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Grüne Wildnis am großen Strom. Die Donauauen.

Niederösterreichisches Pressehaus, St. Pölten/Wien 1998. 208 Seiten, DM 57,50.

Es war im Dezember 1984. Die österreichische Staatsregierung hatte beschlossen, bei Hainburg donauabwärts von Wien ein Kraftwerk zu bauen. Es hätte sieben Quadratkilometer noch höchst lebendigen Regenwald vernichtet, eine natürliche Dynamik ohnegleichen zerstört und Dutzende Rote-Liste-Arten noch etwas mehr gefährdet. Die Au-Schützer, allen voran der Ethologe Konrad Lorenz (1903–1989), organisierten den Widerstand: Zwischen 4000 und 5000 Menschen besetzten in eiskalten Vorweihnachtstagen das Gelände, ketteten sich zum Teil selbst an Bäume, erlitten brutale Polizeieinsätze – und hatten letztlich Erfolg.

Die für das Kraftwerk vorgesehene Fläche wurde drei Jahre später von Tausenden Österreichern und vielen Sympathisanten aus dem Ausland für 80 Millionen Schilling freigekauft. In einer beispiellosen Aktion organisierte der World Wide Fund for Nature (WWF) unter der Devise „Besitzen statt besetzen“ die endgültige Rettung. Damit waren sämtliche Kraftwerksprojekte zwischen Wien und Hainburg gestoppt.

Die Autorin Elfrune Wendelberger stand stets an vorderster Front in diesem heroischen Kampf. Als Försterstochter wuchs sie in den Donauauen auf. Sie forschte als Biologiestudentin über deren Vegetation und erlangte dafür auch ihren Doktorhut. Heute ist sie eine Leitfigur des Naturschutzes.

„Grüne Wildnis am großen Strom“ ist ein sehr persönliches Buch, vielleicht sogar eine Art Lebenswerk: „So will ich mich denn zum Anwalt des Auwaldes machen, will von seiner verborgenen Schönheit erzählen, vom unerschöpflichen Reichtum seiner Pflanzen und Tierwelt, von seinen verträumten Altwässern und seinen dramatischen Überschwemmungen.“ Und das tut sie, professionell und doch höchst persönlich.

Die Forstbotanikerin berichtet vom Lauf der Jahreszeiten. Es beginnt mit Gelbstern, Aronstab und Schuppenwurz im Vorfrühling; zur „Hochzeit der Lurche“ weiß sie Geschichten aus ihrer Kindheit zu erzählen. Das Kapitel „Schlangenkönig“ beschreibt die selten zu beobachtende Massenpaarung von Ringelnattern im Unterholz. Nach hundert Jahren gibt es dank gezielter Wiederansiedlung erneut Biber an der Donau.

Man verspürt die drückende Stimmung der Nebeltage, genießt mit der Naturkundlerin sonnige Wildfrüchtetage des Herbstes und träumt den Seeadlern nach, die im Winter zu zweit auf einer Kiesbank inmitten von Wassergeflügel sitzen. Überhaupt ist viel von unzähligen Vögeln die Rede, Blaukehlchen in Schilfwiesen, dem Heer der Spechte, seltenen Hohltauben, Spezialitäten wie Rohrammer oder Beutelmeise. Heute bevölkern 130 verschiedene Vogelarten den Nationalpark Donau-Auen.

Faszinierend sind Wendelbergers Erzählungen vom Jahrhunderthochwasser 1954, als buchstäblich alles in ihrer Heimat unterging. Doch Hochwasser ist normal, ist Blut in den Adern des Auenwalds, denn der große Strom sorgt für die unentbehrliche Dynamik. Meist im Frühjahr und Sommer, wenn der Schnee in den Bergen taut und es zusätzlich regnet, spült die Flut verlandete Altarme frei, räumt kleine Unkentümpel aus, hobelt Kiesbänke blank, so daß die Pioniere im Tier- und Pflanzenreich einen neuen Anfang machen können. Nur in solchen Zeiten erkennen wir, daß dies noch ein echter Auenwald ist und nicht einer der abgeriegelten, verstauten und gemaßregelten Pseudo-Auenwälder, die es im Übermaß gibt.

Die Photos begleiten eindrucksvoll den Gang durchs Jahr. Sie sind stimmungsvoll, zeigen die unglaublich rei-che Flora und Fauna dessen, was man als den Amazonas Mitteleuropas bezeichnen könnte.

Der Erfolg hat viele Väter, auch der von 1984. Genießen wir ihn. Deshalb ist auch dieser dritten Auflage des erstmals 1976 erschienenen Buches großer Erfolg zu wünschen.


Aus: Spektrum der Wissenschaft 9 / 1999, Seite 105
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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