Direkt zum Inhalt

Gründe für den ökologischen Landbau


Auf der Konferenz der Vereinten Nationen über Umwelt und Entwicklung von 1992 in Rio de Janeiro wurde ein Übereinkommen über die Biodiversität unterzeichnet, das 1993 in Kraft trat. Ziele dieser Konvention sind Erhaltung und Schutz der biologischen Vielfalt sowie ihre nachhaltige Nutzung. Der Begriff biologische Vielfalt umfaßt die Vielzahl an Tier- und Pflanzenarten und ihre Lebensräume, aber auch die genetische Vielfalt innerhalb einer Art.

Wie aus dem Weltbericht über pflanzengenetische Ressourcen der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation (FAO) der Vereinten Nationen hervorgeht, ist ein so besorgniserregender Rückgang der Pflanzenvielfalt zu beobachten, daß die Welternährung bedroht ist. Nach Schätzungen gibt es weltweit an die 250 000 Samenpflanzenarten, von denen etwa 4000 für die Ernährung des Menschen dienen. Davon decken derzeit nur rund 30 Arten 90 Prozent der aus Pflanzen gewonnenen Nährstoffe ab, wobei die drei Arten Weizen, Reis und Mais die Hauptenergielieferanten sind.

Auch die innerartliche Vielfalt hat deutlich abgenommen, und zwar seit Beginn des 20. Jahrhunderts um 75 Prozent. So werden gegenwärtig beispielsweise weniger als zehn Prozent der im vergangenen Jahrhundert in den USA vorhandenen Kohl- und Erbsenarten noch als Kulturpflanzen angebaut. Ähnliches gilt auch für Europa. Die Folge dieser Entwicklung ist, daß viele Sorten für immer verloren sind.

Die vernachlässigten und gefährdeten Sorten stellen jedoch ein Genreservoir dar, das für die Züchtung von Nutzpflanzen wichtig ist, um sie gegen Schädlinge und ungünstige Witterungsbedingungen widerstandsfähiger sowie auch weniger anfällig für Krankheiten zu machen, als es die Ausgangssorten sind. Somit ist Biodiversität eine wesentliche Grundlage für die Ernährungssicherheit der Weltbevölkerung.

Im Jahre 2025 werden schätzungsweise 8,3 Milliarden Menschen zu ernähren sein – heute sind es 5,7 Milliarden. Um dem Hunger und der Mangelernährung in vielen Regionen der Entwicklungsländer zu begegnen, müssen dann weltweit 75 Prozent mehr Nahrungsmittel erzeugt werden. Somit ist die Nutzung, damit verbunden aber auch die Erhaltung pflanzengenetischer Ressourcen von entscheidender Bedeutung.

Mit beteiligt an deren Verminderung, der sogenannten genetischen Erosion, sind die moderne Pflanzenzüchtung und eine Landwirtschaft, die nur noch auf den Anbau einer geringen Anzahl von leistungsstarken Zuchtsorten, auf Monokulturen, setzen. Eine weitere Ursache ist die Änderung der Nutzung sowohl natürlicher Vegetation als auch urbar gemachten Landes; Rodung für Siedlungsbau und intensive Plantagenwirtschaft für den Export pflanzlicher Produkte sind nur zwei Beispiele.

In Anbetracht dieser Problematik und der sich zuspitzenden Ernährungslage befaßte sich die Internationale Technische Konferenz über pflanzengenetische Ressourcen der FAO in Leipzig im Juni 1996 mit Erhaltung und nachhaltiger Nutzung der biologischen Vielfalt der Nutzpflanzen. Es wurde ein Globaler Aktionsplan verabschiedet, der einen Handlungsrahmen darstellt für Maßnahmen zum sorgsameren Umgang mit Ursprungsformen, Wildformen und wilden Verwandten von Kulturpflanzen.

Eine ausschließliche Sicherung der pflanzengenetischen Ressourcen mittels Mustern in Sammlungen und Genbanken (ex situ), dies wurde dabei deutlich, reicht nicht aus. Der Globale Aktionsplan enthält zahlreiche Empfehlungen für die Erhaltung in-situ, also in der freien Natur, und Verbesserungsvorschläge für Genbanken. Die Leipziger Konferenz gab damit ein hoffnungsvolles Signal für den im November stattfindenden Welternährungsgipfel, auf dem die künftige Ernährungssicherung bei einer weiterhin wachsenden Weltbevölkerung behandelt wird.


