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Hasenhirsch und Hundebär

Eine Ausstellung im Palöontologischen Museum der Bayerischen Staatssamlung für Pantäologie und historische Geologie in München präsentiert die exotische Wirbelfauna der äußerst reichhaltigen Fossilagerstätte Sandelzhausen bei Mainburg (Bayern), die beispielhaft für den Lebensraum Zentraleuropa vor 16 Millionen Jahren steht.

Festländische Ablagerungen der jüngeren Erdgeschichte, die pflanzliche und tierische Überreste enthalten, sind – verglichen mit der Ausdehnung mariner fossilhaltiger Sedimente – selten. Dennoch kennt man inzwischen zahlreiche Fossilfundstellen; in der oberen Süßwassermolasse Süddeutschlands gehört Sandelzhausen zu den reichhaltigsten.

Während des Tertiärs türmten sich die Alpen unter dem zunehmenden Druck der aufeinanderprallenden Afrikanischen und Eurasischen Kontinentalplatten auf. Der massenhaft anfallende Verwitterungsschutt wurde durch Flüsse aus dem Gebirge heraustransportiert und von sogenannten Molassetrögen, die sich den Alpen im Norden und Süden anschlossen, aufgefangen. Zeitweise waren diese Tröge vom Meer bedeckt, zeitweise gehörten sie zum Festland.

Im süddeutschen Raum fungierte die Region zwischen Alpen und Donau mehrere Jahrmillionen lang als ein solches Auffangbecken. Dort befindet sich heute eine typische Abfolge von marinen und festländischen Molassesedimenten. Ein großer Teil des tertiären Hügellandes in Süddeutschland wird von den Kiesen, Sanden, Mergeln und Tonen der oberen Süßwassermolasse aufgebaut, dem jüngsten Abschnitt der Molassebildungen (vor 17 bis vor 11 Millionen Jahren). Sie sind Zeugen einer miozänen Flußlandschaft, deren mäandrierende und mit reichlich Sedimentfracht beladene Flußläufe sich durch weitläufige Auewälder schlängelten. Überreste der Lebenswelt wurden mancherorts gemeinsam mit dem Sediment abgelagert und unter Sauerstoffabschluß eingebettet. Sie sind heute als Fossilien überliefert, mit denen sich die Flora und Fauna in diesem Abschnitt des Jungtertiärs in Süddeutschland rekonstruieren läßt.

Im Jahre 1959 wurde in der ehemaligen Kiesgrube von Sandelzhausen bei Mainburg die Fossilführung einer zwei bis drei Meter mächtigen mergeligen Sedimentabfolge entdeckt. Systematische Grabungen führten die Bayerische Staatssammlung und das Universitäts-Institut für Paläontologie und historische Geologie in München in den Jahren 1969 bis 1975 und 1994 bis 1996 durch. Bis heute konnten mehr als 10000 paläontologisch verwertbare Objekte geborgen werden (Bilder 1 und 2).

Neben wenigen Planzen und wirbellosen Tieren sind vor allem Wirbeltiere mit allen fünf Klassen und etwa 150 Arten vertreten. Den größten Anteil stellen dabei die Säugetiere, und zwar von der Maus bis zum Elefanten. Zähne und Knochen liegen in der Regel einzeln und auch häufig fragmentiert vor. Vollständige Skelette sind nicht erhalten, bestenfalls wenige benachbarte Knochen im Verband. Wegen der großen Fundhäufigkeit der verschiedenen Skelettelemente ist dennoch der Körperbau der meisten Tiere weitgehend bekannt.

Die Wirbeltierfauna von Sandelzhausen beinhaltet ausschließlich ausgestorbene Arten. Fast alle sind jedoch Vertreter gegenwärtig noch existierender Tiergruppen, deren Verbreitungsräume auf der Erde aber größtenteils von jenen ihrer Vorfahren deutlich abweichen. Die meisten dieser Tiergruppen sind Indikatoren für wärmere, näher am Äquator gelegene Ökosysteme, die ein mindestens warmgemäßigtes Klima und eine deutlich südlicher gelegene paläogeographische Position Europas im Miozän anzeigen.

Zu den auffallend exotischen Formen gehören Elefanten (Gomphotherium), Nashörner (Plesiaceratherium, Lartetotherium, Prosantorhinus), giraffenartige Wiederkäuer (Palaeomeryx), Hirschferkel (Dorcatherium), Krokodile (Diplocynodon), Riesenschildkröten (Geochelone) und Chamäleons (Chamaeleo). Dreizehige laubfressende Pferde (Anchitherium) repräsentieren ein mittleres Stadium ihrer Evolutionsreihe, das typisch ist für die warmgemäßigten Wälder des mittleren Miozäns. Hirsche (Heteroprox), Schweine (Hyotherium), Marder (Ischyrictis, Martes), katzenartige (Pseudailurus) und hundeartige Raubtiere (Hemicyon) sind zwar für unsere Breiten heute ebenfalls typisch, doch diese miozänen Vorläufer zogen offensichtlich wärmere Regionen vor. Völlig ohne moderne Nachkommen sind die Krallentiere (Metaschizotherium), pferdegroße Unpaarhufer mit kräftigen Krallen an den verlängerten Vorderextremitäten.

Namengebend für die Ausstellung waren ein kleiner Hirsch und ein gewaltiges Raubtier. Beide haben keine heute lebenden direkten Nachkommen. Lagomeryx, der zierliche Hirsch, hielt sich vermutlich bevorzugt im Unterholz auf. Er hatte lediglich die Körpergröße eines Hasen und dennoch ein kleines Geweih, des-sen krönchenförmiges Ende abgeworfen wurde (Bild 2). Äußerst selten sind die fossilen Reste des mindestens tigergroßen Amphicyon, der sowohl hunde- als auch bärenartige Merkmale im Skelettbau zeigt und deshalb weder der einen noch der anderen Gruppe zugeordnet werden kann.

Im Paläontologischen Museum München ist vom 18. November 1996 bis zum 4. Mai 1997 eine repräsentative Auswahl der wertvollsten Wirbeltierfunde der 16 Millionen Jahre alten Fauna von Sandelzhausen ausgestellt. Ein Vergleich mit heute lebenden Verwandten veranschaulicht die Fremdartigkeit dieser Fauna für unsere Breiten. Nebenbei wird der Besucher mit den Bildungsmechanismen einer Fossillagerstätte in fluviatilen Ablagerungsräumen bekannt gemacht und in die päparativen Methoden in Gelände und Labor eingeführt.

Begleitend zur Ausstellung ist eine 40-seitige Broschüre erschienen. Das Paläontologische Museum in der Bayerischen Staatssammlung für Paläontologie und historische Geologie, Richard-Wagner-Straße 10, 80333 München, ist montags bis donnerstags von 8 bis 16 Uhr, freitags von 8 bis 14 Uhr und jeden ersten Sonntag im Monat von 10 bis 16 Uhr geöffnet. Der Eintritt ist frei.


Aus: Spektrum der Wissenschaft 11 / 1996, Seite 124
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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