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Ernährung: Glutenunverträglichkeit durch Virus

Schätzungen zufolge leiden in Deutschland hunderttausende Menschen an Zöliakie: Sie reagieren heftig auf Gluten, das in Weizen und anderen Getreidesorten vorhandene Klebereiweiß. Die Krankheit, die den Dünndarm stark schädigt, gilt als erblich bedingte Autoimmunreaktion des Körpers. Eine Studie von Wissenschaftlern um Bana Jabri vom University of Chicago Celiac Disease Centre deutet nun allerdings darauf hin, dass Zöliakie bei entsprechender Veranlagung zumindest zum Teil von Viren ausgelöst werden könnte.

Die Biomediziner haben für ihre Studie Mäuse mit zwei Reovirusstämmen infiziert. Reoviren befallen oft auch den Verdauungstrakt von Menschen, rufen aber meist keine Symptome hervor. Jabri und ihr Team nutzten für ihre Studie die Stämme T1L und T3D. Beide lösten in den Mäusen eine Immunreaktion aus, doch T1L sorgte darüber hinaus dafür, dass das Immunsystem der Tiere ähnlich wie bei Zöliakie auf Gluten reagierte. Auffallend war, dass dabei vor allem ein Molekül namens Inter­feron-Regulatory-Factor-1 (IRF-1) beteiligt war: Laut früheren Studien kommt dieses Protein bei Kindern mit Zöliakie in erhöhten Mengen im Darm vor.

Daher gingen die Chicagoer Forscher noch einen Schritt weiter und vergli­chen 73 Menschen ohne Glutenunverträglichkeit mit 160 Zöliakiekranken. Letztere wiesen im Schnitt deutlich höhere Konzentrationen an Reovirenantikörpern und IRF1 im Körper auf als die gesunde Vergleichsgruppe. Eine Infektion mit dem Erreger kann in Anwesenheit des Nahrungsmittelantigens Gluten offenbar dazu führen, dass das Immunsys­tem dieses Antigen nicht mehr toleriert. Der Grund: Der Virusbefall verhindert anscheinend die Ausdifferenzierung entsprechender toleranzvermittelnder T-Lymphozyten. Dies könnte später eine heftige Autoimmunreaktion hervorrufen, wenn der Körper Gluten ausgesetzt wird. Die Wissenschaftler vermuten, dass dies vor allem der Fall ist, wenn genetisch vorbelas­tete Kleinkinder früh mit den normalerweise harmlosen Reoviren infiziert werden, während sie gleichzeitig erstmals mit Gluten in der Nahrung in Kontakt kommen.

Allerdings müssen klinische Arbeiten erst noch zeigen, inwieweit die Ergebnisse der Mäusestudie auf Menschen übertragbar sind. Sollte sich der Verdacht bestätigen, wären völlig neue Therapieansätze bis hin zu präventiven Impfungen möglich, hoffen die Wissenschaftler. Bislang gibt es noch keine Möglichkeit, Zöliakie zu behandeln. Betroffene können ihre Situation nur durch Verzicht auf glutenhaltige Lebensmittel verbessern.

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  • Quelle
Science, 10.1126/science.aan1500, 2017
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