Nachhaltige und standortgerechte statt intensiver Landwirtschaft

Seit Mitte dieses Jahrhunderts sind die Hektar-Erträge auf den Anbauflächen gesteigert worden. Diese erhöhte Produktivität war das Ergebnis verbesserter Technologien und neuer Bewässerungssysteme, der Verwendung von Hochleistungssorten und des Anbaus von Monokulturen sowie insbesondere eines starken Einsatzes von Mineraldüngern und Pestiziden.

Nun scheint allerdings die Grenze der intensiven Landwirtschaft erreicht zu sein. In der Getreideproduktion zum Beispiel ist seit Mitte der achtziger Jahre keine nennenswerte Steigerung mehr zu verzeichnen; zwischen 1990 und 1993 nahm weltweit der Ertrag pro Hektar sogar ab. Die Verfügbarkeit von Getreide ist aber für die Ernährungssicherheit der Menschheit von entscheidender Bedeutung, da es das wichtigste direkt konsumierte Nahrungsmittel ist und zudem in der Vieh- und Geflügelmast wie auch in der Fischzucht verwendet wird.

Intensive Landwirtschaft und Überproduktionspolitik in Europa und den übrigen hochindustrialisierten Wohlstandsregionen haben des weiteren ökologische Folgen. So gefährden die weder standortgerechten noch nachhaltigen Bewirtschaftungsformen viele Tier- und Pflanzenarten; manche sind bereits ausgestorben, andere werden weiter verdrängt – entweder direkt oder durch Reduzierung ihres Lebensraumes beziehungsweise ihrer spezifischen Floren- und Faunengemeinschaft.

Um dieser Tendenz entgegenzuwirken, ist die Förderung einer nachhaltigen Landwirtschaft und ländlichen Entwicklung unbedingt notwendig. Dies gilt für Industrie- und Entwicklungsländer gleichermaßen. Kapitel 14 der Agenda 21 von Rio de Janeiro beinhaltet diese Forderung.

Konzepte für eine nachhaltige und standortgerechte Landwirtschaft in der Europäischen Union liegen bereits vor. Wenn wir diese Konzepte ernst nehmen, müßte die Zukunft tatsächlich dem ökologischen Landbau gehören: Landwirtschaft ist mehr als die Produktion von Nahrungsmitteln, sie macht den Erhalt der biologischen Vielfalt zur Maxime.

Die Situation der Entwicklungsländer ist indes viel schwieriger. Für sie sind eine nachhaltige Steigerung der Nahrungsmittelproduktion und die Verbesserung der Ernährungssicherung vordringlich (Bild 1). Dem stehen jedoch vor allem folgende Umstände entgegen: Umweltzerstörung durch Rodung und Bebauung, Rückgang von Anbauflächen durch Erosion, Versumpfung und Versalzung von Bewässerungsland sowie starkes Bevölkerungswachstum. Die verfügbare landwirtschaftliche Nutzfläche pro Kopf der Weltbevölkerung geht in den nächsten Jahren voraussichtlich zurück (Bild 2). Unangepaßte Landnutzung und Überweidung haben hohe Ertrags- und Fruchtbarkeitsverluste zur Folge.

Seit der Konferenz von 1992 in Rio de Janeiro ist klar, daß die Grüne Revolution zur Entwicklung der Landwirtschaft in den Ländern der Dritten Welt gescheitert ist. Die Industrialisierung und Intensivierung der Agrarproduktion hat massiv zur Zerstörung der empfindlichen tropischen und subtropischen Ökosysteme beigetragen. Die anfänglich hohen Erträge durch die modernen Methoden, die in den Industrienationen für die gemäßigten Breiten entwickelt worden waren, können dort nicht von Dauer sein und erfordern zudem einen hohen Input an Energie. Um eine nachhaltige Landwirtschaft zu implementieren, müssen außer dem quantitativen Kriterium Produktionssteigerung die qualitativen Kriterien Umweltschonung und Sozialverträglichkeit erfüllt werden.

Von den Vorschlägen, wie sie in Kapitel 14 der Agenda 21 von Rio de Janeiro für eine nachhaltige Landwirtschaft formuliert sind, sollten fünf Punkte besonders berücksichtigt werden:

- Die Menschen vor Ort müssen amEntwicklungsprozeß stärker beteiligt werden.

- Alternativen und traditionellen Landbaumethoden kommt eine wichtige Rolle zu (und dies gilt für Industrie- und Entwicklungsländer).

- Dem Erhalt der biologischen Vielfalt sowohl der tier- wie der pflanzengenetischen Ressourcen wird hohe Priorität eingeräumt.

- Die Selbstversorgung mit Nah-rungsmitteln in den verschiedenen Regionen der Welt muß gewährleistet sein.

- Ein weiteres Vordringen von Feldbau und Weidewirtschaft auf nur begrenzt nutzbare Standorte (beispielsweise durch Brandrodung) soll vermieden werden.

