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Hat das Telephon ausgedient?

Allgegenwärtig verbinden kupferne Leitungen Millionen von Teilnehmern miteinander. Dank einer DSL (Digital Subscriber Line) genannten Technik soll das auch im Zeitalter der Breitband-Kommunikation so bleiben: Das Telephonkabel hält noch viele Möglichkeiten offen.


Kann die Telephonleitung, eine Technologie des viktorianischen Zeitalters, die damals die Welt veränderte, auch noch das dritte Jahrtausend mitbestimmen? Vermag ein schlichtes Paar dünner, umeinander gewickelter Kupferdrähte (twisted pair) große Datenmengen aus dem Internet so zuverlässig, sicher und schnell zu übertragen, daß bewegte Bilder und Töne auf PC oder Fernseher dargestellt werden können? Installiert in weltweit über 600 Millionen Telephonanschlüssen, haben Kupferdrähte bislang im wesentlichen Sprache übertragen, ein Großteil der Leitungskapazitäten blieb ungenutzt. Neue sogenannte DSL-Techniken bergen diese verborgenen Schätze und bringen Millionen von Modem-Nutzern eine mindestens 50fache Übertragungsgeschwindigkeit.

Die Kapazität eines Kommunikationskanals steigt mit seiner Bandbreite und dem Signal-Rausch-Verhältnis (siehe Glossar). Liegen diese beiden Faktoren einmal fest, ist es physikalisch unmöglich, die fundamentale Grenze zu überschreiten, die der Bell-Labs-Forscher Claude E. Shannon im Jahr 1948 formuliert hat.

Eine Sprachverbindung im herkömmlichen Telephonnetz nutzt eine Bandbreite von etwa 3000 Hertz (Hz), nämlich von 300 bis 3300 Hz. Ein Modem, das ein analoges Signal digitalisiert, also in einen Strom von Bits umsetzt, und diesen in das Telephonnetz einspeist (beziehungsweise die umgekehrte Kette ausführt), benötigt für eine Übertragungsrate von 33,6 Kilobit pro Sekunde (33,6 kbit/s) eine etwas größere Bandbreite von 3200 Hertz sowie eine sehr gute Verbindung mit hohem Signal-Rausch-Verhältnis. Shannon zufolge arbeitet es bereits nahe am theoretischen Limit von 35 kbit/s – was die Modem-Hersteller fast 30 Jahre lang abschreckte, dieses Gerät weiterzuentwickeln. Die heute gängigen 56 kbit/s-Modems widersprechen der Theorie nicht, da sie auf digitalen Verbindungen basieren und somit einige Rauschquellen in Richtung Endnutzer umgehen. In der Gegenrichtung, vom Nutzer zum Dienstanbieter, sind sie nach wie vor auf 33,6 kbit/s begrenzt.

Und dennoch: twisted-pair-Leitungen können mehr. Die beiden Variablen in Shannons Formal werden nämlich durch die Dämpfung des Signals entlang des Kabels begrenzt, die mit der Frequenz ansteigt. Kurze Kabellängen verbessern deshalb die Werte und erhöhen die Übertragungskapazität. Die Telephonleitungen zwischen der letzten Vermittlungsstelle und dem Kunden sind oft nur wenige Kilometer lang (in Europa bis zu vier). Der Ingenieur Joseph W. Lechleider schlug in den 80er Jahren erstmals ein Verfahren mit sehr hohen Bandbreiten vor, das diesen Umstand nutzt. Er nannte es "Digital Subscriber Line". Lechleider entwarf auch ein mehrstufiges Kodierverfahren, das die Leistung weiter steigert. In den frühen 90ern entwickelten verschiedene Firmen Varianten von DSL, die fast 800 kbit/s über eine Entfernung von vier Kilometern übertragen konnten, entsprechend der höheren Bitrate (high-bit-rate) HDSL genannt.

Zur gleichen Zeit demonstrierte John Cioffi von der Universität Stanford (Kalifornien) eine Technik zur Signalkodierung, mit der sich sogar die zehnfache Datenmenge – 8 Mbit/s (Millionen Bit pro Sekunde) – über eine 1,6 Kilometer lange Telephonleitung übermitteln ließ. Er teilte dazu eine Bandbreite von 1 MHz in 256 Unterkanäle von je 4 kHz und erhielt so 256 unabhängige Trägerfrequenzen – grob vereinfacht simulierte er 256 gleichzeitig arbeitende Modems auf einer Leitung. Noch leistungsfähiger erwies sich ein VDSL-Verfahren (very high-bit-rate digital subscriber line), das die israelische Firma Savan Communications zusammen mit Siemens in den letzten Jahren entwickelt hat: Es überträgt 13 Mbit/s über 1,5 Kilometer Kupferleitung und ist damit fast 400mal leistungsfähiger als ein 33,6 kbit/s-Modem.

