen aus dem Korallengewebe austreten – ein Vorgang, der unter dem Begriff "Ausbleichen der Riffe" traurige Berühmtheit erlangt hat. Die anderen Korallentypen haben sich zwar als etwas widerstandsfähiger als Baumkorallen erwiesen, doch Cervino zufolge begann sich bei ihnen das äußere Gewebe abzuschälen.

Aus: Spektrum der Wissenschaft 12 / 2001, Seite 32
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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