Große Diversität der pflanzengenetischen Ressourcen ist gerade auch für die ärmeren Länder eine Notwendigkeit. Sie ist generell eine wichtige Quelle für eine nachhaltige Steigerung der Nahrungsmittelproduktion. Die Erhaltung genetischer Verschiedenheit und lokal angepaßter Landsorten und -rassen hat ferner vor allem für Kleinbauern, die nicht in wirtschaftlich begünstigten Gebieten leben, große Bedeutung. Darin liegt ihre Chance, ihre Probleme selbst zu lösen. Eben hier müssen fortan Hilfsprogramme verstärkt ansetzen. Eine dementsprechend veränderte Agrarforschung sowie eine darauf aufbauende Tier- und Pflanzenzüchtung sind dringend erforderlich.

Die jeweilige lokale Umwelt stellt spezifische Anforderungen an Pflanzenarten. Moderne Hochleistungssorten sind auch auf Hochleistungsbedingungen angewiesen. So würden zum Beispiel die Sorten aus Dürregebieten in Deutschland vom Bundessortenamt gar nicht zugelassen; sie sind jedoch an extreme Verhältnisse, was Menge und Regelmäßigkeit der Niederschläge und den Jahresgang der Temperaturen angeht, besser angepaßt als die bei uns angebauten reinen Linien oder mit hohem Aufwand erzeugten Hybridsorten. Somit sind sie in trockenen Zonen sinnvoll zu nutzen.

Mit der Erhaltung der genetischen Vielfalt bei den wichtigsten Kulturpflanzen in ihren Ursprungsgebieten leistet die Dritte Welt außerdem einen entscheidenden Beitrag zur Anbausicherheit auch unserer Sorten: Die armen Länder der Tropen und Subtropen sind zumindest (noch) an Pflanzenarten reich. In diesen Breiten ist eine Vielfalt von Arten und Sorten mit bislang erst kaum oder nicht wissenschaftlich erfaßten Eigenschaften beheimatet, die für die Züchtung von Arten, die an bestimmte Umweltbedingungen optimal angepaßt wären, von erheblicher und unschätzbarer Bedeutung sind. Resistenzgene aus Wildformen der Kulturpflanzen zum Beispiel können durchaus in gemäßigten Klimazonen von großem Nutzen sein.

Unterschiedliche Landbewirtschaftungssysteme schließen einander allerdings nicht aus. Sie sind im Gegenteil sogar erforderlich, um beides zu sichern: eine biologische, insbesondere pflanzengenetische Vielfalt und eine Nahrungsmittelproduktion mit ertragssteigernden Methoden für die noch immer wachsende Weltbevölkerung.


Aus: Spektrum der Wissenschaft 11 / 1996, Seite 74
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

Kennen Sie schon …

Spektrum der Wissenschaft – Bioethik: Bioethik

Bioethik: Forscherdrang auf Abwegen - Pharmaforschung: Gekauft von der Industrie? • Grüne Gentechnik: Zwischen Fortschritt und Frevel • Tierschutz: Streit um Menschenrechte für Menschenaffen

Spektrum Kompakt – Exotische Lebensmittel - Unser internationaler Speiseplan

Kaffee, Kakao und Tee, Reis, Soja, Bananen: Vieles auf unserem Tisch kommt von weit her und bereichert unseren Speiseplan.

Spektrum - Die Woche – Nach dem Steinkohleaus kommt das Wasser

In dieser Ausgabe widmen wir uns Krebs, Venedig und der Steinkohle.

Schreiben Sie uns!

Beitrag schreiben

Wir freuen uns über Ihre Beiträge zu unseren Artikeln und wünschen Ihnen viel Spaß beim Gedankenaustausch auf unseren Seiten! Bitte beachten Sie dabei unsere Kommentarrichtlinien.

Tragen Sie bitte nur Relevantes zum Thema des jeweiligen Artikels vor, und wahren Sie einen respektvollen Umgangston. Die Redaktion behält sich vor, Zuschriften nicht zu veröffentlichen und Ihre Kommentare redaktionell zu bearbeiten. Die Zuschriften können daher leider nicht immer sofort veröffentlicht werden. Bitte geben Sie einen Namen an und Ihren Zuschriften stets eine aussagekräftige Überschrift, damit bei Onlinediskussionen andere Teilnehmende sich leichter auf Ihre Beiträge beziehen können. Ausgewählte Zuschriften können ohne separate Rücksprache auch in unseren gedruckten und digitalen Magazinen veröffentlicht werden. Vielen Dank!

Bitte erlauben Sie Javascript, um die volle Funktionalität von Spektrum.de zu erhalten.