Cioffis Verfahren sollte eigentlich Videofilme über Telephonkabel senden. Da hierfür eine Einwegverbindung ausreicht, wurden die meisten der Unterkanäle dem downstream-Signal (in Richtung Endverbraucher) zugeteilt. So sind 6 Mbit/s für den Nutzer verfügbar, während er Daten nur mit 600 kbit/s in die Gegenrichtung schicken kann. Diese asymmetrische Form der DSL-Technik wurde mittlerweile als "ADSL" bekannt und standardisiert.

Weil sie sich hervorragend zum Surfen im Internet eignet, haben einige Telephongesellschaften ADSL im letzten Jahr installiert (Spektrum der Wissenschaft, 5/99, S. 97). Das Ergebnis: ein allzeit verfügbarer Internet-Zugang mit Raten von einigen 100 kbit/s oder mehr bei etwa 5,5 Kilometer langen Verbindungsleitungen. Das Schöne bei ADSL ist, daß – anders als bei HDSL – Kanäle jenseits des Frequenzbands der Sprache für die Datenübertragung zu nutzen sind – nur eine Telephonleitung transportiert gleichzeitig Sprache und Hochgeschwindigkeitsdaten.

"Abspecken" für den Massenmarkt


In den USA liegt die Zukunft von ADSL für den Massenmarkt im System "G.lite", einem weltweit gültigen Standard, der die Raten auf 1,5 Mbit/s downstream und 500 kbit/s in der Gegenrichtung begrenzt. Das garantiert, daß G.lite zuverlässig auf mehr als 70 Prozent der vorhandenen Kabelverbindungen funktioniert. Außerdem senkt diese Beschränkung die Kosten und den Stromverbrauch. Derzeit kommen die ersten G.lite-fähigen Heimcomputer in den Handel, und in New York ist eine 1,5 Mbit/s-Leitung für 130 Dollar pro Monat bereits ein "Muß" für Broker, Werbeprofis und Software-Entwickler.

In Deutschland bietet die Deutsche Telekom derzeit ihr T-DSL genanntes Verfahren (mit 768 kbit/s) für 98 Mark pro Monat und eine einmalige Anschlußgebühr von etwas mehr als 250 Mark an.

Gegenüber den Kabelnetzen besitzt ADSL Vorteile. Bei Kabelmodems nutzen viele Teilnehmer eine Leitung, mit dem Resultat, daß zu jedem Zeitpunkt nur einer von ihnen Daten empfängt, alle anderen aber theoretisch mithören können. Dementsprechend müssen die Signale durch Verschlüsselung geschützt werden. Telephonanschlüsse hingegen sind physikalisch gesichert – einfach durch unterschiedliche Leitungen.

Auch die Übertragungsrate unterscheidet sich: Das ADSL-Kernnetz überträgt die gebündelten Signale von ein paar hundert Teilnehmern mit 155 Mbit/s oder mehr. Im Fernsehkanal wird dagegen nur eine gemeinsame Datenrate von 24 Mbit/s genutzt – was die Leistungsfähigkeit deutlich begrenzt, wenn Hunderte von Kabelmodems gleichzeitig in Betrieb sind.

Ein dritter Vorzug: Obwohl Kabelnetze über 90 Prozent der US-Haushalte erreichen, stehen sie nur wenigen Geschäftskunden zur Verfügung, Telephonleitungen hingegen sind allgegenwärtig. Ja mehr noch: Kabelnetze erfordern Milliarden von Dollar an Investitionen, um sie mit Faseroptik und Geräten zur Zweiwege-Kommunikation aufzurüsten. DSL dagegen basiert auf denselben Leitungen, die schon Alexander Graham Bell im 19. Jahrhundert verwendete. Überdies eignet es sich hervorragend zur Kombination mit Glasfaserverbindungen, die bis auf wenige hundert Meter an die Haushalte herangeführt werden (passive optische Netzwerke, PON, siehe Beitrag nächste Seite): VDSL erreicht bei 500 Meter Leitungslänge 25 Mbit/s.

Kabelmodems haben noch einen etwa zweijährigen Entwicklungsvorsprung vor der DSL-Technologie. Doch Fachleute sagen voraus, daß in etwa einem Jahr die Zahl der DSL-Nutzer die der Kabelmodems in den USA übertreffen wird. Es stecken noch viele Möglichkeiten im guten alten Kupferdraht.


Aus: Spektrum der Wissenschaft 3 / 2000, Seite 84
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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